Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Die Allen und die Immen Wie bei Reuter, sehe ich auch bei Klaus Groth völlig davon ab, daß er Auch Klaus Groths Landsmann, Theodor Storm, wurzelt im niedec- Die Allen und die Immen Wie bei Reuter, sehe ich auch bei Klaus Groth völlig davon ab, daß er Auch Klaus Groths Landsmann, Theodor Storm, wurzelt im niedec- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223220"/> <fw type="header" place="top"> Die Allen und die Immen</fw><lb/> <p xml:id="ID_830"> Wie bei Reuter, sehe ich auch bei Klaus Groth völlig davon ab, daß er<lb/> im Dialekt gedichtet hat. Die innere Notwendigkeit, es zu thun, war vor¬<lb/> handen, und das Beispiel der allemannischen Gedichte Hebels hatte längst<lb/> bewiesen, daß eine Sammlung von Dialektgedichten in ganz Deutschland klassische<lb/> Geltung gewinnen und behalten kann. Nach Uhlands Tode 1862 sagte Hebbel,<lb/> jetzt besteige Klaus Groth den lyrischen Thron in Deutschland, und in der<lb/> That ist seine Stellung im Norden eine ganz ähnliche wie die Uhlands im<lb/> Süden, ja das lyrische Talent beider ist verwandt, obwohl man doch wieder<lb/> den Unterschied zwischen dem Schwaben und dem Niedersachsen nicht übersehen<lb/> darf. Klaus Grvths „Qnickbvrn" ist eine Gedichtsammlung, der in der ganzen<lb/> dentschen Litteratur, mit Ausnahme vielleicht von Hebels Gedichten, nichts an<lb/> die Seite zu stellen ist, der getreue und allseitige Ausdruck eines ganzen Volks-<lb/> tums, und zwar eines noch uugebrvchneu; selbst die persönlichste Lyrik bleibt<lb/> im allgemeinen im Rahmen dieses Volkstums. Und zu der Lyrik des „Qnick¬<lb/> bvrn" bilden die „Verteiln" Klaus Grvths die Ergänzung, indem sie das<lb/> Zuständliche auf niedersächsischer Erde vor Anbruch der neuen Zeit, alles, was<lb/> nicht in die lyrische Form aufging, mit meisterhafter Kunst darstellen, mit<lb/> einer Kunst, die über Reuter hinausgeht und an Otto Ludwig in seinen<lb/> Thüringer Erzählungen erinnert. Es wäre zu wünschen, daß Klaus Groth<lb/> endlich Nachfolger bei deu übrigen deutschen Stämmen fände, wenn uicht die<lb/> Stammesart in neuerer Zeit vielleicht schon zu sehr angegriffen ist, als daß<lb/> sie noch den mächtigen Trieb zur Selbstdarstellung in sich trüge. Einige<lb/> Hoffnung, daß es doch noch nicht der Fall ist, giebt mir — es mag das<lb/> wunderlich klingen — Gerhart Hauptmann.</p><lb/> <p xml:id="ID_831" next="#ID_832"> Auch Klaus Groths Landsmann, Theodor Storm, wurzelt im niedec-<lb/> sächsischeu Stammestum, das übrigens bei ihm als Schleswiger schon etwas<lb/> nordisches hat; er ist aber dadurch viel weniger gebunden, ist viel mehr per¬<lb/> sönlicher Künstler als Groth. Das Urteil über Storm schwankt immer noch<lb/> etwas, einige heben ihn weit über seine Landsleute Hebbel und Grvth<lb/> hinaus und möchten ihn als den größten Dichter der ganzen Zeit anerkannt<lb/> wissen, andre sehen in ihm immer wieder nur den virtuosen Kleinmaler. Daß<lb/> er als Lyriker mit Mörike, als Novellist mit Stifter einige Verwandtschaft<lb/> hat, wird nicht zu leugnen sein, ebenso wenig aber, daß er sehr bald zur<lb/> Selbständigkeit gelangte und unter deu deutschen Dichtern einer der größten<lb/> „Spezialistin" wurde, die je gelebt haben. Vortrefflich ist der von Adolf<lb/> Stern gebrauchte Vergleich Storms mit einem jener alten holländischen Land¬<lb/> schafter, deren zauberhaften Stimmungsbildern wir uns noch heute nach Jahr¬<lb/> hunderten nicht entziehen können, doch hat Storm in seiner Weise auch den<lb/> Umfang der Menschennatur und der moralischen Welt so ziemlich umschritten.<lb/> Ihn an die Spitze aller modernen Lyriker zu stellen, wie das wohl geschieht,<lb/> kann mir nicht in den Sinn kommen, dort stehen sür mich immer noch Eduard</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0278]
