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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebeiljcihrigen Arieges

zuführen. Dieses heiße Verlangen nach Sachsen "lähmte seine Offensive gegen
Österreich und hinderte, daß in seinem Geiste so kühne strategische Pläne, wie
er sie früher und später gehegt hat, Wurzel schlugen."

Nach dem Einmarsch in Sachsen forderte Friedrich den Kurfürsten August
unter Versprechungen aller Art auf, sich ihm anzuschließen. Während der Ver¬
handlungen schloß er das sächsische Lager bei Pirna ein, ohne den bei seiner
notorischen Übermacht durchaus zweckmüßigen und erfolgreichen Versuch eines
Sturmes zu wagen. Dies Verfahren hat allseitige Verurteilung erfahren, so¬
wohl von anerkannten Heerführern (von Winterfeldt, von Napoleon, Boie) als
von urteilsfähigen Historikern (Delbrück, Bernhardt), und es wäre wirklich un¬
begreiflich, wenn sich Friedrich eben nicht als den Herrn von Sachsen betrachtet
hätte. Als solcher mußte er es verhindern, daß "seine alten und seine neuen
Unterthanen einander zerfleischten." Hiermit im innigsten Zusammenhange steht
auch die seltsame Idee, daß die gefangne sächsische Armee, abgesehen von den
Generalen, "einfach in seinen Dienst zu treten habe," wozu er die Eidesleistung
wenigstens bei den Mannschaften erzwang, eine Maßregel, die, wie Archenholtz
sagt, in der Weltgeschichte ohne Beispiel ist und in des Königs eignem Lager
als unerhört bezeichnet wurde. Wenn er dann weiter anordnete, bei den Re-
krutirungen in Sachsen alle Ausschreitungen zu vermeiden, insbesondre keine
angesessenen Leute zum Dienste zu pressen, so versteht sich solche "Vereinigung
von Milde und Strenge bei einem Herrscher, der sich als Landesherr be¬
trachtete," von selbst.

Auf Grund aller von ihm zusammengestellten Thatsachen kommt Lehmann
zu dem Ergebnis: Es sind im Jahre 1756 zwei "Offensiven" gewesen, die sich
begegneten: die der Kaiserin von Österreich, "gerichtet auf den Wiedergewinn
von Schlesien, die Friedrichs auf die Eroberung von Sachsen und Westpreußen."
Beide Mächte stritten für das Dasein ihrer Staaten. Auf der einen Seite
gedachte man Preußen völlig niederzuwerfen, auf der andern hoffte man, das
reichste und strategisch wichtigste Land der österreichischen Krone, die Lebens¬
ader des modernen Österreich, gegen Sachsen einzutauschen. Durch seinen Ein¬
marsch in Sachsen beschleunigte Friedrich die im August 1756 noch unfertige
Verbindung, die den österreichischen Angriff ins Werk setzen sollte, und "indem
er seinen Absichten auf das sächsische Land und Heer einen allzu großen Raum
gewährte," brachte er sich um den Vorsprung, den ihm die mustergiltige Orga¬
nisation und Kriegstüchtigkeit seines Heeres gewährte.

Das Verhalten Friedrichs gegen Sachsen entsprach dem Geiste der Zeit.
Alles schien ihm erlaubt, sobald es die Staatsräson erforderte. Allerdings
mußte Sachsen, dessen Grenze sieben Meilen südlich von der Hauptstadt des
preußischen Staates lag, "entweder Preußens Freund oder es durfte überhaupt
nicht sein." Das zeigte sich besonders in den Jahren 1813/14, da es durch
seine Beziehungen zu Frankreich aufs schwerste die Bcfreiungspläne gefährdete.


Friedrich der Große und der Ursprung des siebeiljcihrigen Arieges

zuführen. Dieses heiße Verlangen nach Sachsen „lähmte seine Offensive gegen
Österreich und hinderte, daß in seinem Geiste so kühne strategische Pläne, wie
er sie früher und später gehegt hat, Wurzel schlugen."

Nach dem Einmarsch in Sachsen forderte Friedrich den Kurfürsten August
unter Versprechungen aller Art auf, sich ihm anzuschließen. Während der Ver¬
handlungen schloß er das sächsische Lager bei Pirna ein, ohne den bei seiner
notorischen Übermacht durchaus zweckmüßigen und erfolgreichen Versuch eines
Sturmes zu wagen. Dies Verfahren hat allseitige Verurteilung erfahren, so¬
wohl von anerkannten Heerführern (von Winterfeldt, von Napoleon, Boie) als
von urteilsfähigen Historikern (Delbrück, Bernhardt), und es wäre wirklich un¬
begreiflich, wenn sich Friedrich eben nicht als den Herrn von Sachsen betrachtet
hätte. Als solcher mußte er es verhindern, daß „seine alten und seine neuen
Unterthanen einander zerfleischten." Hiermit im innigsten Zusammenhange steht
auch die seltsame Idee, daß die gefangne sächsische Armee, abgesehen von den
Generalen, „einfach in seinen Dienst zu treten habe," wozu er die Eidesleistung
wenigstens bei den Mannschaften erzwang, eine Maßregel, die, wie Archenholtz
sagt, in der Weltgeschichte ohne Beispiel ist und in des Königs eignem Lager
als unerhört bezeichnet wurde. Wenn er dann weiter anordnete, bei den Re-
krutirungen in Sachsen alle Ausschreitungen zu vermeiden, insbesondre keine
angesessenen Leute zum Dienste zu pressen, so versteht sich solche „Vereinigung
von Milde und Strenge bei einem Herrscher, der sich als Landesherr be¬
trachtete," von selbst.

Auf Grund aller von ihm zusammengestellten Thatsachen kommt Lehmann
zu dem Ergebnis: Es sind im Jahre 1756 zwei „Offensiven" gewesen, die sich
begegneten: die der Kaiserin von Österreich, „gerichtet auf den Wiedergewinn
von Schlesien, die Friedrichs auf die Eroberung von Sachsen und Westpreußen."
Beide Mächte stritten für das Dasein ihrer Staaten. Auf der einen Seite
gedachte man Preußen völlig niederzuwerfen, auf der andern hoffte man, das
reichste und strategisch wichtigste Land der österreichischen Krone, die Lebens¬
ader des modernen Österreich, gegen Sachsen einzutauschen. Durch seinen Ein¬
marsch in Sachsen beschleunigte Friedrich die im August 1756 noch unfertige
Verbindung, die den österreichischen Angriff ins Werk setzen sollte, und „indem
er seinen Absichten auf das sächsische Land und Heer einen allzu großen Raum
gewährte," brachte er sich um den Vorsprung, den ihm die mustergiltige Orga¬
nisation und Kriegstüchtigkeit seines Heeres gewährte.

Das Verhalten Friedrichs gegen Sachsen entsprach dem Geiste der Zeit.
Alles schien ihm erlaubt, sobald es die Staatsräson erforderte. Allerdings
mußte Sachsen, dessen Grenze sieben Meilen südlich von der Hauptstadt des
preußischen Staates lag, „entweder Preußens Freund oder es durfte überhaupt
nicht sein." Das zeigte sich besonders in den Jahren 1813/14, da es durch
seine Beziehungen zu Frankreich aufs schwerste die Bcfreiungspläne gefährdete.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/37>, abgerufen am 01.09.2024.