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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

Richtung war Redwitzens "Amaranth" (1849), als katholisches Tendenzwerk
natürlich den Berliner Münchnern verhaßt, künstlerisch aber ganz sicher ans
ihrem Geiste geboren, von einem verwandten Talent geschaffen, das sich denn
auch wirklich ganz im Sinne der Münchner entwickelte. Das protestantische
Norddentschlcind lieferte dann als Gegengift gegen die "Amaranth" "Wald¬
meisters Brautfahrt" von Otto Roauette (1851); in demselben Jahr traten
Bodenstedts "Lieder des Mirzci Schafft)" hervor, auch ein Gegengift gegen die
"Amaranth" und in der schwülsten Zeit der Reaktion immerhin etwas wie ein
frischer Luftzug. Und darauf kam die ganze Flut der Wald-, Blumen-,
Märchen- und Spielmannsdichtung, von deren Vertretern ich nur Adolf
Böttger ("Hyacinth und Liliade" schon 1849), Gustav zu Putlitz, Julius
Rodenberg und August Becker nenne. Scheffels "Trompeter," der auch hierher
gehört, folgte 1854. Inzwischen war Geibel (1852) nach München berufen
worden, Grosse kam in demselben Jahre, Vvdenstedt und Hesse folgten 1854,
1855 erschien Schack, und so fand sich die Münchner Schule allmählich zu¬
sammen.

Wenn es das Kennzeichen des Sturms und Dranges ist, daß man zu¬
nächst in heftiger Weise gegen die poetischen Vorgänger und die Zeitgenossen,
die nicht an dem gleichen Strange ziehen, auftritt und nicht bloß eine neue
Kunst, sondern auch neue Lebensformen heraufzuführen vermeint, so sind die
Münchner, wenigstens die jüngern, sicher Stürmer und Dränger gewesen,
wenn sich auch ihr Sturm und Drang nicht gerade allein auf Münchner
Boden, sondern zum Teil schon früher, für Heyse und Genossen z. B. in Berlin,
für Noquette und Grosse in Halle abspielte und niemals plebejische Formen
annahm, wie der von 1770 und der von 1890. Ein gutes Teil wurde übrigens
auch noch mit in die Jsarstndt gebracht und kam dort zur Blüte. Charak¬
teristisch für die Münchner ist vor allem, daß sie sich durchaus als Künstler
fühlen, im Gegensatz zum Philister, aber auch zum jungdeutschen Publizisten,
und freilich wohl auch in der dunkeln Empfindung, daß der Poet durch den
Anschluß an die Jünger der bildenden Künste im wirklichen Leben uur ge¬
winnen könne, daß Künstler immer etwas, Dichter gar nichts sei. So wurden
die Sammetröcke und Kalabreser der Maler und der Bildhauer auch für die
Dichter Mode, und selbst das Haupt des Kreises verschmähte sie nicht, mar¬
schierte dahin "halb Minstrel, halb Landsknecht." wie Hans Hopfen sagt.
Doch das ist mir eine charakteristische Kleinigkeit. Was die Münchner vor
allem zur bildenden Kunst zog, war nicht das genialische Wesen ihrer Ver¬
treter, sondern die in dem Talent der meisten begründete-Richtung auf die
formale Schönheit, die zu einem einseitigen Schönheitskultus führte. Hier
liegt sowohl ihre besondre Bedeutung als die Ursache ihres Vcrsinkens in
Formalismus und Akademismus, der Abwendung ihrer Poesie vom Leben
oder doch seinen größten und schwersten Problemen. Aber trotz ihres Schön-


Die Alten und die Jungen

Richtung war Redwitzens „Amaranth" (1849), als katholisches Tendenzwerk
natürlich den Berliner Münchnern verhaßt, künstlerisch aber ganz sicher ans
ihrem Geiste geboren, von einem verwandten Talent geschaffen, das sich denn
auch wirklich ganz im Sinne der Münchner entwickelte. Das protestantische
Norddentschlcind lieferte dann als Gegengift gegen die „Amaranth" „Wald¬
meisters Brautfahrt" von Otto Roauette (1851); in demselben Jahr traten
Bodenstedts „Lieder des Mirzci Schafft)" hervor, auch ein Gegengift gegen die
„Amaranth" und in der schwülsten Zeit der Reaktion immerhin etwas wie ein
frischer Luftzug. Und darauf kam die ganze Flut der Wald-, Blumen-,
Märchen- und Spielmannsdichtung, von deren Vertretern ich nur Adolf
Böttger („Hyacinth und Liliade" schon 1849), Gustav zu Putlitz, Julius
Rodenberg und August Becker nenne. Scheffels „Trompeter," der auch hierher
gehört, folgte 1854. Inzwischen war Geibel (1852) nach München berufen
worden, Grosse kam in demselben Jahre, Vvdenstedt und Hesse folgten 1854,
1855 erschien Schack, und so fand sich die Münchner Schule allmählich zu¬
sammen.

