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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur allgemeinen Wehrpflicht

gemeine zweijährige Dienstzeit würde daran nichts ändern. Wir würden dnrch
diese Einrichtung nur sehr bald einen Rückgang in der allgemeinen Bildung
unsrer Jugend zu verzeichnen haben. Denn weshalb sollte der Bater Geld
für seinen Sohn aufwenden, wenn dieser dann trotz seiner Kenntnisse zwei
Jahre dienen müßte, wie der Volksschüler?

Ohne Zweifel hat der Verfasser Recht, wenn er den Militärdienst als
eine nützliche Unterbrechung der einseitigen geistigen Schulung unsrer Jugend
ansieht. Aber deshalb ist noch keine allgemeine zweijährige Dienstzeit nötig.
Die jetzige Art des Einjährigendienstes mit den verschiednen spätern Ein¬
ziehungen zur Wiederholung lind Befestigung des Gelernten dauert zusammen
meist über zwei Jahre und wirkt insofern vorteilhafter, als sie die Unter¬
brechung der geistigen Arbeit mehrfach wiederholt; sie wirkt auf diese Weise
kräftigender, als wenn der Militärdienst in zwei Jahren hinter einander ab¬
gemacht und die geistige Arbeit dann ununterbrochen weiter geführt würde.
Man sehe doch nur unsre männliche Jugend an: welche kraftvollen Gestalten
mit gleichmäßig ausgebildeten Körperformen sieht man da! Ein Vergleich mit
gleichaltrigen Franzosen, wie wir sie jetzt blaß und ohne Haltung vielfach in
unsern deutschen Städten einhergehen sehen, jn selbst ein Vergleich mit den
"Söhnen Albions," die in allen möglichen Sportanzügen jetzt unsre öffent¬
lichen Spielplätze beleben, fällt immer zu Gunsten unsrer Jugend aus.

Nach meiner Meinung haben wir jetzt vor allem darauf zu sehen, daß
die zweijährige Dienstzeit, die nnr bis zum 31. März 1899 gesetzlich fest¬
gelegt ist, auch nach diesem Zeitpunkt festgehalten wird und nicht wieder,
wie schon einmal in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts, der dreijährigen
Dienstzeit weichen muß. Dazu ist es aber nötig, daß wir unsre Jugend mög¬
lichst gut vorbereitet ins Heer schicken, sodaß die zwei Dienstjahre auch
ausreichen, um aus ihnen wirklich brauchbare Soldaten zu machen. Das
konnten wir in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts nicht. Unsre Volks¬
schulen waren noch nicht so weit gefördert, und von einer körperlichen Vor¬
bildung für den Dienst im Heere war gar keine Rede, weil das Turnen in
den Schulen ans politischen Gründen noch lange nicht allgemein eingeführt
war. Jetzt ist das anders geworden. Das Turnen wird in den Volksschulen
und in zahlreichen Vereinen planmäßig, wenn auch immer noch zu wenig be¬
trieben. Die Rekruten bringen also eine nicht zu unterschätzende körperliche
Vorbildung mit. Ich weiß aus eigner Erfahrung, und wie man mir sagt, hat
sich das in neuerer Zeit noch gesteigert, daß bei der frühern Dispositions-
benrlaubung nach zwei Dienstjahrcn denen, die mit Vorbildung im Turnen ins
Heer gekommen waren, durch Beurlaubung zur Disposition das dritte Dienst¬
jahr meist erspart blieb. Wunderbarerweise turnen aber unsre Schulen noch
nach einem andern Lehrgang als das Heer. Es unterliegt wohl keinem Zweifel,
daß die Einführung der militärischen Turnvorschriften mit ihren Kommando-


Zur allgemeinen Wehrpflicht

gemeine zweijährige Dienstzeit würde daran nichts ändern. Wir würden dnrch
diese Einrichtung nur sehr bald einen Rückgang in der allgemeinen Bildung
unsrer Jugend zu verzeichnen haben. Denn weshalb sollte der Bater Geld
für seinen Sohn aufwenden, wenn dieser dann trotz seiner Kenntnisse zwei
Jahre dienen müßte, wie der Volksschüler?

Ohne Zweifel hat der Verfasser Recht, wenn er den Militärdienst als
eine nützliche Unterbrechung der einseitigen geistigen Schulung unsrer Jugend
ansieht. Aber deshalb ist noch keine allgemeine zweijährige Dienstzeit nötig.
Die jetzige Art des Einjährigendienstes mit den verschiednen spätern Ein¬
ziehungen zur Wiederholung lind Befestigung des Gelernten dauert zusammen
meist über zwei Jahre und wirkt insofern vorteilhafter, als sie die Unter¬
brechung der geistigen Arbeit mehrfach wiederholt; sie wirkt auf diese Weise
kräftigender, als wenn der Militärdienst in zwei Jahren hinter einander ab¬
gemacht und die geistige Arbeit dann ununterbrochen weiter geführt würde.
Man sehe doch nur unsre männliche Jugend an: welche kraftvollen Gestalten
mit gleichmäßig ausgebildeten Körperformen sieht man da! Ein Vergleich mit
gleichaltrigen Franzosen, wie wir sie jetzt blaß und ohne Haltung vielfach in
unsern deutschen Städten einhergehen sehen, jn selbst ein Vergleich mit den
„Söhnen Albions," die in allen möglichen Sportanzügen jetzt unsre öffent¬
lichen Spielplätze beleben, fällt immer zu Gunsten unsrer Jugend aus.

