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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Bei reichlicher Anwendung sehr vollkommner Maschinen, die ja auch Zugvieh
ersparten, werde der Köruerbciu selbst dann noch rentiren, wenn die Preise
noch weiter sänken; der amerikanische Landwirt könne den Weizen billiger liefern
als der deutsche, weil viel weniger, aber dafür intelligentere Arbeit darin
stecke. Wir lassen es dahingestellt sein, ob nicht Meyer die Bedeutung der
Maschine für die Landwirtschaft arg übertreibt, und bemerken nur, erstens,
daß auf diesem Wege der landwirtschaftliche Betrieb den kapitalistischen Charakter
in noch höherm Grade annehmen würde, zweitens, daß Maschinen nicht
allein Vieh, sondern auch Menschen sparen, demnach diese Entwicklung die
Menschen noch mehr als bisher vom Lande in die Städte treiben würde, endlich
aber, daß wir es mit allen Maschinen so fruchtbaren "Sommerländern," wie
Argentinien eins ist, in der billigen Getreideerzengung doch nicht würden
gleich thun können, wenn diese einmal im größten Maßstabe von europäischen
oder amerikanischen Kapitalisten ausgenutzt werden sollten, was ja nicht aus¬
bleiben kaun, wenn nicht eine von den europäischen Regierungen planmäßig
geleitete Kolonisation Staaten daraus macht, die ihr Getreide für ihre eigne
Bevölkerung brauchen.

Das dritte Buch ist womöglich noch liederlicher gearbeitet als das zweite,
aber es ist das bei weitem interessanteste. Der erste Teil enthält nichts als
Zitate aus ältern und neuern agrarpolitischen Schriften von vierzig konser¬
vativen Autoren. Wir lernen zunächst Thaer als den eigentlichen Vater des
kapitalistischen Betriebs der Landwirtschaft in Deutschland kennen. Ehedem
galt der Landwirt sür einen volkswirtschaftlichen Beamten, der um einen an¬
gemessenen Lohn das Volk mit Nahrungsmitteln zu versorgen habe, der Ritter¬
gutsbesitzer noch außerdem für einen Mann, dem sein größeres Einkommen und
seine Muße die Ehrenpflicht auferlegten, als unbesvldeter Verwaltungsbeamter thätig
zu sein, und sür den Militärstaat Preußen war der ländliche Grundbesitz der
Quell seiner Wehrkraft. Thaer aber schreibt im Jahre 1809: "Die Landwirt¬
schaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweck hat, durch Produktion (zuweilen
auch durch fernere Bearbeitung) vegetabilischer und tierischer Substanzen Ge¬
winn zu erzeugen oder Geld zu erwerben. Nicht die mögliche höchste Pro¬
duktion, sondern der höchste reine Gewinn ist Zweck des Landwirth." Nachdem
dieser des sittlichen, gemütliche!,, patriotischen und volkswirtschaftlichen Inhalts
bare Begriff gerade den rationellen Landwirten in Fleisch und Blut über¬
gegangen war, konnten die ungemütliche" Geschichten, die wir heute erleben,
unmöglich ausbleiben. Sehr entschiedn" Gegner der Thaerschen Auffassung
sind unter den hier angeführten Autoren Hundeshagen und Butan. Hundeshagen
widerlegt 1831 in seinem Lehrbuche der Forstpolizei die Ansicht, die ganze Auf¬
gabe der Bodenkultur beschränke sich darauf, dem Unternehmer Geld einzubringen;
und F. Butan schreibt 1834: "Für den Privatmann kann es von Wichtigkeit
sein, den reinen Ertrag des Grundstücks, das er bebaut, bis aufs höchste zu


<Lin unbequemer Konservativer

Bei reichlicher Anwendung sehr vollkommner Maschinen, die ja auch Zugvieh
ersparten, werde der Köruerbciu selbst dann noch rentiren, wenn die Preise
noch weiter sänken; der amerikanische Landwirt könne den Weizen billiger liefern
als der deutsche, weil viel weniger, aber dafür intelligentere Arbeit darin
stecke. Wir lassen es dahingestellt sein, ob nicht Meyer die Bedeutung der
Maschine für die Landwirtschaft arg übertreibt, und bemerken nur, erstens,
daß auf diesem Wege der landwirtschaftliche Betrieb den kapitalistischen Charakter
in noch höherm Grade annehmen würde, zweitens, daß Maschinen nicht
allein Vieh, sondern auch Menschen sparen, demnach diese Entwicklung die
Menschen noch mehr als bisher vom Lande in die Städte treiben würde, endlich
aber, daß wir es mit allen Maschinen so fruchtbaren „Sommerländern," wie
Argentinien eins ist, in der billigen Getreideerzengung doch nicht würden
gleich thun können, wenn diese einmal im größten Maßstabe von europäischen
oder amerikanischen Kapitalisten ausgenutzt werden sollten, was ja nicht aus¬
bleiben kaun, wenn nicht eine von den europäischen Regierungen planmäßig
geleitete Kolonisation Staaten daraus macht, die ihr Getreide für ihre eigne
Bevölkerung brauchen.

Das dritte Buch ist womöglich noch liederlicher gearbeitet als das zweite,
aber es ist das bei weitem interessanteste. Der erste Teil enthält nichts als
Zitate aus ältern und neuern agrarpolitischen Schriften von vierzig konser¬
vativen Autoren. Wir lernen zunächst Thaer als den eigentlichen Vater des
kapitalistischen Betriebs der Landwirtschaft in Deutschland kennen. Ehedem
galt der Landwirt sür einen volkswirtschaftlichen Beamten, der um einen an¬
gemessenen Lohn das Volk mit Nahrungsmitteln zu versorgen habe, der Ritter¬
gutsbesitzer noch außerdem für einen Mann, dem sein größeres Einkommen und
seine Muße die Ehrenpflicht auferlegten, als unbesvldeter Verwaltungsbeamter thätig
zu sein, und sür den Militärstaat Preußen war der ländliche Grundbesitz der
Quell seiner Wehrkraft. Thaer aber schreibt im Jahre 1809: „Die Landwirt¬
schaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweck hat, durch Produktion (zuweilen
auch durch fernere Bearbeitung) vegetabilischer und tierischer Substanzen Ge¬
winn zu erzeugen oder Geld zu erwerben. Nicht die mögliche höchste Pro¬
duktion, sondern der höchste reine Gewinn ist Zweck des Landwirth." Nachdem
dieser des sittlichen, gemütliche!,, patriotischen und volkswirtschaftlichen Inhalts
bare Begriff gerade den rationellen Landwirten in Fleisch und Blut über¬
gegangen war, konnten die ungemütliche« Geschichten, die wir heute erleben,
unmöglich ausbleiben. Sehr entschiedn« Gegner der Thaerschen Auffassung
sind unter den hier angeführten Autoren Hundeshagen und Butan. Hundeshagen
widerlegt 1831 in seinem Lehrbuche der Forstpolizei die Ansicht, die ganze Auf¬
gabe der Bodenkultur beschränke sich darauf, dem Unternehmer Geld einzubringen;
und F. Butan schreibt 1834: „Für den Privatmann kann es von Wichtigkeit
sein, den reinen Ertrag des Grundstücks, das er bebaut, bis aufs höchste zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/356>, abgerufen am 01.09.2024.