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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Jrrenpflege

anstalten, in fremder oder in der eignen Familie verpflegt werden. Für die
zu schaffende Aufsichtsbehörde macht er zwei Vorschläge. Der eine, von ihm
besonders empfohlne fordert die Errichtung einer Zentralbehörde für das ge¬
samte Jrrenwesen. Diese soll aus einer Zentralkommission und drei Provinzial-
kommisfaren bestehen. In der Zentralkommission hätte ein erfahrner Jrren¬
arzt den Vorsitz zu führen, ein Jurist und ein Bauverstäudiger die Beisitzer
zu bilden. Diese hätten sämtliche Geisteskranke einmal im Jahre zu besuchen.
Die Provinzialkommissare dagegen, ausschließlich Irrenärzte, hätten je einen
bestimmten Bereich, der etwa 15000 Kranke umfassen würde, zweimal jährlich
zu revidiren. Alle diese Beamte wären im Hauptamte anzustellen. Juristische
und bautechnische Hilfsbeamte müßten ihnen von den Behörden, in deren
Vereich die Revisionen stattfanden, je nach Bedarf zeitweilig zugeteilt werden.

Dieser Vorschlag findet unsern vollen Beifall. Der Hauptgegenstand aller
Revisionen sind die Kranken selbst, deshalb ist auch der Jrrenarzt der berufene
Leiter der Revision. Auch die meisten Rechtsfragen erledigen sich ohne weiteres
durch sein sachverständiges Urteil. Wenn man alle Beschwerden Geisteskranker
über widerrechtliche Einsparung an die Gerichte weitergeben wollte, dann hätten
diese kaum noch Zeit für die Rechtshändel der Gesunden. Nur für den Fall,
daß dem revidirenden Jrrenarzt Zweifel an der Art des Geisteszustandes auf-
stießen, müßte der Jurist die Sache in die Hände nehmen. Er hätte sich
außerdem an der Untersuchung von Beschwerden zu beteiligen, die über schlechte
Behandlung durch die Anstalt oder den Vormund klagen.

Um der Zentralbehörde ein größeres Gewicht beizulegen und ihre Revisionen
fruchtbringender zu machen, schlüge der Verfasser vor, daß jede Genehmigung einer
Anstalt oder eines Erweiterungsbaues von ihrem Gutachten abhängig gemacht
werden soll, und daß jede Genehmigung von ihr auch soll zurückgenommen
werden können. Insbesondre soll sie überall die höchste Velcgzifser festzusetzen
haben. Deshalb sollen ihr auch alle bereits bestehenden Anstalten, private
wie öffentliche, genaue Pläne einreichen, die nicht nur die Gebäude und Gärten,
sondern auch die Art der Belegung verzeichnen. Hierdurch wäre ein einheitliches
Archiv für das gesamte Jrrenwesen gegründet, und die revidirende Behörde
ginge stets mit genauster Kenntnis aller Verhältnisse einer Anstalt an ihre
Besichtigung. Sie hätte schließlich auch die Macht, ihren Worten Geltung zu
verschaffen. Es leuchtet ein, wie viele jetzt bestehende Übelstände hierdurch
schon im Keime erstickt werden würden.

Da der Verfasser fürchtet, sein Vorschlag könnte an den zu hohen Kosten
scheitern, so macht er noch einen zweiten. Er schlägt vor, einen Jrrenarzt als
Dezernenten im Kultusministerium und zwar im Hauptamt anzustellen, und
unter seiner Leitung die Revisionen durch die Kreisphysiker vornehmen zu
lassen. Diese Aufsicht könnte sich aber nur auf die Privatanstalten erstrecken
und hätte selbst dabei manches mißliche. Denn als erste unerläßliche Förte-


Zur Jrrenpflege

anstalten, in fremder oder in der eignen Familie verpflegt werden. Für die
zu schaffende Aufsichtsbehörde macht er zwei Vorschläge. Der eine, von ihm
besonders empfohlne fordert die Errichtung einer Zentralbehörde für das ge¬
samte Jrrenwesen. Diese soll aus einer Zentralkommission und drei Provinzial-
kommisfaren bestehen. In der Zentralkommission hätte ein erfahrner Jrren¬
arzt den Vorsitz zu führen, ein Jurist und ein Bauverstäudiger die Beisitzer
zu bilden. Diese hätten sämtliche Geisteskranke einmal im Jahre zu besuchen.
Die Provinzialkommissare dagegen, ausschließlich Irrenärzte, hätten je einen
bestimmten Bereich, der etwa 15000 Kranke umfassen würde, zweimal jährlich
zu revidiren. Alle diese Beamte wären im Hauptamte anzustellen. Juristische
und bautechnische Hilfsbeamte müßten ihnen von den Behörden, in deren
Vereich die Revisionen stattfanden, je nach Bedarf zeitweilig zugeteilt werden.

Dieser Vorschlag findet unsern vollen Beifall. Der Hauptgegenstand aller
Revisionen sind die Kranken selbst, deshalb ist auch der Jrrenarzt der berufene
Leiter der Revision. Auch die meisten Rechtsfragen erledigen sich ohne weiteres
durch sein sachverständiges Urteil. Wenn man alle Beschwerden Geisteskranker
über widerrechtliche Einsparung an die Gerichte weitergeben wollte, dann hätten
diese kaum noch Zeit für die Rechtshändel der Gesunden. Nur für den Fall,
daß dem revidirenden Jrrenarzt Zweifel an der Art des Geisteszustandes auf-
stießen, müßte der Jurist die Sache in die Hände nehmen. Er hätte sich
außerdem an der Untersuchung von Beschwerden zu beteiligen, die über schlechte
Behandlung durch die Anstalt oder den Vormund klagen.

Um der Zentralbehörde ein größeres Gewicht beizulegen und ihre Revisionen
fruchtbringender zu machen, schlüge der Verfasser vor, daß jede Genehmigung einer
Anstalt oder eines Erweiterungsbaues von ihrem Gutachten abhängig gemacht
werden soll, und daß jede Genehmigung von ihr auch soll zurückgenommen
werden können. Insbesondre soll sie überall die höchste Velcgzifser festzusetzen
haben. Deshalb sollen ihr auch alle bereits bestehenden Anstalten, private
wie öffentliche, genaue Pläne einreichen, die nicht nur die Gebäude und Gärten,
sondern auch die Art der Belegung verzeichnen. Hierdurch wäre ein einheitliches
Archiv für das gesamte Jrrenwesen gegründet, und die revidirende Behörde
ginge stets mit genauster Kenntnis aller Verhältnisse einer Anstalt an ihre
Besichtigung. Sie hätte schließlich auch die Macht, ihren Worten Geltung zu
verschaffen. Es leuchtet ein, wie viele jetzt bestehende Übelstände hierdurch
schon im Keime erstickt werden würden.

Da der Verfasser fürchtet, sein Vorschlag könnte an den zu hohen Kosten
scheitern, so macht er noch einen zweiten. Er schlägt vor, einen Jrrenarzt als
Dezernenten im Kultusministerium und zwar im Hauptamt anzustellen, und
unter seiner Leitung die Revisionen durch die Kreisphysiker vornehmen zu
lassen. Diese Aufsicht könnte sich aber nur auf die Privatanstalten erstrecken
und hätte selbst dabei manches mißliche. Denn als erste unerläßliche Förte-


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[0346] Zur Jrrenpflege anstalten, in fremder oder in der eignen Familie verpflegt werden. Für die zu schaffende Aufsichtsbehörde macht er zwei Vorschläge. Der eine, von ihm besonders empfohlne fordert die Errichtung einer Zentralbehörde für das ge¬ samte Jrrenwesen. Diese soll aus einer Zentralkommission und drei Provinzial- kommisfaren bestehen. In der Zentralkommission hätte ein erfahrner Jrren¬ arzt den Vorsitz zu führen, ein Jurist und ein Bauverstäudiger die Beisitzer zu bilden. Diese hätten sämtliche Geisteskranke einmal im Jahre zu besuchen. Die Provinzialkommissare dagegen, ausschließlich Irrenärzte, hätten je einen bestimmten Bereich, der etwa 15000 Kranke umfassen würde, zweimal jährlich zu revidiren. Alle diese Beamte wären im Hauptamte anzustellen. Juristische und bautechnische Hilfsbeamte müßten ihnen von den Behörden, in deren Vereich die Revisionen stattfanden, je nach Bedarf zeitweilig zugeteilt werden. Dieser Vorschlag findet unsern vollen Beifall. Der Hauptgegenstand aller Revisionen sind die Kranken selbst, deshalb ist auch der Jrrenarzt der berufene Leiter der Revision. Auch die meisten Rechtsfragen erledigen sich ohne weiteres durch sein sachverständiges Urteil. Wenn man alle Beschwerden Geisteskranker über widerrechtliche Einsparung an die Gerichte weitergeben wollte, dann hätten diese kaum noch Zeit für die Rechtshändel der Gesunden. Nur für den Fall, daß dem revidirenden Jrrenarzt Zweifel an der Art des Geisteszustandes auf- stießen, müßte der Jurist die Sache in die Hände nehmen. Er hätte sich außerdem an der Untersuchung von Beschwerden zu beteiligen, die über schlechte Behandlung durch die Anstalt oder den Vormund klagen. Um der Zentralbehörde ein größeres Gewicht beizulegen und ihre Revisionen fruchtbringender zu machen, schlüge der Verfasser vor, daß jede Genehmigung einer Anstalt oder eines Erweiterungsbaues von ihrem Gutachten abhängig gemacht werden soll, und daß jede Genehmigung von ihr auch soll zurückgenommen werden können. Insbesondre soll sie überall die höchste Velcgzifser festzusetzen haben. Deshalb sollen ihr auch alle bereits bestehenden Anstalten, private wie öffentliche, genaue Pläne einreichen, die nicht nur die Gebäude und Gärten, sondern auch die Art der Belegung verzeichnen. Hierdurch wäre ein einheitliches Archiv für das gesamte Jrrenwesen gegründet, und die revidirende Behörde ginge stets mit genauster Kenntnis aller Verhältnisse einer Anstalt an ihre Besichtigung. Sie hätte schließlich auch die Macht, ihren Worten Geltung zu verschaffen. Es leuchtet ein, wie viele jetzt bestehende Übelstände hierdurch schon im Keime erstickt werden würden. Da der Verfasser fürchtet, sein Vorschlag könnte an den zu hohen Kosten scheitern, so macht er noch einen zweiten. Er schlägt vor, einen Jrrenarzt als Dezernenten im Kultusministerium und zwar im Hauptamt anzustellen, und unter seiner Leitung die Revisionen durch die Kreisphysiker vornehmen zu lassen. Diese Aufsicht könnte sich aber nur auf die Privatanstalten erstrecken und hätte selbst dabei manches mißliche. Denn als erste unerläßliche Förte-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/346>, abgerufen am 01.09.2024.