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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Velterklärungsversuche

diesen armen Leuten den gerechten Preis zu zahlen ^ ich kann es nicht.
Wollte ich dem Kaufmann den doppelten Preis anbieten, so würde er mich
als einen Narren auslachen, und nähme er das cmgebotne Geld, so müßte
er es in seiner Tasche behalten oder an beliebige andre Leute verschenken, die
mit der Herstellung seiner Waren nichts zu thun haben, denn er kann die in
verschiednen Ländern zerstreuten Personen, die zur Anfertigung der Kragen zu¬
sammengewirkt haben, nicht ermitteln, und die Personen, die das Zeug zu
diesen bestimmten Kragen gewirkt haben, können überhaupt nicht ermittelt
werden. Bei der heutigen Produktions- und Gttterumlaufsweise ist es also
unmöglich, daß beim Tausch gerade der häufigsten und in größter Masse vor-
handnen Waren der eine auf die Affektion des andern Rücksicht nähme; das
ist nur in einzelnen Füllen möglich, die auf den Zustand der Gesellschaft im
ganzen keinen Einfluß haben. Da bleiben also für die Wertbestimmung keine
andern Kräfte übrig als ans der einen Seite das Bedürfnis, das meistens
keine bloße Affektion ist, und aus der andern Seite die Produltions-, Ver-
teiluugs- und Transportkosten, in denen die Arbeitslöhne den größten Posten
ausmachen. Daher läßt sich der Smith-Ricardo-Marxischen Theorie mit Moral
nicht beikommen. Alle Niederträchtigkeit, meint Funck, nehme ihren Anfang
von der Notwendigkeit, in die sich die Menschen versetzt finden, als Händler
billig einzukaufen und teuer zu verkaufen, als Produzenten und Konsumenten
aber teuer einzukaufen und billig zu verkaufen. Wohl wahr, aber indem er
anerkennt, daß die Menschen dazu genötigt sind, muß er auch die Unmöglich¬
keit zugeben, diese Schwierigkeit, die aus den technischen Bedingungen des heu¬
tigen Wirtschaftslebens entspringt, durch sittliche Einwirkungen zu lösen.

Damit wollen wir weder die hohe sittliche Auffassung Funcks getadelt
haben, noch den sittlichen Einwirkungen ihren Wert absprechen. Wir beklagen
den heutigen Zustand ebenso wie Funck, und wir haben ihm schon bei Be¬
sprechung seiner "Politik" beigestimmt in der Beurteilung eines Verhältnisses,
das mit zur heutigen Tauschwirtschaft gehört, des rein geschäftlichen Ver¬
hältnisses zwischen Unternehmern und Arbeitern, das an die Stelle des frühern
sittlichen und gemütlichen Verhältnisses zwischen Meistern, Gesellen und Lehr¬
lingen getreten ist, wobei vorausgesetzt wird, daß dieses zweite Verhältnis so
sei, wie es sein kann und soll, wohl aber auch früher schon nicht durchweg
gewesen ist und heute fast nirgends mehr ist. Also darin sind wir mit Funck
einverstanden. Wir wollen nur auf die Stelle hinweisen, wo der sittliche
Hebel angesetzt werden muß. Funck hat sie nicht nur nicht gezeigt, sondern
durch seine Deklamationen gegen die herrschenden wirtschaftlichen Anschanungen
verschleiert. An diesen Anschauungen ist nichts auszusetzen, denn daran läßt
sich im heutigen Weltverkehr schlechterdings nichts ändern, daß jeder beim
Warentausch so wohlfeil wie möglich einzukaufen und so teuer wie möglich zu
verlausen streben muß. Beim Tauschgeschäft selbst also läßt sich, abgesehen


Velterklärungsversuche

diesen armen Leuten den gerechten Preis zu zahlen ^ ich kann es nicht.
Wollte ich dem Kaufmann den doppelten Preis anbieten, so würde er mich
als einen Narren auslachen, und nähme er das cmgebotne Geld, so müßte
er es in seiner Tasche behalten oder an beliebige andre Leute verschenken, die
mit der Herstellung seiner Waren nichts zu thun haben, denn er kann die in
verschiednen Ländern zerstreuten Personen, die zur Anfertigung der Kragen zu¬
sammengewirkt haben, nicht ermitteln, und die Personen, die das Zeug zu
diesen bestimmten Kragen gewirkt haben, können überhaupt nicht ermittelt
werden. Bei der heutigen Produktions- und Gttterumlaufsweise ist es also
unmöglich, daß beim Tausch gerade der häufigsten und in größter Masse vor-
handnen Waren der eine auf die Affektion des andern Rücksicht nähme; das
ist nur in einzelnen Füllen möglich, die auf den Zustand der Gesellschaft im
ganzen keinen Einfluß haben. Da bleiben also für die Wertbestimmung keine
andern Kräfte übrig als ans der einen Seite das Bedürfnis, das meistens
keine bloße Affektion ist, und aus der andern Seite die Produltions-, Ver-
teiluugs- und Transportkosten, in denen die Arbeitslöhne den größten Posten
ausmachen. Daher läßt sich der Smith-Ricardo-Marxischen Theorie mit Moral
nicht beikommen. Alle Niederträchtigkeit, meint Funck, nehme ihren Anfang
von der Notwendigkeit, in die sich die Menschen versetzt finden, als Händler
billig einzukaufen und teuer zu verkaufen, als Produzenten und Konsumenten
aber teuer einzukaufen und billig zu verkaufen. Wohl wahr, aber indem er
anerkennt, daß die Menschen dazu genötigt sind, muß er auch die Unmöglich¬
keit zugeben, diese Schwierigkeit, die aus den technischen Bedingungen des heu¬
tigen Wirtschaftslebens entspringt, durch sittliche Einwirkungen zu lösen.

Damit wollen wir weder die hohe sittliche Auffassung Funcks getadelt
haben, noch den sittlichen Einwirkungen ihren Wert absprechen. Wir beklagen
den heutigen Zustand ebenso wie Funck, und wir haben ihm schon bei Be¬
sprechung seiner „Politik" beigestimmt in der Beurteilung eines Verhältnisses,
das mit zur heutigen Tauschwirtschaft gehört, des rein geschäftlichen Ver¬
hältnisses zwischen Unternehmern und Arbeitern, das an die Stelle des frühern
sittlichen und gemütlichen Verhältnisses zwischen Meistern, Gesellen und Lehr¬
lingen getreten ist, wobei vorausgesetzt wird, daß dieses zweite Verhältnis so
sei, wie es sein kann und soll, wohl aber auch früher schon nicht durchweg
gewesen ist und heute fast nirgends mehr ist. Also darin sind wir mit Funck
einverstanden. Wir wollen nur auf die Stelle hinweisen, wo der sittliche
Hebel angesetzt werden muß. Funck hat sie nicht nur nicht gezeigt, sondern
durch seine Deklamationen gegen die herrschenden wirtschaftlichen Anschanungen
verschleiert. An diesen Anschauungen ist nichts auszusetzen, denn daran läßt
sich im heutigen Weltverkehr schlechterdings nichts ändern, daß jeder beim
Warentausch so wohlfeil wie möglich einzukaufen und so teuer wie möglich zu
verlausen streben muß. Beim Tauschgeschäft selbst also läßt sich, abgesehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/181>, abgerufen am 22.11.2024.