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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Richard Mulder und die deutsche Aunsiwissenschaft

Gebiet näher gerückt. Aber die Grundanschauung des Buches muß verdammt
werden, und sein Wert liegt mehr in dem, was sich aus dem Widerspruch
gegen Mulder entwickeln wird, als in dem Werke selber.

Mulder wird voraussichtlich über derartige Einwände verächtlich lächeln,
wie es denn in den Kreisen, die sich an ihn anschließen, Sitte ist, die Gegner
mit der Bemerkung abzuthun: "Das ist einer von den Alten, die sür die
neuere Entwicklung keinen Sinn haben." Nun ich gehöre nicht bloß meinem
Alter nach zu den "Neuern," insofern als auch ich ein lebhaftes Verlangen
darnach habe, daß wir auf vielen Gebieten der Kunst, besonders aus dem der
Architektur und des Kunstgewerbes aus der Konventionsbahn herauskommen
und anfangen, "wir selbst" zu werden. Aber gerade deshalb bedauere ich es
lebhast, daß die neuere Richtung ihre Hauptvertretung in einem Werke findet,
das nur abfüllig beurteilt werden kann. Mulder wird nach seinen bisherigen
Leistungen der Zukunftskunst mehr schaden als nützen. Man wirkt für die
moderne Bewegung nicht dadurch, daß man auch die gröbsten Ausschreitungen
gut heißt und sich an ihnen beteiligt, sondern dadurch, daß man das Gute
hervorhebt und dabei auf die Verirrungen warnend den Finger legt. Daß
solche vorhanden sind, kann niemand bestreiten, und ich gehöre nicht zu denen,
die dabei gleich ängstlich werden, da ich wohl weiß, daß überall da, wo es
gährt, auch leicht ein Überschäumen auftritt. Künstler mögen immer einmal
übers Ziel hinausschießen. Der Kunsthistoriker soll den Dingen ruhiger und,
um das von Mulder verpönte Wort zu gebrauchen, "objektiver" gegenüber¬
stehen. Nur dadurch wird er der neuen Bewegung nützen.

Mulder liebt es, seinen Gegnern den Rat zu geben, seine Einwendungen
bei der zweiten Auflage zu benutzen. Vielleicht wäre ihm selbst auch mit
diesem Rate gedient. Schon ändert er ja, wie ich bei Kaulbach gezeigt habe,
freilich in etwas überraschender Weise seine Urteile ab. Vielleicht kommt er
auch noch einmal zu einer andern "Grundanschauung." Es wäre das zu
wünschen bei einem Manne von seiner Befähigung und seiner Kenntnis der
modernen Malerei.


Adelbert Matthäi


Richard Mulder und die deutsche Aunsiwissenschaft

Gebiet näher gerückt. Aber die Grundanschauung des Buches muß verdammt
werden, und sein Wert liegt mehr in dem, was sich aus dem Widerspruch
gegen Mulder entwickeln wird, als in dem Werke selber.

Mulder wird voraussichtlich über derartige Einwände verächtlich lächeln,
wie es denn in den Kreisen, die sich an ihn anschließen, Sitte ist, die Gegner
mit der Bemerkung abzuthun: „Das ist einer von den Alten, die sür die
neuere Entwicklung keinen Sinn haben." Nun ich gehöre nicht bloß meinem
Alter nach zu den „Neuern," insofern als auch ich ein lebhaftes Verlangen
darnach habe, daß wir auf vielen Gebieten der Kunst, besonders aus dem der
Architektur und des Kunstgewerbes aus der Konventionsbahn herauskommen
und anfangen, „wir selbst" zu werden. Aber gerade deshalb bedauere ich es
lebhast, daß die neuere Richtung ihre Hauptvertretung in einem Werke findet,
das nur abfüllig beurteilt werden kann. Mulder wird nach seinen bisherigen
Leistungen der Zukunftskunst mehr schaden als nützen. Man wirkt für die
moderne Bewegung nicht dadurch, daß man auch die gröbsten Ausschreitungen
gut heißt und sich an ihnen beteiligt, sondern dadurch, daß man das Gute
hervorhebt und dabei auf die Verirrungen warnend den Finger legt. Daß
solche vorhanden sind, kann niemand bestreiten, und ich gehöre nicht zu denen,
die dabei gleich ängstlich werden, da ich wohl weiß, daß überall da, wo es
gährt, auch leicht ein Überschäumen auftritt. Künstler mögen immer einmal
übers Ziel hinausschießen. Der Kunsthistoriker soll den Dingen ruhiger und,
um das von Mulder verpönte Wort zu gebrauchen, „objektiver" gegenüber¬
stehen. Nur dadurch wird er der neuen Bewegung nützen.