Nach meiner Meinung haben wir jetzt vor allem darauf zu sehen, daß
die zweijährige Dienstzeit, die nnr bis zum 31. März 1899 gesetzlich fest¬
gelegt ist, auch nach diesem Zeitpunkt festgehalten wird und nicht wieder,
wie schon einmal in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts, der dreijährigen
Dienstzeit weichen muß. Dazu ist es aber nötig, daß wir unsre Jugend mög¬
lichst gut vorbereitet ins Heer schicken, sodaß die zwei Dienstjahre auch
ausreichen, um aus ihnen wirklich brauchbare Soldaten zu machen. Das
konnten wir in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts nicht. Unsre Volks¬
schulen waren noch nicht so weit gefördert, und von einer körperlichen Vor¬
bildung für den Dienst im Heere war gar keine Rede, weil das Turnen in
den Schulen ans politischen Gründen noch lange nicht allgemein eingeführt
war. Jetzt ist das anders geworden. Das Turnen wird in den Volksschulen
und in zahlreichen Vereinen planmäßig, wenn auch immer noch zu wenig be¬
trieben. Die Rekruten bringen also eine nicht zu unterschätzende körperliche
Vorbildung mit. Ich weiß aus eigner Erfahrung, und wie man mir sagt, hat
sich das in neuerer Zeit noch gesteigert, daß bei der frühern Dispositions-
benrlaubung nach zwei Dienstjahrcn denen, die mit Vorbildung im Turnen ins
Heer gekommen waren, durch Beurlaubung zur Disposition das dritte Dienst¬
jahr meist erspart blieb. Wunderbarerweise turnen aber unsre Schulen noch
nach einem andern Lehrgang als das Heer. Es unterliegt wohl keinem Zweifel,
daß die Einführung der militärischen Turnvorschriften mit ihren Kommando-


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[0166] Zur allgemeinen Wehrpflicht gemeine zweijährige Dienstzeit würde daran nichts ändern. Wir würden dnrch diese Einrichtung nur sehr bald einen Rückgang in der allgemeinen Bildung unsrer Jugend zu verzeichnen haben. Denn weshalb sollte der Bater Geld für seinen Sohn aufwenden, wenn dieser dann trotz seiner Kenntnisse zwei Jahre dienen müßte, wie der Volksschüler? Ohne Zweifel hat der Verfasser Recht, wenn er den Militärdienst als eine nützliche Unterbrechung der einseitigen geistigen Schulung unsrer Jugend ansieht. Aber deshalb ist noch keine allgemeine zweijährige Dienstzeit nötig. Die jetzige Art des Einjährigendienstes mit den verschiednen spätern Ein¬ ziehungen zur Wiederholung lind Befestigung des Gelernten dauert zusammen meist über zwei Jahre und wirkt insofern vorteilhafter, als sie die Unter¬ brechung der geistigen Arbeit mehrfach wiederholt; sie wirkt auf diese Weise kräftigender, als wenn der Militärdienst in zwei Jahren hinter einander ab¬ gemacht und die geistige Arbeit dann ununterbrochen weiter geführt würde. Man sehe doch nur unsre männliche Jugend an: welche kraftvollen Gestalten mit gleichmäßig ausgebildeten Körperformen sieht man da! Ein Vergleich mit gleichaltrigen Franzosen, wie wir sie jetzt blaß und ohne Haltung vielfach in unsern deutschen Städten einhergehen sehen, jn selbst ein Vergleich mit den „Söhnen Albions," die in allen möglichen Sportanzügen jetzt unsre öffent¬ lichen Spielplätze beleben, fällt immer zu Gunsten unsrer Jugend aus. Nach meiner Meinung haben wir jetzt vor allem darauf zu sehen, daß die zweijährige Dienstzeit, die nnr bis zum 31. März 1899 gesetzlich fest¬ gelegt ist, auch nach diesem Zeitpunkt festgehalten wird und nicht wieder, wie schon einmal in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts, der dreijährigen Dienstzeit weichen muß. Dazu ist es aber nötig, daß wir unsre Jugend mög¬ lichst gut vorbereitet ins Heer schicken, sodaß die zwei Dienstjahre auch ausreichen, um aus ihnen wirklich brauchbare Soldaten zu machen. Das konnten wir in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts nicht. Unsre Volks¬ schulen waren noch nicht so weit gefördert, und von einer körperlichen Vor¬ bildung für den Dienst im Heere war gar keine Rede, weil das Turnen in den Schulen ans politischen Gründen noch lange nicht allgemein eingeführt war. Jetzt ist das anders geworden. Das Turnen wird in den Volksschulen und in zahlreichen Vereinen planmäßig, wenn auch immer noch zu wenig be¬ trieben. Die Rekruten bringen also eine nicht zu unterschätzende körperliche Vorbildung mit. Ich weiß aus eigner Erfahrung, und wie man mir sagt, hat sich das in neuerer Zeit noch gesteigert, daß bei der frühern Dispositions- benrlaubung nach zwei Dienstjahrcn denen, die mit Vorbildung im Turnen ins Heer gekommen waren, durch Beurlaubung zur Disposition das dritte Dienst¬ jahr meist erspart blieb. Wunderbarerweise turnen aber unsre Schulen noch nach einem andern Lehrgang als das Heer. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Einführung der militärischen Turnvorschriften mit ihren Kommando-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/166>, abgerufen am 28.11.2024.