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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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<Lin Preisausschreiben

Dennoch sind Preisausschreibungen unter Umständen nötig. So mochte
ich alle, die dem Kunstgewerbe dienen, ohne weiteres für zweckmäßig und
nützlich halten, wogegen das eigentliche Kunstwerk, auch wenn es einem be¬
stimmten Zweck dienen soll, wohl im allgemeinen besser bei dem sorgfältig zu
wählenden Künstler bestellt wird. Litterarische Preisausschreibungen haben
vor allem daun eiuen Zweck, wenn sich auf irgend einem Gebiet ein Mangel
an bessern Erzeugnissen zeigt, oder wenn anzunehmen ist, daß viele gute Arbeiten
einer bestimmten Gattung vorhanden, aber von ihren Verfassern nicht anzu¬
bringen sind. Die Schaffenslust anzuregen oder aus den Markt zu ziehen ist
das Preisausschreiben noch immer eins der besten Mittel, und so wäre z. B.
gar nichts dagegen zu sagen, wenn in Deutschland alljährlich ein Lustspiel-
Wettbewerb stattfünde, oder wenn man, wie in Frankreich, Volks- und Jugend¬
litteratur durch Preise auszeichnete. Was im Überfluß erzeugt wird, soll man
jedoch nicht noch züchten wollen, und so sind die Preisausschreibungen,^ die
die beste Novelle, Erzählung oder Humoreske betreffen, durchaus vom Übel,
aber sie überwiegen freilich, weil die Durchschnittszeitschriften eben die gewöhn¬
liche Ware wollen.

Eine der bemerkenswertesten Preisausschreibungen der letzten Jahre war
die der Buchhandlung von Moritz Schauenburg in Lcchr (Baden): sie setzte
tausend Mark sür die beste Volkserzählung ans. Sowohl die im Vergleich
zu dem gewünschten Umfang der Erzählung beträchtliche Höhe des Preises
wie die Bestimmung des Werkes für deu bekannten Kalender des Lahrer hin¬
kenden Voden, der noch immer der verbreitetste deutsche Volkskalender ist und,
da er ganz besonders stark von den Deutschen im Auslande, vor allem in
Amerika gelesen wird, eine gewisse nationale Bedeutung hat, ließen erkennen,
daß es sich hier um nichts weniger als um eine Reklame handelte. Es galt
vielmehr, dem Kalender in den besten der eingesandten Erzählungen neuen
vortrefflichen Lesestoff zuzuführen und zu erproben, wie es in Deutschland
heute mit der volkstümlichen Erzählungskunst stehe. Daß es damit bei uns
in den letzten Jahrzehnten bergab gegangen ist, leuchtet jedem, der unsre
litterarischen Verhältnisse einigermaßen kennt, ohne weiteres ein. Man braucht
nur einen einzigen Blick aus die heute alles beherrschende Tagespresse zu thun,
um zu erkennen, daß für echte Volkstümlichkeit in ihr nirgends Platz ist; aber
die höhere Litteratur kümmert sich im Grunde ebensowenig um das Volk, ist
entweder, eingestandner- und uneingestandnermaßen, sür die gebildete Damen¬
welt bestimmt oder, wie die naturalistische Litteratur, sür engere, dem Volle
völlig abgewendete Kreise, ja zum Teil internationalen Charakters. Daß das
Roll in der Regel Gegenstand der "natürlichen" Darstellungen ist, ändert daran
ganz und gar nichts. Wer möchte z. B. Hauptmanns "Weber" als Volks¬
litteratur bezeichnen, selbst wenn der Standpunkt, daß Volkslitteratur potes-
t'libent sein soll, ein für allemal abzuweisen wäre? Aber vielleicht ist nach


<Lin Preisausschreiben

Dennoch sind Preisausschreibungen unter Umständen nötig. So mochte
ich alle, die dem Kunstgewerbe dienen, ohne weiteres für zweckmäßig und
nützlich halten, wogegen das eigentliche Kunstwerk, auch wenn es einem be¬
stimmten Zweck dienen soll, wohl im allgemeinen besser bei dem sorgfältig zu
wählenden Künstler bestellt wird. Litterarische Preisausschreibungen haben
vor allem daun eiuen Zweck, wenn sich auf irgend einem Gebiet ein Mangel
an bessern Erzeugnissen zeigt, oder wenn anzunehmen ist, daß viele gute Arbeiten
einer bestimmten Gattung vorhanden, aber von ihren Verfassern nicht anzu¬
bringen sind. Die Schaffenslust anzuregen oder aus den Markt zu ziehen ist
das Preisausschreiben noch immer eins der besten Mittel, und so wäre z. B.
gar nichts dagegen zu sagen, wenn in Deutschland alljährlich ein Lustspiel-
Wettbewerb stattfünde, oder wenn man, wie in Frankreich, Volks- und Jugend¬
litteratur durch Preise auszeichnete. Was im Überfluß erzeugt wird, soll man
jedoch nicht noch züchten wollen, und so sind die Preisausschreibungen,^ die
die beste Novelle, Erzählung oder Humoreske betreffen, durchaus vom Übel,
aber sie überwiegen freilich, weil die Durchschnittszeitschriften eben die gewöhn¬
liche Ware wollen.

