Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein unbequemer Konservativer

der Konjunkturen erhebt. Dazu sind die meisten Latifundien als Fideikommisse
gegen jeden Wechsel der Zeiten sicher gestellt. Dagegen sieht man nicht ein,
worauf sich der Unterschied stützt, den Meyer zwischen den 1194 und den
1200 Besitzern macht, und das, was er von den 1200 sagt, klingt so harm¬
los, daß es sich zu sagen gar nicht lohnt, denn zu allen Zeiten, auch wenn
die Landwirte im allgemeinen glänzende Geschäfte machen, giebt es immer
manche, die zu Grunde gehen. Kommt es doch selbst heute, wo seit mehreren
Jahren das Geschrei: Wir gehen allesamt zu Grunde, die Landwirtschaft ist
tot! das Land durchtobt, hie und da immer noch vor, daß ein intelligenter
Landwirt mit unzureichenden Mitteln ein großes Rittergut lauft und sich so
mit sehenden Augen ins sichere Verderben stürzt -- warum? vielleicht weil
er nun einmal ein Wagehals ist, oder weil er durchaus Schloßherr sein und
nicht in den Stand der Rustikalen hinabsteigen will. Wie verwegen mögen
da die Herrn erst bei steigenden Preisen sein!

Meyer führt nun aus, daß und warum die Preise noch weiter sinken
werden -- vorzugsweise deswegen, weil in Argentinien erst ein Prozent des
dortigen Weizenbodens bebaut ist --, und meint, die Staatsregierungen könnten
unter den obwaltenden Umständen weiter nichts thun; die Maßregeln, die er seiner¬
zeit empfohlen habe: Abstellung der Schuldenwirtschaft und Anerberecht, kämen
heute entweder zu spät oder seien nicht mehr durchführbar. Wir selbst haben
das wiederholt noch ein wenig allgemeiner ausgesprochen; wir haben gesagt:
die unverschuldete Vererbung des ungeteilten Grundbesitzes macht sich in Zeiten,
wo sie möglich ist, d. h. bei Überfluß an billigem Boden, ganz von selbst ohne
Gesetz, von der Zeit ab dagegen, wo diese natürliche Bedingung schwindet,
sind Gesetze, die die unverschuldete und ungelenke Vererbung erzwingen sollen,
nicht mehr durchführbar; der gesetzliche Schutz gegen Verschuldung ist möglich,
solange er nicht nötig ist, und unmöglich, wenn er gerade nötig wäre. Meyer
glaubt nun, daß die Güter massenhaft von den Hypothekenbanken angekauft
werden, und daß diese Aktiengesellschaften den Betrieb felbst übernehmen werden,
sodaß auch in der Landwirtschaft der Großbetrieb den mittlern und den kleinen
aufsaugen würde. Ob diese Gefahr in Pommern so nahe bevorsteht, wissen
wir nicht; in den meisten Gegenden Deutschlands sind wir noch nicht so weit.
Als einziges Mittel der Selbsthilfe empfiehlt Meyer, der die von den Agra¬
riern vorgeschlagnen Mittel verwirft, die Anwendung der in Amerika all¬
gemein eingeführten landwirtschaftlichen Maschinen, die viel vollkommner seien
als die bei uns gebräuchlichen. Diese Maschinen erfordern aber zu ihrer Be¬
dienung intelligente Arbeiter, und das seien die Arbeiter Ostelbiens nicht, könnten
es auch nicht werden, weil sie gegen früher, wo sie noch richtiges Deputat
bekamen, im Nahrungsstande heruntergekommen und im Vergleich zu ihren
Vätern und Großvätern nur noch Krüppel seien. Demnach hänge das Schick¬
sal der ostelbischen Landwirtschaft von der Hebung des Arbeiterstandes ab.


