Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Der Ausbau des Arbeiterschutzes geradezu den Antrag eingebracht, die Regierung möge im Bundesrate dahin Anders liegen die Dinge bei dem Gesetzentwurfe, den die Reichskommission Was enthält nun die Vorlage der Neichskommission? Der Entwurf hat Grenzboten III 189K 2V
Der Ausbau des Arbeiterschutzes geradezu den Antrag eingebracht, die Regierung möge im Bundesrate dahin Anders liegen die Dinge bei dem Gesetzentwurfe, den die Reichskommission Was enthält nun die Vorlage der Neichskommission? Der Entwurf hat Grenzboten III 189K 2V
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223151"/> <fw type="header" place="top"> Der Ausbau des Arbeiterschutzes</fw><lb/> <p xml:id="ID_626" prev="#ID_625"> geradezu den Antrag eingebracht, die Regierung möge im Bundesrate dahin<lb/> wirken, daß die Verordnung nicht in Kraft trete. Die Debatte darüber, die<lb/> sehr lehrreich für die Erkenntnis der — Unkenntnis der konservativen Sozial¬<lb/> politiker war (sie mußten sich von dem Herrn Handelsminister allerhand<lb/> bittere Wahrheiten sagen lassen), führte thatsächlich zur Annahme des Antrags.<lb/> Dennoch wird der Antrag keine praktische Bedeutung erlangen, da Herr von<lb/> Berlepsch schon vor Beginn der Diskussion erklärt hatte, die Negierung werde<lb/> einem solchen Beschlusse nicht Folge leisten.</p><lb/> <p xml:id="ID_627"> Anders liegen die Dinge bei dem Gesetzentwurfe, den die Reichskommission<lb/> vor kurzem zur Regelung der Verhältnisse der Angestellten in kaufmännischen<lb/> Geschäften dem Bundesrate überreicht hat. Das allgemeine Erstaunen und die<lb/> Entrüstung über die Kühnheit, auch die offnen Ladengeschäfte „unter Polizei¬<lb/> aufsicht" zu stellen, wie der beliebte Ausdruck lautet, könnte die Vermutung<lb/> erregen, daß es sich hier um etwas neues, noch nie dagewesenes handle. Das<lb/> ist keineswegs der Fall. Dr. von Rottenburg hat schon darauf aufmerksam<lb/> gemacht, daß man sich in England schon seit längerer Zeit mit der Frage ein¬<lb/> gehend beschäftigt, wie den Angestellten in Ladengeschäften eine kürzere Arbeits¬<lb/> zeit verschafft werden könne; das Bedürfnis dafür ist allseitig anerkannt. Aber<lb/> auch in Deutschland ist die Frage schon mindestens seit 1892, wo vom<lb/> Ministerium für Handel und Gewerbe Erhebungen über die Arbeitsverhält¬<lb/> nisse im Handelsgewerbe angestellt wurden, auf der Tagesordnung, und 1895<lb/> hat der „Zentralverband deutscher Kaufleute," der sich fast nur aus Detail¬<lb/> händlern zusammensetzt, auf seiner Generalversammlung in Koblenz den Beschluß<lb/> gefaßt: „Die Generalversammlung des Zentralverbandes deutscher Kaufleute<lb/> spricht sich dafür aus, daß der Schluß der Geschäftszeit gesetzlich geregelt, die<lb/> Feststellung der Ladenschlußstunde abends aber den Lokalbehörden nach An¬<lb/> hörung der Beteiligten und nach Maßgabe des Ortsbedürfnisses überlassen<lb/> werde." Eine Sache, die grundsätzlich von den Detailhändlern selbst anerkannt<lb/> wird, kann nicht so ungeheuerlich sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_628" next="#ID_629"> Was enthält nun die Vorlage der Neichskommission? Der Entwurf hat<lb/> drei Abschnitte, im ersten ist von dem Arbeitsverhältnis der Angestellten, im<lb/> andern von ihrem Dienstverhältnis und im dritten von der „Konkurrenzklausel"<lb/> die Rede. Nach 8 1,1 müssen offne Verkaufsstellen während der Zeit von<lb/> 8 Uhr abends bis 5 Uhr morgens sür das Publikum geschlossen sein, mit der<lb/> weitern Beschränkung, daß durch die Landeszentralbehörde für ihren Bezirk<lb/> oder einzelne Teile allgemein oder für gewisse Zweige des Handelsgewerbes<lb/> angeordnet werden kann, daß die offnen Verkaufsstellen erst von einer spätern<lb/> Stunde als 5 Uhr morgens an geöffnet werden dürfen oder auch früher als<lb/> 8 Uhr abends geschlossen werden müssen. Dieselbe Befugnis hat der Bundesrat<lb/> für das Gebiet des Reichs oder einzelne Teile. Selbstverständlich mußte infolge<lb/> dieser Maßnahmen in Z 2 für diese Zeit der Ruhe des Geschäftsbetriebes der</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 189K 2V</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0209]
Der Ausbau des Arbeiterschutzes
geradezu den Antrag eingebracht, die Regierung möge im Bundesrate dahin
wirken, daß die Verordnung nicht in Kraft trete. Die Debatte darüber, die
sehr lehrreich für die Erkenntnis der — Unkenntnis der konservativen Sozial¬
politiker war (sie mußten sich von dem Herrn Handelsminister allerhand
bittere Wahrheiten sagen lassen), führte thatsächlich zur Annahme des Antrags.