Eine der bemerkenswertesten Preisausschreibungen der letzten Jahre war
die der Buchhandlung von Moritz Schauenburg in Lcchr (Baden): sie setzte
tausend Mark sür die beste Volkserzählung ans. Sowohl die im Vergleich
zu dem gewünschten Umfang der Erzählung beträchtliche Höhe des Preises
wie die Bestimmung des Werkes für deu bekannten Kalender des Lahrer hin¬
kenden Voden, der noch immer der verbreitetste deutsche Volkskalender ist und,
da er ganz besonders stark von den Deutschen im Auslande, vor allem in
Amerika gelesen wird, eine gewisse nationale Bedeutung hat, ließen erkennen,
daß es sich hier um nichts weniger als um eine Reklame handelte. Es galt
vielmehr, dem Kalender in den besten der eingesandten Erzählungen neuen
vortrefflichen Lesestoff zuzuführen und zu erproben, wie es in Deutschland
heute mit der volkstümlichen Erzählungskunst stehe. Daß es damit bei uns
in den letzten Jahrzehnten bergab gegangen ist, leuchtet jedem, der unsre
litterarischen Verhältnisse einigermaßen kennt, ohne weiteres ein. Man braucht
nur einen einzigen Blick aus die heute alles beherrschende Tagespresse zu thun,
um zu erkennen, daß für echte Volkstümlichkeit in ihr nirgends Platz ist; aber
die höhere Litteratur kümmert sich im Grunde ebensowenig um das Volk, ist
entweder, eingestandner- und uneingestandnermaßen, sür die gebildete Damen¬
welt bestimmt oder, wie die naturalistische Litteratur, sür engere, dem Volle
völlig abgewendete Kreise, ja zum Teil internationalen Charakters. Daß das
Roll in der Regel Gegenstand der „natürlichen" Darstellungen ist, ändert daran
ganz und gar nichts. Wer möchte z. B. Hauptmanns „Weber" als Volks¬
litteratur bezeichnen, selbst wenn der Standpunkt, daß Volkslitteratur potes-
t'libent sein soll, ein für allemal abzuweisen wäre? Aber vielleicht ist nach


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[0039] <Lin Preisausschreiben Dennoch sind Preisausschreibungen unter Umständen nötig. So mochte ich alle, die dem Kunstgewerbe dienen, ohne weiteres für zweckmäßig und nützlich halten, wogegen das eigentliche Kunstwerk, auch wenn es einem be¬ stimmten Zweck dienen soll, wohl im allgemeinen besser bei dem sorgfältig zu wählenden Künstler bestellt wird. Litterarische Preisausschreibungen haben vor allem daun eiuen Zweck, wenn sich auf irgend einem Gebiet ein Mangel an bessern Erzeugnissen zeigt, oder wenn anzunehmen ist, daß viele gute Arbeiten einer bestimmten Gattung vorhanden, aber von ihren Verfassern nicht anzu¬ bringen sind. Die Schaffenslust anzuregen oder aus den Markt zu ziehen ist das Preisausschreiben noch immer eins der besten Mittel, und so wäre z. B. gar nichts dagegen zu sagen, wenn in Deutschland alljährlich ein Lustspiel- Wettbewerb stattfünde, oder wenn man, wie in Frankreich, Volks- und Jugend¬ litteratur durch Preise auszeichnete. Was im Überfluß erzeugt wird, soll man jedoch nicht noch züchten wollen, und so sind die Preisausschreibungen,^ die die beste Novelle, Erzählung oder Humoreske betreffen, durchaus vom Übel, aber sie überwiegen freilich, weil die Durchschnittszeitschriften eben die gewöhn¬ liche Ware wollen. Eine der bemerkenswertesten Preisausschreibungen der letzten Jahre war die der Buchhandlung von Moritz Schauenburg in Lcchr (Baden): sie setzte tausend Mark sür die beste Volkserzählung ans. Sowohl die im Vergleich zu dem gewünschten Umfang der Erzählung beträchtliche Höhe des Preises wie die Bestimmung des Werkes für deu bekannten Kalender des Lahrer hin¬ kenden Voden, der noch immer der verbreitetste deutsche Volkskalender ist und, da er ganz besonders stark von den Deutschen im Auslande, vor allem in Amerika gelesen wird, eine gewisse nationale Bedeutung hat, ließen erkennen, daß es sich hier um nichts weniger als um eine Reklame handelte. Es galt vielmehr, dem Kalender in den besten der eingesandten Erzählungen neuen vortrefflichen Lesestoff zuzuführen und zu erproben, wie es in Deutschland heute mit der volkstümlichen Erzählungskunst stehe. Daß es damit bei uns in den letzten Jahrzehnten bergab gegangen ist, leuchtet jedem, der unsre litterarischen Verhältnisse einigermaßen kennt, ohne weiteres ein. Man braucht nur einen einzigen Blick aus die heute alles beherrschende Tagespresse zu thun, um zu erkennen, daß für echte Volkstümlichkeit in ihr nirgends Platz ist; aber die höhere Litteratur kümmert sich im Grunde ebensowenig um das Volk, ist entweder, eingestandner- und uneingestandnermaßen, sür die gebildete Damen¬ welt bestimmt oder, wie die naturalistische Litteratur, sür engere, dem Volle völlig abgewendete Kreise, ja zum Teil internationalen Charakters. Daß das Roll in der Regel Gegenstand der „natürlichen" Darstellungen ist, ändert daran ganz und gar nichts. Wer möchte z. B. Hauptmanns „Weber" als Volks¬ litteratur bezeichnen, selbst wenn der Standpunkt, daß Volkslitteratur potes- t'libent sein soll, ein für allemal abzuweisen wäre? Aber vielleicht ist nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/39>, abgerufen am 27.07.2024.