Wenn es das Kennzeichen des Sturms und Dranges ist, daß man zu¬
nächst in heftiger Weise gegen die poetischen Vorgänger und die Zeitgenossen,
die nicht an dem gleichen Strange ziehen, auftritt und nicht bloß eine neue
Kunst, sondern auch neue Lebensformen heraufzuführen vermeint, so sind die
Münchner, wenigstens die jüngern, sicher Stürmer und Dränger gewesen,
wenn sich auch ihr Sturm und Drang nicht gerade allein auf Münchner
Boden, sondern zum Teil schon früher, für Heyse und Genossen z. B. in Berlin,
für Noquette und Grosse in Halle abspielte und niemals plebejische Formen
annahm, wie der von 1770 und der von 1890. Ein gutes Teil wurde übrigens
auch noch mit in die Jsarstndt gebracht und kam dort zur Blüte. Charak¬
teristisch für die Münchner ist vor allem, daß sie sich durchaus als Künstler
fühlen, im Gegensatz zum Philister, aber auch zum jungdeutschen Publizisten,
und freilich wohl auch in der dunkeln Empfindung, daß der Poet durch den
Anschluß an die Jünger der bildenden Künste im wirklichen Leben uur ge¬
winnen könne, daß Künstler immer etwas, Dichter gar nichts sei. So wurden
die Sammetröcke und Kalabreser der Maler und der Bildhauer auch für die
Dichter Mode, und selbst das Haupt des Kreises verschmähte sie nicht, mar¬
schierte dahin „halb Minstrel, halb Landsknecht." wie Hans Hopfen sagt.
Doch das ist mir eine charakteristische Kleinigkeit. Was die Münchner vor
allem zur bildenden Kunst zog, war nicht das genialische Wesen ihrer Ver¬
treter, sondern die in dem Talent der meisten begründete-Richtung auf die
formale Schönheit, die zu einem einseitigen Schönheitskultus führte. Hier
liegt sowohl ihre besondre Bedeutung als die Ursache ihres Vcrsinkens in
Formalismus und Akademismus, der Abwendung ihrer Poesie vom Leben
oder doch seinen größten und schwersten Problemen. Aber trotz ihres Schön-


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[0282] Die Alten und die Jungen Richtung war Redwitzens „Amaranth" (1849), als katholisches Tendenzwerk natürlich den Berliner Münchnern verhaßt, künstlerisch aber ganz sicher ans ihrem Geiste geboren, von einem verwandten Talent geschaffen, das sich denn auch wirklich ganz im Sinne der Münchner entwickelte. Das protestantische Norddentschlcind lieferte dann als Gegengift gegen die „Amaranth" „Wald¬ meisters Brautfahrt" von Otto Roauette (1851); in demselben Jahr traten Bodenstedts „Lieder des Mirzci Schafft)" hervor, auch ein Gegengift gegen die „Amaranth" und in der schwülsten Zeit der Reaktion immerhin etwas wie ein frischer Luftzug. Und darauf kam die ganze Flut der Wald-, Blumen-, Märchen- und Spielmannsdichtung, von deren Vertretern ich nur Adolf Böttger („Hyacinth und Liliade" schon 1849), Gustav zu Putlitz, Julius Rodenberg und August Becker nenne. Scheffels „Trompeter," der auch hierher gehört, folgte 1854. Inzwischen war Geibel (1852) nach München berufen worden, Grosse kam in demselben Jahre, Vvdenstedt und Hesse folgten 1854, 1855 erschien Schack, und so fand sich die Münchner Schule allmählich zu¬ sammen. Wenn es das Kennzeichen des Sturms und Dranges ist, daß man zu¬ nächst in heftiger Weise gegen die poetischen Vorgänger und die Zeitgenossen, die nicht an dem gleichen Strange ziehen, auftritt und nicht bloß eine neue Kunst, sondern auch neue Lebensformen heraufzuführen vermeint, so sind die Münchner, wenigstens die jüngern, sicher Stürmer und Dränger gewesen, wenn sich auch ihr Sturm und Drang nicht gerade allein auf Münchner Boden, sondern zum Teil schon früher, für Heyse und Genossen z. B. in Berlin, für Noquette und Grosse in Halle abspielte und niemals plebejische Formen annahm, wie der von 1770 und der von 1890. Ein gutes Teil wurde übrigens auch noch mit in die Jsarstndt gebracht und kam dort zur Blüte. Charak¬ teristisch für die Münchner ist vor allem, daß sie sich durchaus als Künstler fühlen, im Gegensatz zum Philister, aber auch zum jungdeutschen Publizisten, und freilich wohl auch in der dunkeln Empfindung, daß der Poet durch den Anschluß an die Jünger der bildenden Künste im wirklichen Leben uur ge¬ winnen könne, daß Künstler immer etwas, Dichter gar nichts sei. So wurden die Sammetröcke und Kalabreser der Maler und der Bildhauer auch für die Dichter Mode, und selbst das Haupt des Kreises verschmähte sie nicht, mar¬ schierte dahin „halb Minstrel, halb Landsknecht." wie Hans Hopfen sagt. Doch das ist mir eine charakteristische Kleinigkeit. Was die Münchner vor allem zur bildenden Kunst zog, war nicht das genialische Wesen ihrer Ver¬ treter, sondern die in dem Talent der meisten begründete-Richtung auf die formale Schönheit, die zu einem einseitigen Schönheitskultus führte. Hier liegt sowohl ihre besondre Bedeutung als die Ursache ihres Vcrsinkens in Formalismus und Akademismus, der Abwendung ihrer Poesie vom Leben oder doch seinen größten und schwersten Problemen. Aber trotz ihres Schön-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/282>, abgerufen am 01.09.2024.