Ein unbequemer Konservativer

der Konjunkturen erhebt. Dazu sind die meisten Latifundien als Fideikommisse
gegen jeden Wechsel der Zeiten sicher gestellt. Dagegen sieht man nicht ein,
worauf sich der Unterschied stützt, den Meyer zwischen den 1194 und den
1200 Besitzern macht, und das, was er von den 1200 sagt, klingt so harm¬
los, daß es sich zu sagen gar nicht lohnt, denn zu allen Zeiten, auch wenn
die Landwirte im allgemeinen glänzende Geschäfte machen, giebt es immer
manche, die zu Grunde gehen. Kommt es doch selbst heute, wo seit mehreren
Jahren das Geschrei: Wir gehen allesamt zu Grunde, die Landwirtschaft ist
tot! das Land durchtobt, hie und da immer noch vor, daß ein intelligenter
Landwirt mit unzureichenden Mitteln ein großes Rittergut lauft und sich so
mit sehenden Augen ins sichere Verderben stürzt — warum? vielleicht weil
er nun einmal ein Wagehals ist, oder weil er durchaus Schloßherr sein und
nicht in den Stand der Rustikalen hinabsteigen will. Wie verwegen mögen
da die Herrn erst bei steigenden Preisen sein!

Meyer führt nun aus, daß und warum die Preise noch weiter sinken
werden — vorzugsweise deswegen, weil in Argentinien erst ein Prozent des
dortigen Weizenbodens bebaut ist —, und meint, die Staatsregierungen könnten
unter den obwaltenden Umständen weiter nichts thun; die Maßregeln, die er seiner¬
zeit empfohlen habe: Abstellung der Schuldenwirtschaft und Anerberecht, kämen
heute entweder zu spät oder seien nicht mehr durchführbar. Wir selbst haben
das wiederholt noch ein wenig allgemeiner ausgesprochen; wir haben gesagt:
die unverschuldete Vererbung des ungeteilten Grundbesitzes macht sich in Zeiten,
wo sie möglich ist, d. h. bei Überfluß an billigem Boden, ganz von selbst ohne
Gesetz, von der Zeit ab dagegen, wo diese natürliche Bedingung schwindet,
sind Gesetze, die die unverschuldete und ungelenke Vererbung erzwingen sollen,
nicht mehr durchführbar; der gesetzliche Schutz gegen Verschuldung ist möglich,
solange er nicht nötig ist, und unmöglich, wenn er gerade nötig wäre. Meyer
glaubt nun, daß die Güter massenhaft von den Hypothekenbanken angekauft
werden, und daß diese Aktiengesellschaften den Betrieb felbst übernehmen werden,
sodaß auch in der Landwirtschaft der Großbetrieb den mittlern und den kleinen
aufsaugen würde. Ob diese Gefahr in Pommern so nahe bevorsteht, wissen
wir nicht; in den meisten Gegenden Deutschlands sind wir noch nicht so weit.
