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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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narrt wäre, sondern weil sie damit alle ihre Freundinnen zu übertrumpfen ge¬
denkt. Der Satz des Verfassers paßt bloß für die Luxusbedürfnisse. Auf
Nahrung, Kleidung, Wohnung, Arbeitswerkzeuge und Transportmittel, worin
die Hauptmasse aller Waren besteht, läßt sich der Begriff des Affektionswerts
nicht anwenden. Hier sind die Bedürfnisse eben wirkliche Bedürfnisse, mit der
Natur und mit der sozialen Lage des Menschen gegeben und von seinem per¬
sönlichen Geschmack, von seinen persönlichen Wünschen oder Einbildungen un¬
abhängig. Da wir hier die Sache nicht ergründen, sondern nur oberflächlich
beleuchten wollen, so sehen wir von dem Umstände ab, daß die Grenze zwischen
dem wirklichen und dem durch Affektion geschaffnen Luxusbedürfuis flüssig ist.
Aus den Ausführungen der aufgestellten Behauptung bei Funck heben wir nur
folgende Sätze heraus, die den Kern seiner Meinung enthalten. "Je mehr
die Menschen bei ihren Tanschgeschäften jeder den Affektionen des andern Rech¬
nung tragen, desto vollkommner wird ihr Einvernehmen, desto mehr wachsen
ihre Hilfsmittel, desto besser geht ihr Fortschritt von statten; je weniger sie
es thun, desto kraftloser wird ihr Einvernehmen, und desto tiefer sinken ihre
Intelligenz und ihre Moral. . . . Vollkommner als in den Künsten und Wissen¬
schaften, als in den Glaubenssätzen und Einrichtungen offenbart sich der geistige
und sittliche Zustand der Völker in der Güterzirknlation. . . . Das Zirkulations¬
gesetz fällt mit dem Moralgesetz zusammen. Dieses Gesetz allein erklärt uns,
wie ein armes Volk über alle Schwierigkeiten zu triumphiren und groß zu
werden vermag von dem Augenblick ein, wo die Menschen, aus denen es be¬
steht, in allen ihren Beziehungen und besonders bei ihren Tauschgeschäften
jeder auf die Affektionen des andern Rücksicht nehmen."") Ja, wenn nur
dieser Augenblick nicht für unsre heutigem reichen Völker unwiderbringlich dahin
wäre! Denken wir uns ein von der Welt abgeschlossenes Dorf auf der Stufe
der Naturalwirtschaft, und einen Bauer darin, dem das Brotkorn ausgegangen
ist. Kommt er zu einem Nachbar, der.reichen Vorrat an Getreide hat, und
bietet ihm eine Kuh an, so steht nichts im Wege, daß dieser ihm eine Getreide¬
inenge giebt, die der Affektion des Bittenden zu seiner Kuh entspricht. Wenn
ich aber heute im Wäscheladen .Kragen kaufe, so mag ich zehnmal wissen, daß
viel tausend Spinner, Weber und Nähterinnen im größten Elend leben, daß
sie ihre eigne Arbeitskraft, die sie opfern, und die mit ihrer Gesundheit zu¬
sammenfällt, notwendigerweise viel höher schätzen müssen, als sie von ihren
Unternehmern geschätzt wird, und daß sie eine große Affektion zu allerlei schönen
Dingen haben, die sie gern kaufen möchten, aber ihres geringen Verdienstes
wegen nicht kaufe" können; ich mag das alles wissen und vor Begierde brennen,



*) Wird ein kleines armes Völkchen von einer Hungersnot heimgesucht, so verläßt man
sich keineswegs auf das freie Spiel wohlwollender Berücksichtigung der Affektionen, sondern die
Obrigkeit legt Beschlag auf die Vorräte und miszt jeden, seinen täglichen Anteil zu; dadurch
pflegt die Schwierigkeit überwunden zu werden.
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narrt wäre, sondern weil sie damit alle ihre Freundinnen zu übertrumpfen ge¬
denkt. Der Satz des Verfassers paßt bloß für die Luxusbedürfnisse. Auf
Nahrung, Kleidung, Wohnung, Arbeitswerkzeuge und Transportmittel, worin
die Hauptmasse aller Waren besteht, läßt sich der Begriff des Affektionswerts
nicht anwenden. Hier sind die Bedürfnisse eben wirkliche Bedürfnisse, mit der
Natur und mit der sozialen Lage des Menschen gegeben und von seinem per¬
sönlichen Geschmack, von seinen persönlichen Wünschen oder Einbildungen un¬
abhängig. Da wir hier die Sache nicht ergründen, sondern nur oberflächlich
beleuchten wollen, so sehen wir von dem Umstände ab, daß die Grenze zwischen
dem wirklichen und dem durch Affektion geschaffnen Luxusbedürfuis flüssig ist.
Aus den Ausführungen der aufgestellten Behauptung bei Funck heben wir nur
folgende Sätze heraus, die den Kern seiner Meinung enthalten. „Je mehr
die Menschen bei ihren Tanschgeschäften jeder den Affektionen des andern Rech¬
nung tragen, desto vollkommner wird ihr Einvernehmen, desto mehr wachsen
ihre Hilfsmittel, desto besser geht ihr Fortschritt von statten; je weniger sie
es thun, desto kraftloser wird ihr Einvernehmen, und desto tiefer sinken ihre
Intelligenz und ihre Moral. . . . Vollkommner als in den Künsten und Wissen¬
schaften, als in den Glaubenssätzen und Einrichtungen offenbart sich der geistige
und sittliche Zustand der Völker in der Güterzirknlation. . . . Das Zirkulations¬
gesetz fällt mit dem Moralgesetz zusammen. Dieses Gesetz allein erklärt uns,
wie ein armes Volk über alle Schwierigkeiten zu triumphiren und groß zu
werden vermag von dem Augenblick ein, wo die Menschen, aus denen es be¬
steht, in allen ihren Beziehungen und besonders bei ihren Tauschgeschäften
jeder auf die Affektionen des andern Rücksicht nehmen."") Ja, wenn nur
dieser Augenblick nicht für unsre heutigem reichen Völker unwiderbringlich dahin
wäre! Denken wir uns ein von der Welt abgeschlossenes Dorf auf der Stufe
der Naturalwirtschaft, und einen Bauer darin, dem das Brotkorn ausgegangen
ist. Kommt er zu einem Nachbar, der.reichen Vorrat an Getreide hat, und
bietet ihm eine Kuh an, so steht nichts im Wege, daß dieser ihm eine Getreide¬
inenge giebt, die der Affektion des Bittenden zu seiner Kuh entspricht. Wenn
ich aber heute im Wäscheladen .Kragen kaufe, so mag ich zehnmal wissen, daß
viel tausend Spinner, Weber und Nähterinnen im größten Elend leben, daß
sie ihre eigne Arbeitskraft, die sie opfern, und die mit ihrer Gesundheit zu¬
sammenfällt, notwendigerweise viel höher schätzen müssen, als sie von ihren
Unternehmern geschätzt wird, und daß sie eine große Affektion zu allerlei schönen
Dingen haben, die sie gern kaufen möchten, aber ihres geringen Verdienstes
wegen nicht kaufe» können; ich mag das alles wissen und vor Begierde brennen,



*) Wird ein kleines armes Völkchen von einer Hungersnot heimgesucht, so verläßt man
sich keineswegs auf das freie Spiel wohlwollender Berücksichtigung der Affektionen, sondern die
Obrigkeit legt Beschlag auf die Vorräte und miszt jeden, seinen täglichen Anteil zu; dadurch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/180>, abgerufen am 22.11.2024.