Dennoch wird der Antrag keine praktische Bedeutung erlangen, da Herr von
Berlepsch schon vor Beginn der Diskussion erklärt hatte, die Negierung werde
einem solchen Beschlusse nicht Folge leisten.
Anders liegen die Dinge bei dem Gesetzentwurfe, den die Reichskommission
vor kurzem zur Regelung der Verhältnisse der Angestellten in kaufmännischen
Geschäften dem Bundesrate überreicht hat. Das allgemeine Erstaunen und die
Entrüstung über die Kühnheit, auch die offnen Ladengeschäfte „unter Polizei¬
aufsicht" zu stellen, wie der beliebte Ausdruck lautet, könnte die Vermutung
erregen, daß es sich hier um etwas neues, noch nie dagewesenes handle. Das
ist keineswegs der Fall. Dr. von Rottenburg hat schon darauf aufmerksam
gemacht, daß man sich in England schon seit längerer Zeit mit der Frage ein¬
gehend beschäftigt, wie den Angestellten in Ladengeschäften eine kürzere Arbeits¬
zeit verschafft werden könne; das Bedürfnis dafür ist allseitig anerkannt. Aber
auch in Deutschland ist die Frage schon mindestens seit 1892, wo vom
Ministerium für Handel und Gewerbe Erhebungen über die Arbeitsverhält¬
nisse im Handelsgewerbe angestellt wurden, auf der Tagesordnung, und 1895
hat der „Zentralverband deutscher Kaufleute," der sich fast nur aus Detail¬
händlern zusammensetzt, auf seiner Generalversammlung in Koblenz den Beschluß
gefaßt: „Die Generalversammlung des Zentralverbandes deutscher Kaufleute
spricht sich dafür aus, daß der Schluß der Geschäftszeit gesetzlich geregelt, die
Feststellung der Ladenschlußstunde abends aber den Lokalbehörden nach An¬
hörung der Beteiligten und nach Maßgabe des Ortsbedürfnisses überlassen
werde." Eine Sache, die grundsätzlich von den Detailhändlern selbst anerkannt
wird, kann nicht so ungeheuerlich sein.
Was enthält nun die Vorlage der Neichskommission? Der Entwurf hat
drei Abschnitte, im ersten ist von dem Arbeitsverhältnis der Angestellten, im
andern von ihrem Dienstverhältnis und im dritten von der „Konkurrenzklausel"
die Rede. Nach 8 1,1 müssen offne Verkaufsstellen während der Zeit von
8 Uhr abends bis 5 Uhr morgens sür das Publikum geschlossen sein, mit der
weitern Beschränkung, daß durch die Landeszentralbehörde für ihren Bezirk
oder einzelne Teile allgemein oder für gewisse Zweige des Handelsgewerbes
angeordnet werden kann, daß die offnen Verkaufsstellen erst von einer spätern
Stunde als 5 Uhr morgens an geöffnet werden dürfen oder auch früher als
8 Uhr abends geschlossen werden müssen. Dieselbe Befugnis hat der Bundesrat
für das Gebiet des Reichs oder einzelne Teile. Selbstverständlich mußte infolge
dieser Maßnahmen in Z 2 für diese Zeit der Ruhe des Geschäftsbetriebes der
Grenzboten III 189K 2V
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