Als einziges Mittel der Selbsthilfe empfiehlt Meyer, der die von den Agra¬
riern vorgeschlagnen Mittel verwirft, die Anwendung der in Amerika all¬
gemein eingeführten landwirtschaftlichen Maschinen, die viel vollkommner seien
als die bei uns gebräuchlichen. Diese Maschinen erfordern aber zu ihrer Be¬
dienung intelligente Arbeiter, und das seien die Arbeiter Ostelbiens nicht, könnten
es auch nicht werden, weil sie gegen früher, wo sie noch richtiges Deputat
bekamen, im Nahrungsstande heruntergekommen und im Vergleich zu ihren
Vätern und Großvätern nur noch Krüppel seien. Demnach hänge das Schick¬
sal der ostelbischen Landwirtschaft von der Hebung des Arbeiterstandes ab.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223297"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein unbequemer Konservativer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1034" prev="#ID_1033"> der Konjunkturen erhebt. Dazu sind die meisten Latifundien als Fideikommisse<lb/>
gegen jeden Wechsel der Zeiten sicher gestellt. Dagegen sieht man nicht ein,<lb/>
worauf sich der Unterschied stützt, den Meyer zwischen den 1194 und den<lb/>
1200 Besitzern macht, und das, was er von den 1200 sagt, klingt so harm¬<lb/>
los, daß es sich zu sagen gar nicht lohnt, denn zu allen Zeiten, auch wenn<lb/>
die Landwirte im allgemeinen glänzende Geschäfte machen, giebt es immer<lb/>
manche, die zu Grunde gehen. Kommt es doch selbst heute, wo seit mehreren<lb/>
Jahren das Geschrei: Wir gehen allesamt zu Grunde, die Landwirtschaft ist<lb/>
tot! das Land durchtobt, hie und da immer noch vor, daß ein intelligenter<lb/>
Landwirt mit unzureichenden Mitteln ein großes Rittergut lauft und sich so<lb/>
mit sehenden Augen ins sichere Verderben stürzt &#x2014; warum? vielleicht weil<lb/>
er nun einmal ein Wagehals ist, oder weil er durchaus Schloßherr sein und<lb/>
nicht in den Stand der Rustikalen hinabsteigen will. Wie verwegen mögen<lb/>
da die Herrn erst bei steigenden Preisen sein!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1035" next="#ID_1036"> Meyer führt nun aus, daß und warum die Preise noch weiter sinken<lb/>
werden &#x2014; vorzugsweise deswegen, weil in Argentinien erst ein Prozent des<lb/>
dortigen Weizenbodens bebaut ist &#x2014;, und meint, die Staatsregierungen könnten<lb/>
unter den obwaltenden Umständen weiter nichts thun; die Maßregeln, die er seiner¬<lb/>
zeit empfohlen habe: Abstellung der Schuldenwirtschaft und Anerberecht, kämen<lb/>
heute entweder zu spät oder seien nicht mehr durchführbar. Wir selbst haben<lb/>
das wiederholt noch ein wenig allgemeiner ausgesprochen; wir haben gesagt:<lb/>
die unverschuldete Vererbung des ungeteilten Grundbesitzes macht sich in Zeiten,<lb/>
wo sie möglich ist, d. h. bei Überfluß an billigem Boden, ganz von selbst ohne<lb/>
Gesetz, von der Zeit ab dagegen, wo diese natürliche Bedingung schwindet,<lb/>
sind Gesetze, die die unverschuldete und ungelenke Vererbung erzwingen sollen,<lb/>
nicht mehr durchführbar; der gesetzliche Schutz gegen Verschuldung ist möglich,<lb/>
solange er nicht nötig ist, und unmöglich, wenn er gerade nötig wäre. Meyer<lb/>
glaubt nun, daß die Güter massenhaft von den Hypothekenbanken angekauft<lb/>
werden, und daß diese Aktiengesellschaften den Betrieb felbst übernehmen werden,<lb/>
sodaß auch in der Landwirtschaft der Großbetrieb den mittlern und den kleinen<lb/>
aufsaugen würde. Ob diese Gefahr in Pommern so nahe bevorsteht, wissen<lb/>
wir nicht; in den meisten Gegenden Deutschlands sind wir noch nicht so weit.<lb/>
Als einziges Mittel der Selbsthilfe empfiehlt Meyer, der die von den Agra¬<lb/>
riern vorgeschlagnen Mittel verwirft, die Anwendung der in Amerika all¬<lb/>
gemein eingeführten landwirtschaftlichen Maschinen, die viel vollkommner seien<lb/>