Die Allen und die Immen
Wie bei Reuter, sehe ich auch bei Klaus Groth völlig davon ab, daß er
im Dialekt gedichtet hat. Die innere Notwendigkeit, es zu thun, war vor¬
handen, und das Beispiel der allemannischen Gedichte Hebels hatte längst
bewiesen, daß eine Sammlung von Dialektgedichten in ganz Deutschland klassische
Geltung gewinnen und behalten kann. Nach Uhlands Tode 1862 sagte Hebbel,
jetzt besteige Klaus Groth den lyrischen Thron in Deutschland, und in der
That ist seine Stellung im Norden eine ganz ähnliche wie die Uhlands im
Süden, ja das lyrische Talent beider ist verwandt, obwohl man doch wieder
den Unterschied zwischen dem Schwaben und dem Niedersachsen nicht übersehen
darf. Klaus Grvths „Qnickbvrn" ist eine Gedichtsammlung, der in der ganzen
dentschen Litteratur, mit Ausnahme vielleicht von Hebels Gedichten, nichts an
die Seite zu stellen ist, der getreue und allseitige Ausdruck eines ganzen Volks-
tums, und zwar eines noch uugebrvchneu; selbst die persönlichste Lyrik bleibt
im allgemeinen im Rahmen dieses Volkstums. Und zu der Lyrik des „Qnick¬
bvrn" bilden die „Verteiln" Klaus Grvths die Ergänzung, indem sie das
Zuständliche auf niedersächsischer Erde vor Anbruch der neuen Zeit, alles, was
nicht in die lyrische Form aufging, mit meisterhafter Kunst darstellen, mit
einer Kunst, die über Reuter hinausgeht und an Otto Ludwig in seinen
Thüringer Erzählungen erinnert. Es wäre zu wünschen, daß Klaus Groth
endlich Nachfolger bei deu übrigen deutschen Stämmen fände, wenn uicht die
Stammesart in neuerer Zeit vielleicht schon zu sehr angegriffen ist, als daß
sie noch den mächtigen Trieb zur Selbstdarstellung in sich trüge. Einige
Hoffnung, daß es doch noch nicht der Fall ist, giebt mir — es mag das
wunderlich klingen — Gerhart Hauptmann.
Auch Klaus Groths Landsmann, Theodor Storm, wurzelt im niedec-
sächsischeu Stammestum, das übrigens bei ihm als Schleswiger schon etwas
nordisches hat; er ist aber dadurch viel weniger gebunden, ist viel mehr per¬
sönlicher Künstler als Groth. Das Urteil über Storm schwankt immer noch
etwas, einige heben ihn weit über seine Landsleute Hebbel und Grvth
hinaus und möchten ihn als den größten Dichter der ganzen Zeit anerkannt
wissen, andre sehen in ihm immer wieder nur den virtuosen Kleinmaler. Daß
er als Lyriker mit Mörike, als Novellist mit Stifter einige Verwandtschaft
hat, wird nicht zu leugnen sein, ebenso wenig aber, daß er sehr bald zur
Selbständigkeit gelangte und unter deu deutschen Dichtern einer der größten
„Spezialistin" wurde, die je gelebt haben. Vortrefflich ist der von Adolf
Stern gebrauchte Vergleich Storms mit einem jener alten holländischen Land¬
schafter, deren zauberhaften Stimmungsbildern wir uns noch heute nach Jahr¬
hunderten nicht entziehen können, doch hat Storm in seiner Weise auch den
Umfang der Menschennatur und der moralischen Welt so ziemlich umschritten.
Ihn an die Spitze aller modernen Lyriker zu stellen, wie das wohl geschieht,
kann mir nicht in den Sinn kommen, dort stehen sür mich immer noch Eduard
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