Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Zur Irrenpflege wollte, so würde die Ausbildung schwerlich besser werden. Die Ärzte haben Ganz im Rechte ist dagegen der Verfasser, wenn er den Mangel an gutem Die Würterfrage ist denn auch von Irrenärzten schon öfter erörtert worden, Aber die gute Vorbildung des Irrenarztes thut doch nicht alles. Oft Erlenmeyers Bemerkungen beschränken sich auf die Verhältnisse in Zur Irrenpflege wollte, so würde die Ausbildung schwerlich besser werden. Die Ärzte haben Ganz im Rechte ist dagegen der Verfasser, wenn er den Mangel an gutem Die Würterfrage ist denn auch von Irrenärzten schon öfter erörtert worden, Aber die gute Vorbildung des Irrenarztes thut doch nicht alles. Oft Erlenmeyers Bemerkungen beschränken sich auf die Verhältnisse in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223293"/> <fw type="header" place="top"> Zur Irrenpflege</fw><lb/> <p xml:id="ID_1022" prev="#ID_1021"> wollte, so würde die Ausbildung schwerlich besser werden. Die Ärzte haben<lb/> also auch keinen Grund, sich in ihrem Fache zu Unteroffizieren zu erniedrigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1023"> Ganz im Rechte ist dagegen der Verfasser, wenn er den Mangel an gutem<lb/> Wartepersonal hauptsächlich auf die unzureichende Besoldung schiebt. Bezahlt<lb/> man die Wärter ausreichend und gewährt man ihnen die Möglichkeit, sich zu<lb/> verheiraten, dann wird man auch tüchtige Leute bekommen. Erlenmeyer rät<lb/> namentlich, Familienhäuser sür das Wartepersonal zu errichten. Auch rügt<lb/> er die oft zu knapp bemessene Zeit für Erholung und Urlaub, deren doch die<lb/> Wärter bei ihrem schweren Dienst dringend bedürfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1024"> Die Würterfrage ist denn auch von Irrenärzten schon öfter erörtert worden,<lb/> so erst kürzlich wieder aus der Jahresversammlung süddeutscher Psychiater in<lb/> München. Aber noch wichtiger erscheint uns die der Ärzte. Hier handelt es<lb/> sich wieder um zweierlei, um ihre Vorbildung und um ihre soziale Stellung.<lb/> Daß die psychiatrische Ausbildung auf der Universität reformbedürftig sei, ist<lb/> eine alte Klage, und sie wird auch von Erlenmeyer mit Recht von neuem<lb/> vorgebracht. Der angehende Jrrenarzt muß schon von der Universität gute<lb/> Fachkenntnisse mitbringen, und die Universität muß die Zentralstelle bleiben,<lb/> von der aus der Geist der Wissenschaft und der Humanität befruchtend auf<lb/> das ganze Jrrenwesen wirkt. Solange aber die Psychiatrie noch nicht einen<lb/> Prüfungsgegenstand in dem Staatsexamen des Arztes bildet, bleibt das ganze<lb/> Jrrenwesen ohne rechten Zusammenhang mit der Universität.</p><lb/> <p xml:id="ID_1025"> Aber die gute Vorbildung des Irrenarztes thut doch nicht alles. Oft<lb/> Pflanzt sich ja die Auffassung, die er von seinem Berufe hat, auf die Wärter<lb/> fort und durchdringt die ganze Anstalt; aber sie allein reicht doch nicht aus,<lb/> wenn die Handhabung der Jrrenpflege allen Anforderungen entsprechen soll.<lb/> Dazu gehört, daß der Arzt in allem, was die Krankenpflege betrifft, auch<lb/> die Macht hat, seinem Willen Geltung zu verschaffen, d.h. daß er Herr im<lb/> Hause ist. Das trifft nicht zu für die Leiter solcher Privatanstalten, deren Be¬<lb/> sitzer nicht sie selbst, sondern irgendwelche Unternehmer, vielleicht Aktiengesell¬<lb/> schaften sind. Erlenmeyer fordert hier mit Recht, daß sich die staatliche Auf¬<lb/> sicht auf die Kontrakte dieser ärztlichen Anstaltsleiter ausdehne, und daß ihnen<lb/> völlige Unabhängigkeit in rein therapeutischer Hinsicht gewährleistet werden<lb/> solle. Er weist auch wieder auf die trüben Erfahrungen hin, die mit Anstalten<lb/> gemacht worden sind, die unter nichtsachkuudiger, geistlicher Leitung stehen, und<lb/> in denen der Arzt nur eine Nebenrolle spielt. Aber seine Hoffnung, daß der<lb/> Staat endlich einmal mit diesen Zuständen aufräumen werde, wird sich wohl<lb/> nicht so bald erfüllen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1026" next="#ID_1027"> Erlenmeyers Bemerkungen beschränken sich auf die Verhältnisse in<lb/> Privatanstalten, lassen dagegen völlig unerwähnt, daß in dieser Hinsicht auch in<lb/> den öffentlichen Anstalten meist sehr viel zu wünschen übrig bleibt. Und doch<lb/> ist die Sache wahrlich der Erwähnung wert, denn gerade die Stellung der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0351]
Zur Irrenpflege
wollte, so würde die Ausbildung schwerlich besser werden. Die Ärzte haben
also auch keinen Grund, sich in ihrem Fache zu Unteroffizieren zu erniedrigen.