Mulder liebt es, seinen Gegnern den Rat zu geben, seine Einwendungen
bei der zweiten Auflage zu benutzen. Vielleicht wäre ihm selbst auch mit
diesem Rate gedient. Schon ändert er ja, wie ich bei Kaulbach gezeigt habe,
freilich in etwas überraschender Weise seine Urteile ab. Vielleicht kommt er
auch noch einmal zu einer andern „Grundanschauung." Es wäre das zu
wünschen bei einem Manne von seiner Befähigung und seiner Kenntnis der
modernen Malerei.


Adelbert Matthäi


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[0139] Richard Mulder und die deutsche Aunsiwissenschaft Gebiet näher gerückt. Aber die Grundanschauung des Buches muß verdammt werden, und sein Wert liegt mehr in dem, was sich aus dem Widerspruch gegen Mulder entwickeln wird, als in dem Werke selber. Mulder wird voraussichtlich über derartige Einwände verächtlich lächeln, wie es denn in den Kreisen, die sich an ihn anschließen, Sitte ist, die Gegner mit der Bemerkung abzuthun: „Das ist einer von den Alten, die sür die neuere Entwicklung keinen Sinn haben." Nun ich gehöre nicht bloß meinem Alter nach zu den „Neuern," insofern als auch ich ein lebhaftes Verlangen darnach habe, daß wir auf vielen Gebieten der Kunst, besonders aus dem der Architektur und des Kunstgewerbes aus der Konventionsbahn herauskommen und anfangen, „wir selbst" zu werden. Aber gerade deshalb bedauere ich es lebhast, daß die neuere Richtung ihre Hauptvertretung in einem Werke findet, das nur abfüllig beurteilt werden kann. Mulder wird nach seinen bisherigen Leistungen der Zukunftskunst mehr schaden als nützen. Man wirkt für die moderne Bewegung nicht dadurch, daß man auch die gröbsten Ausschreitungen gut heißt und sich an ihnen beteiligt, sondern dadurch, daß man das Gute hervorhebt und dabei auf die Verirrungen warnend den Finger legt. Daß solche vorhanden sind, kann niemand bestreiten, und ich gehöre nicht zu denen, die dabei gleich ängstlich werden, da ich wohl weiß, daß überall da, wo es gährt, auch leicht ein Überschäumen auftritt. Künstler mögen immer einmal übers Ziel hinausschießen. Der Kunsthistoriker soll den Dingen ruhiger und, um das von Mulder verpönte Wort zu gebrauchen, „objektiver" gegenüber¬ stehen. Nur dadurch wird er der neuen Bewegung nützen. Mulder liebt es, seinen Gegnern den Rat zu geben, seine Einwendungen bei der zweiten Auflage zu benutzen. Vielleicht wäre ihm selbst auch mit diesem Rate gedient. Schon ändert er ja, wie ich bei Kaulbach gezeigt habe, freilich in etwas überraschender Weise seine Urteile ab. Vielleicht kommt er auch noch einmal zu einer andern „Grundanschauung." Es wäre das zu wünschen bei einem Manne von seiner Befähigung und seiner Kenntnis der modernen Malerei. Adelbert Matthäi

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/139>, abgerufen am 01.09.2024.