Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Zum deutsch-dänischon Streit Freigemeinden zu bilden. Der Däne und auch der Nordschleswiger ist kirchlich. Nur Kirche und Schule aber sind die heiß umstrittnen Stellungen in Zum deutsch-dänischon Streit Freigemeinden zu bilden. Der Däne und auch der Nordschleswiger ist kirchlich. Nur Kirche und Schule aber sind die heiß umstrittnen Stellungen in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223389"/> <fw type="header" place="top"> Zum deutsch-dänischon Streit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1259" prev="#ID_1258"> Freigemeinden zu bilden. Der Däne und auch der Nordschleswiger ist kirchlich.<lb/> Wie gewöhnlich, wo starkes religiöses Leben herrscht, blüht auch in Dänemark<lb/> die Sektirerei. Es giebt hier viele Sekten. Daneben fängt jetzt der Grundt-<lb/> vigiauismus an, stark einzugreifen. Der Synodalbericht der Propstei Apenrcide<lb/> erklärt ihn für schlimmer als die Sekten. Das Verderbliche dieser nach einem<lb/> dünischen Geistlichen benannten Richtung sür die Staatskirche liegt darin, daß<lb/> sie die Politik mit der Religion verquickt. Grundtvigianismus ist dänisches<lb/> Christentum. Ein Pastor im Königreich Dünemark, einer der Führer der<lb/> hochkirchlichen Partei, äußert sich unter anderm über Grundtvig, daß er zwar<lb/> die persönliche Selbstgerechtigkeit bekämpft habe, aber „er ließ sich durch sein<lb/> warmes Herz verleiten, die nationale Selbstgerechtigkeit aufzustellen, indem<lb/> er wieder und wieder das dänische Volk pries wegen seiner Tugenden als<lb/> das »liebliche, weiche Herzensvvlk, das Volk, das Gott nicht entbehren könnte«<lb/> u. tgi. in." Ein deutscher Grundtvigianer ist ja nicht zu denke». Ist nun<lb/> jemand über irgend etwas in der Kirche unzufrieden, so wendet er sich den<lb/> Grundtvigianern zu. Früher trat er dann aus der Landeskirche aus, jetzt<lb/> ist die Taktik geändert, er bleibt in der Landeskirche, zahlt seine Kirchensteuern<lb/> und — behält sein kirchliches Wahlrecht. Die Freigemeinden halten ihre<lb/> eignen Pastoren, zur Zeit drei, die im Lande predigen, bald hier, bald da.<lb/> Daß die ganze Freigemeindenbewegung nur Zuchtrute gegen die Landeskirche<lb/> und ihre Geistlichen ist, beweist ein Fall aus der Propstei Apenrcide. Ein<lb/> Kirchenältester, der sich also durch Handschlag vor dem Altar verpflichtet hatte,<lb/> bisher auch mit dem Ortsgeistlichen auf freundlichem Fuße gelebt hatte, ließ<lb/> seine Tochter durch den Prediger der Freigemeinde trauen. Was war der<lb/> Grund? Der Ortsgeistliche, nebenbei gesagt, ein Mann, der nie politisch her¬<lb/> vorgetreten ist, hatte am 1. September auf Anordnung der Behörden der<lb/> Politischen Bedeutung des Tages für das deutsche Vaterland gedacht. Die<lb/> Folge war, daß der Kirchenälteste als solcher und als Mitglied der Synode<lb/> entlassen wurde. Daß die ins Leben gerufne Bewegung für die Freigemeinden<lb/> nur politische Gründe hat, ergiebt sich aus der Nummer des Flensborg Avis<lb/> vom 9. April 1896, wo gesagt wird, in der christlichen und kirchlichen Lehre<lb/> sei kein ausgeprägter Unterschied zwischen den Freigemeinden und der Staats¬<lb/> kirche. Was also manche fanatische Dänen aus der Kirche treibt, ist einerseits<lb/> das bescheidne Teil deutscher Gottesdienste, andrerseits die Daukespredigten<lb/> ein einzelnen nationalen Festtagen. Es ist dieselbe Gesinnung, die der Hof¬<lb/> besitzer Phil. Möller in Jägerup schon vor Jahren an den Tag legte, als er<lb/> ur öffentlicher Synode die Abschaffung der Fürbitte für den Kaiser anregte.<lb/> Bei solchen Gründen wird wohl keine deutsche Stimme auf kirchlichem Gebiet<lb/> die Partei der Dänen ergreifen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1260" next="#ID_1261"> Nur Kirche und Schule aber sind die heiß umstrittnen Stellungen in<lb/> unserm Volksleben. Im täglichen Umgange herrscht kein solcher politischer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0447]
Zum deutsch-dänischon Streit
Freigemeinden zu bilden. Der Däne und auch der Nordschleswiger ist kirchlich.
Wie gewöhnlich, wo starkes religiöses Leben herrscht, blüht auch in Dänemark
die Sektirerei. Es giebt hier viele Sekten. Daneben fängt jetzt der Grundt-
vigiauismus an, stark einzugreifen. Der Synodalbericht der Propstei Apenrcide
erklärt ihn für schlimmer als die Sekten. Das Verderbliche dieser nach einem
dünischen Geistlichen benannten Richtung sür die Staatskirche liegt darin, daß
sie die Politik mit der Religion verquickt. Grundtvigianismus ist dänisches
Christentum. Ein Pastor im Königreich Dünemark, einer der Führer der
hochkirchlichen Partei, äußert sich unter anderm über Grundtvig, daß er zwar
die persönliche Selbstgerechtigkeit bekämpft habe, aber „er ließ sich durch sein
warmes Herz verleiten, die nationale Selbstgerechtigkeit aufzustellen, indem
er wieder und wieder das dänische Volk pries wegen seiner Tugenden als
das »liebliche, weiche Herzensvvlk, das Volk, das Gott nicht entbehren könnte«
u. tgi. in." Ein deutscher Grundtvigianer ist ja nicht zu denke». Ist nun
jemand über irgend etwas in der Kirche unzufrieden, so wendet er sich den
Grundtvigianern zu. Früher trat er dann aus der Landeskirche aus, jetzt
ist die Taktik geändert, er bleibt in der Landeskirche, zahlt seine Kirchensteuern
und — behält sein kirchliches Wahlrecht. Die Freigemeinden halten ihre
eignen Pastoren, zur Zeit drei, die im Lande predigen, bald hier, bald da.
Daß die ganze Freigemeindenbewegung nur Zuchtrute gegen die Landeskirche
und ihre Geistlichen ist, beweist ein Fall aus der Propstei Apenrcide. Ein
Kirchenältester, der sich also durch Handschlag vor dem Altar verpflichtet hatte,
bisher auch mit dem Ortsgeistlichen auf freundlichem Fuße gelebt hatte, ließ
seine Tochter durch den Prediger der Freigemeinde trauen. Was war der
Grund? Der Ortsgeistliche, nebenbei gesagt, ein Mann, der nie politisch her¬
vorgetreten ist, hatte am 1. September auf Anordnung der Behörden der
Politischen Bedeutung des Tages für das deutsche Vaterland gedacht. Die
Folge war, daß der Kirchenälteste als solcher und als Mitglied der Synode
entlassen wurde. Daß die ins Leben gerufne Bewegung für die Freigemeinden
nur politische Gründe hat, ergiebt sich aus der Nummer des Flensborg Avis
vom 9. April 1896, wo gesagt wird, in der christlichen und kirchlichen Lehre
sei kein ausgeprägter Unterschied zwischen den Freigemeinden und der Staats¬
kirche. Was also manche fanatische Dänen aus der Kirche treibt, ist einerseits
das bescheidne Teil deutscher Gottesdienste, andrerseits die Daukespredigten
ein einzelnen nationalen Festtagen. Es ist dieselbe Gesinnung, die der Hof¬
besitzer Phil. Möller in Jägerup schon vor Jahren an den Tag legte, als er
ur öffentlicher Synode die Abschaffung der Fürbitte für den Kaiser anregte.
Bei solchen Gründen wird wohl keine deutsche Stimme auf kirchlichem Gebiet
die Partei der Dänen ergreifen.
Nur Kirche und Schule aber sind die heiß umstrittnen Stellungen in
unserm Volksleben. Im täglichen Umgange herrscht kein solcher politischer
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