Ganz im Rechte ist dagegen der Verfasser, wenn er den Mangel an gutem
Wartepersonal hauptsächlich auf die unzureichende Besoldung schiebt. Bezahlt
man die Wärter ausreichend und gewährt man ihnen die Möglichkeit, sich zu
verheiraten, dann wird man auch tüchtige Leute bekommen. Erlenmeyer rät
namentlich, Familienhäuser sür das Wartepersonal zu errichten. Auch rügt
er die oft zu knapp bemessene Zeit für Erholung und Urlaub, deren doch die
Wärter bei ihrem schweren Dienst dringend bedürfen.
Die Würterfrage ist denn auch von Irrenärzten schon öfter erörtert worden,
so erst kürzlich wieder aus der Jahresversammlung süddeutscher Psychiater in
München. Aber noch wichtiger erscheint uns die der Ärzte. Hier handelt es
sich wieder um zweierlei, um ihre Vorbildung und um ihre soziale Stellung.
Daß die psychiatrische Ausbildung auf der Universität reformbedürftig sei, ist
eine alte Klage, und sie wird auch von Erlenmeyer mit Recht von neuem
vorgebracht. Der angehende Jrrenarzt muß schon von der Universität gute
Fachkenntnisse mitbringen, und die Universität muß die Zentralstelle bleiben,
von der aus der Geist der Wissenschaft und der Humanität befruchtend auf
das ganze Jrrenwesen wirkt. Solange aber die Psychiatrie noch nicht einen
Prüfungsgegenstand in dem Staatsexamen des Arztes bildet, bleibt das ganze
Jrrenwesen ohne rechten Zusammenhang mit der Universität.
Aber die gute Vorbildung des Irrenarztes thut doch nicht alles. Oft
Pflanzt sich ja die Auffassung, die er von seinem Berufe hat, auf die Wärter
fort und durchdringt die ganze Anstalt; aber sie allein reicht doch nicht aus,
wenn die Handhabung der Jrrenpflege allen Anforderungen entsprechen soll.
Dazu gehört, daß der Arzt in allem, was die Krankenpflege betrifft, auch
die Macht hat, seinem Willen Geltung zu verschaffen, d.h. daß er Herr im
Hause ist. Das trifft nicht zu für die Leiter solcher Privatanstalten, deren Be¬
sitzer nicht sie selbst, sondern irgendwelche Unternehmer, vielleicht Aktiengesell¬
schaften sind. Erlenmeyer fordert hier mit Recht, daß sich die staatliche Auf¬
sicht auf die Kontrakte dieser ärztlichen Anstaltsleiter ausdehne, und daß ihnen
völlige Unabhängigkeit in rein therapeutischer Hinsicht gewährleistet werden
solle. Er weist auch wieder auf die trüben Erfahrungen hin, die mit Anstalten
gemacht worden sind, die unter nichtsachkuudiger, geistlicher Leitung stehen, und
in denen der Arzt nur eine Nebenrolle spielt. Aber seine Hoffnung, daß der
Staat endlich einmal mit diesen Zuständen aufräumen werde, wird sich wohl
nicht so bald erfüllen.
Erlenmeyers Bemerkungen beschränken sich auf die Verhältnisse in
Privatanstalten, lassen dagegen völlig unerwähnt, daß in dieser Hinsicht auch in
den öffentlichen Anstalten meist sehr viel zu wünschen übrig bleibt. Und doch
ist die Sache wahrlich der Erwähnung wert, denn gerade die Stellung der
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |