Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Decadencehelden in die verbummelten, hercibgestimmten und bcstienhaft einander bekriegenden deutscheu Decadencehelden in die verbummelten, hercibgestimmten und bcstienhaft einander bekriegenden deutscheu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223233"/> <fw type="header" place="top"> Decadencehelden</fw><lb/> <p xml:id="ID_865" prev="#ID_864" next="#ID_866"> in die verbummelten, hercibgestimmten und bcstienhaft einander bekriegenden deutscheu<lb/> Küustlerkreise und Malerkliguen der ewigen Stadt eintritt, erscheint er als ein<lb/> Talent. Er hat sich vom Lithographen, wozu ihn ein ehrenfester Berliner Bürger<lb/> in seinem Geschäft ausgebildet hat, zum Maler emporgeschwungen, hat Gönner,<lb/> namentlich einen Gönner, den Kommerzienrat Wollheim, gefunden, der ihm das<lb/> erste Emporsteigen auf der steilen Glllcksleiter modernen Küustlertums ermöglicht<lb/> hat. Er hat trotz der schlimmen Voraussage seines Lehrers an der Kunstakademie:<lb/> „Das ist nicht das Holz, aus dem man die wirklich großen Künstler schmilzt, seine<lb/> Augen sehen zu viel ans einmal. Das ist Material für die Legion derer, die alles<lb/> wollen und deshalb nachher nichts können," gewaltige Fortschritte gemacht, aber<lb/> im ersten Rausche des Erfolgs auch eine Schuld auf sich geladen, die das Ver¬<lb/> hängnis seines Lebens wird. Verliebt in seine Wohlthäterin, die Frau des Kom-<lb/> merzienrath Wollheim, hat er diese Frau in seine Arme gerissen, und bei ihr ist<lb/> das, was ihm als eine wilde Jugendcpisode erschien, Schicksal geworden. Sie will<lb/> los von dem Gatten, den sie betrogen hat, will die Frau des Künstlers werden,<lb/> um deswillen das alles geschehen ist. Als der Kommerzienrat die Wahrheit ent¬<lb/> deckt, ist er in Ekel und Entrüstung mit diesem Ausgang einverstanden. Und so<lb/> hat Hilmar seine Fahrt nach Rom unter dem ungünstigsten Gestirn angetreten, das<lb/> je einen Künstler nach der ewigen Stadt geleitet hat. „Er mußte sich sagen, daß<lb/> er seine Hände nach einer Fran ausgestreckt hatte, für die zu sorgen ihm unmöglich<lb/> fiel, von der er selber vielmehr die Mittel zu seinem Lebensunterhalt annehmen<lb/> mußte, um nicht zu verhungern. Und diese Mittel konnten nur aus der Großmut<lb/> desjenigen fließen, der ihn bis heute erhalten und erhoben hatte, und den er zum<lb/> Dank dafür betrogen und beraubt hatte. Es war umsonst, sich dagegen zu sperren."<lb/> So erscheint der rasende, fieberhafte Ehrgeiz, der ihn beseelt, der ihn zur Arbeit<lb/> Peitsche und bei der Arbeit wieder lahmt, einigermaßen begreiflich. Um fo un¬<lb/> begreiflicher wird sein Versälle» während seines römischen Aufenthalts. Der „welt¬<lb/> überwindende Erfolg," der seine Zukunft gründen, rückwärts seiue Vergangenheit<lb/> adeln soll, ist natürlich ein kranker Traum seines überreizten Gehirns. Bei dem<lb/> völligen Mangel an stiller Hingebung, an gleichmäßig wachsender Arbeit, mit der<lb/> eines Künstlers Seele wie seine Kraft wächst, bei der wilden Gier, mit der Hilmar<lb/> zuerst als Maler, denn als Bildhauer uach einem Erstlingswerke lechzt, das alles<lb/> Dagewesene überbieten soll, wäre seine Seele bedroht, mich ohne daß er einer neuen<lb/> Leidenschaft versiele. Er lebt nnter Leuten, die auf die jüngste Kunst schwören,<lb/> deren Lösung ist: „Feuer in den Vatikan," die gewiß sind: „was Rafael und<lb/> Perugino konnten, können wir auch, allezeit können wir das noch — aber wir<lb/> können weit mehr. Das, was es von Kunst bisher in der Welt gegeben hat, das<lb/> lernt man spielend nachmachen, damit ist es nichts, wir wollen erst eine Kunst<lb/> schaffen!" Aber er vermag sich nicht wie diese zu verblenden, so daß sein un¬<lb/> gestümer Ansturm immer an einem gewissen Punkt innehält, sein riesiges Wollen<lb/> Plötzlich zusammenbricht. Und in dieses von innen heraus zerstörte Leben, in dieses<lb/> Geschick, dem er nur uoch mit der herbsten Entsagung und der strengsten Pflicht¬<lb/> erfüllung eine menschlich edle, ja nur menschlich erträgliche Wendung geben<lb/> könnte, zieht er ein blühendes Dasein, die junge Livlünderin Maria vou Holmen,<lb/> hinein. Er verstrickt sie, obwohl er genau weiß, daß er ihr nichts sein kann und<lb/> darf, in ein Bündnis mit sich, er nötigt ihr in rasender Künstlereitclkeit und<lb/> dämonischer Selbstsucht Opfer ab, die die Geliebte allenfalls dem künftigen Gatten,<lb/> aber nicht die Fremde dem zufälligen Bekannten bringen darf. Er verheißt ihr<lb/> alles, wo er ihr nichts zu geben hat, und schmettert in haltloser Verzweiflung,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0291]