als die bei uns gebräuchlichen. Diese Maschinen erfordern aber zu ihrer Be¬<lb/>
dienung intelligente Arbeiter, und das seien die Arbeiter Ostelbiens nicht, könnten<lb/>
es auch nicht werden, weil sie gegen früher, wo sie noch richtiges Deputat<lb/>
bekamen, im Nahrungsstande heruntergekommen und im Vergleich zu ihren<lb/>
Vätern und Großvätern nur noch Krüppel seien. Demnach hänge das Schick¬<lb/>
sal der ostelbischen Landwirtschaft von der Hebung des Arbeiterstandes ab.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] Ein unbequemer Konservativer der Konjunkturen erhebt. Dazu sind die meisten Latifundien als Fideikommisse gegen jeden Wechsel der Zeiten sicher gestellt. Dagegen sieht man nicht ein, worauf sich der Unterschied stützt, den Meyer zwischen den 1194 und den 1200 Besitzern macht, und das, was er von den 1200 sagt, klingt so harm¬ los, daß es sich zu sagen gar nicht lohnt, denn zu allen Zeiten, auch wenn die Landwirte im allgemeinen glänzende Geschäfte machen, giebt es immer manche, die zu Grunde gehen. Kommt es doch selbst heute, wo seit mehreren Jahren das Geschrei: Wir gehen allesamt zu Grunde, die Landwirtschaft ist tot! das Land durchtobt, hie und da immer noch vor, daß ein intelligenter Landwirt mit unzureichenden Mitteln ein großes Rittergut lauft und sich so mit sehenden Augen ins sichere Verderben stürzt — warum? vielleicht weil er nun einmal ein Wagehals ist, oder weil er durchaus Schloßherr sein und nicht in den Stand der Rustikalen hinabsteigen will. Wie verwegen mögen da die Herrn erst bei steigenden Preisen sein! Meyer führt nun aus, daß und warum die Preise noch weiter sinken werden — vorzugsweise deswegen, weil in Argentinien erst ein Prozent des dortigen Weizenbodens bebaut ist —, und meint, die Staatsregierungen könnten unter den obwaltenden Umständen weiter nichts thun; die Maßregeln, die er seiner¬ zeit empfohlen habe: Abstellung der Schuldenwirtschaft und Anerberecht, kämen heute entweder zu spät oder seien nicht mehr durchführbar. Wir selbst haben das wiederholt noch ein wenig allgemeiner ausgesprochen; wir haben gesagt: die unverschuldete Vererbung des ungeteilten Grundbesitzes macht sich in Zeiten, wo sie möglich ist, d. h. bei Überfluß an billigem Boden, ganz von selbst ohne Gesetz, von der Zeit ab dagegen, wo diese natürliche Bedingung schwindet, sind Gesetze, die die unverschuldete und ungelenke Vererbung erzwingen sollen, nicht mehr durchführbar; der gesetzliche Schutz gegen Verschuldung ist möglich, solange er nicht nötig ist, und unmöglich, wenn er gerade nötig wäre. Meyer glaubt nun, daß die Güter massenhaft von den Hypothekenbanken angekauft werden, und daß diese Aktiengesellschaften den Betrieb felbst übernehmen werden, sodaß auch in der Landwirtschaft der Großbetrieb den mittlern und den kleinen aufsaugen würde. Ob diese Gefahr in Pommern so nahe bevorsteht, wissen wir nicht; in den meisten Gegenden Deutschlands sind wir noch nicht so weit. Als einziges Mittel der Selbsthilfe empfiehlt Meyer, der die von den Agra¬ riern vorgeschlagnen Mittel verwirft, die Anwendung der in Amerika all¬ gemein eingeführten landwirtschaftlichen Maschinen, die viel vollkommner seien als die bei uns gebräuchlichen. Diese Maschinen erfordern aber zu ihrer Be¬ dienung intelligente Arbeiter, und das seien die Arbeiter Ostelbiens nicht, könnten es auch nicht werden, weil sie gegen früher, wo sie noch richtiges Deputat bekamen, im Nahrungsstande heruntergekommen und im Vergleich zu ihren Vätern und Großvätern nur noch Krüppel seien. Demnach hänge das Schick¬ sal der ostelbischen Landwirtschaft von der Hebung des Arbeiterstandes ab.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/355>, abgerufen am 01.09.2024.