Decadencehelden
in die verbummelten, hercibgestimmten und bcstienhaft einander bekriegenden deutscheu
Küustlerkreise und Malerkliguen der ewigen Stadt eintritt, erscheint er als ein
Talent. Er hat sich vom Lithographen, wozu ihn ein ehrenfester Berliner Bürger
in seinem Geschäft ausgebildet hat, zum Maler emporgeschwungen, hat Gönner,
namentlich einen Gönner, den Kommerzienrat Wollheim, gefunden, der ihm das
erste Emporsteigen auf der steilen Glllcksleiter modernen Küustlertums ermöglicht
hat. Er hat trotz der schlimmen Voraussage seines Lehrers an der Kunstakademie:
„Das ist nicht das Holz, aus dem man die wirklich großen Künstler schmilzt, seine
Augen sehen zu viel ans einmal. Das ist Material für die Legion derer, die alles
wollen und deshalb nachher nichts können," gewaltige Fortschritte gemacht, aber
im ersten Rausche des Erfolgs auch eine Schuld auf sich geladen, die das Ver¬
hängnis seines Lebens wird. Verliebt in seine Wohlthäterin, die Frau des Kom-
merzienrath Wollheim, hat er diese Frau in seine Arme gerissen, und bei ihr ist
das, was ihm als eine wilde Jugendcpisode erschien, Schicksal geworden. Sie will
los von dem Gatten, den sie betrogen hat, will die Frau des Künstlers werden,
um deswillen das alles geschehen ist. Als der Kommerzienrat die Wahrheit ent¬
deckt, ist er in Ekel und Entrüstung mit diesem Ausgang einverstanden. Und so
hat Hilmar seine Fahrt nach Rom unter dem ungünstigsten Gestirn angetreten, das
je einen Künstler nach der ewigen Stadt geleitet hat. „Er mußte sich sagen, daß
er seine Hände nach einer Fran ausgestreckt hatte, für die zu sorgen ihm unmöglich
fiel, von der er selber vielmehr die Mittel zu seinem Lebensunterhalt annehmen
mußte, um nicht zu verhungern. Und diese Mittel konnten nur aus der Großmut
desjenigen fließen, der ihn bis heute erhalten und erhoben hatte, und den er zum
Dank dafür betrogen und beraubt hatte. Es war umsonst, sich dagegen zu sperren."
So erscheint der rasende, fieberhafte Ehrgeiz, der ihn beseelt, der ihn zur Arbeit
Peitsche und bei der Arbeit wieder lahmt, einigermaßen begreiflich. Um fo un¬
begreiflicher wird sein Versälle» während seines römischen Aufenthalts. Der „welt¬
überwindende Erfolg," der seine Zukunft gründen, rückwärts seiue Vergangenheit
adeln soll, ist natürlich ein kranker Traum seines überreizten Gehirns. Bei dem
völligen Mangel an stiller Hingebung, an gleichmäßig wachsender Arbeit, mit der
eines Künstlers Seele wie seine Kraft wächst, bei der wilden Gier, mit der Hilmar
zuerst als Maler, denn als Bildhauer uach einem Erstlingswerke lechzt, das alles
Dagewesene überbieten soll, wäre seine Seele bedroht, mich ohne daß er einer neuen
Leidenschaft versiele. Er lebt nnter Leuten, die auf die jüngste Kunst schwören,
deren Lösung ist: „Feuer in den Vatikan," die gewiß sind: „was Rafael und
Perugino konnten, können wir auch, allezeit können wir das noch — aber wir
können weit mehr. Das, was es von Kunst bisher in der Welt gegeben hat, das
lernt man spielend nachmachen, damit ist es nichts, wir wollen erst eine Kunst
schaffen!" Aber er vermag sich nicht wie diese zu verblenden, so daß sein un¬
gestümer Ansturm immer an einem gewissen Punkt innehält, sein riesiges Wollen
Plötzlich zusammenbricht. Und in dieses von innen heraus zerstörte Leben, in dieses
Geschick, dem er nur uoch mit der herbsten Entsagung und der strengsten Pflicht¬
erfüllung eine menschlich edle, ja nur menschlich erträgliche Wendung geben
könnte, zieht er ein blühendes Dasein, die junge Livlünderin Maria vou Holmen,
hinein. Er verstrickt sie, obwohl er genau weiß, daß er ihr nichts sein kann und
darf, in ein Bündnis mit sich, er nötigt ihr in rasender Künstlereitclkeit und
dämonischer Selbstsucht Opfer ab, die die Geliebte allenfalls dem künftigen Gatten,
aber nicht die Fremde dem zufälligen Bekannten bringen darf. Er verheißt ihr
alles, wo er ihr nichts zu geben hat, und schmettert in haltloser Verzweiflung,
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