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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

setzen. Und damit komme ich auf den dritten Punkt, den Ton des Mutherschen
Werkes. Auch hier stoßen wir bei Mulder wieder auf jene widerwärtige Ver¬
quickung von Echten und Altenstein, von Dingen, denen man unverhohlen
Beifall zollen muß, und solchen, die uns empören. Wohl ist es wahr, daß
wir Deutschen in unsern wissenschaftlichen Arbeiten leicht trocken und langweilig
werden, und wir könnten von den Ausländern lernen, besser und fesselnder zu
schreiben, ohne daß dabei der Gründlichkeit Abbruch geschähe. Aber die Art,
wie Mulder diese Aufgabe löst, ist nicht zu billigen. Wohl zeigt sich bei ihm
an vielen Stellen eine Fähigkeit, anschaulich zu schildern, die bewundernswürdig
ist. Aber vielleicht ebenso zahlreich sind die Stellen, wo er in seinem Streben,
interessant zu sein, die Grenze des Erlaubten überschreitet, wo er, ganz in dein
Tone von Zolas Nana, eine Sprache führt, der man ähnliche Vorwürfe machen
könnte, wie sie Mulder gegen Kaulbach erhebt. Diese "gedämpfte Sinnlich¬
keit" finde ich an Stellen wie Band 1, Seite 68, 71, 74. 30 und 81, wo er
das Greuzesche Müdchenideal schildert, weiter Band 1, Seite 131, Band 2,
Seite 623 und Band 3, Seite 599, wo er sich für Rops begeistert usw. Diesen
Ton muß die deutsche Wissenschaft ablehnen. Man kann gut und packend
schildern auch ohne diesen Stich ins Zolasche. Auch sonst wird Mulder in
seinem Bestreben, anschaulich zu sein, nicht selten unschön, und sein Beispiel
richtet schon bei denen, deren Abgott er ist, schlimme Verwirrungen an.
Band 1, Seite 63 redet er, um Goya zu charakterisiren, von "wohlsitzenden
wütenden Pinselhieben." Und nun hören wir schon im zweiten Hefte des Pan
einen seiner Nachbeter, Herrn Richard Dehmel, von "sichern Linienhieben"
reden. "Wütend mit dem Pinsel hauen" ist zwar geschmacklos, aber denkbar.
"Mit Linien hauen" ist einfach Unsinn.

Wenn Mulder selbstbewußt ausruft: "Das Buch war gut und war neu,"
fo ist in diesem Satze wieder nur die zweite Hälfte richtig, nicht die erste.
Wenn, wie Mulder Seite 26 seiner Broschüre schreibt, in der Fakultätssitzung
das Wort fiel, "noch wenn man einst die Geschichte der Kunstwissenschaft
schreibe, werde Muthers Geschichte der Malerei als ein Markstein bezeichnet
werden," so mag das richtig sein. Auch Attilas Züge werden in der deutschen
Geschichte und Nietzsches Werke in der der Philosophie einen Markstein bilden.
Aber wie ich den Wert solcher Erscheinungen mehr in der negativen als in
der positiven Seite sehe, nämlich darin, daß die betroffnen Kreise aufgerüttelt
werden, so glaube ich auch, daß der Dank, den wir Mulder zollen müssen,
eine starke Beimischung von den Gefühlen haben wird, mit denen wir an die
französische Revolution und an Erscheinungen der oben angeführten Art zurück¬
denken. In diesem Sinne werden wir Mulder dankbar sein müssen. Er hat
uns aufgerüttelt, hat manchen Schlendrian in der frühern BeHandlungsweise
der Kunstgeschichte aufgedeckt, manchen Abschnitt vorurteilslos richtiger gestaltet,
als wir ihn bisher sahen, der deutschen Forschung manches bis dahin fremde


Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

setzen. Und damit komme ich auf den dritten Punkt, den Ton des Mutherschen
Werkes. Auch hier stoßen wir bei Mulder wieder auf jene widerwärtige Ver¬
quickung von Echten und Altenstein, von Dingen, denen man unverhohlen
Beifall zollen muß, und solchen, die uns empören. Wohl ist es wahr, daß
wir Deutschen in unsern wissenschaftlichen Arbeiten leicht trocken und langweilig
werden, und wir könnten von den Ausländern lernen, besser und fesselnder zu
schreiben, ohne daß dabei der Gründlichkeit Abbruch geschähe. Aber die Art,
wie Mulder diese Aufgabe löst, ist nicht zu billigen. Wohl zeigt sich bei ihm
an vielen Stellen eine Fähigkeit, anschaulich zu schildern, die bewundernswürdig
ist. Aber vielleicht ebenso zahlreich sind die Stellen, wo er in seinem Streben,
interessant zu sein, die Grenze des Erlaubten überschreitet, wo er, ganz in dein
Tone von Zolas Nana, eine Sprache führt, der man ähnliche Vorwürfe machen
könnte, wie sie Mulder gegen Kaulbach erhebt. Diese „gedämpfte Sinnlich¬
keit" finde ich an Stellen wie Band 1, Seite 68, 71, 74. 30 und 81, wo er
das Greuzesche Müdchenideal schildert, weiter Band 1, Seite 131, Band 2,
Seite 623 und Band 3, Seite 599, wo er sich für Rops begeistert usw. Diesen
Ton muß die deutsche Wissenschaft ablehnen. Man kann gut und packend
schildern auch ohne diesen Stich ins Zolasche. Auch sonst wird Mulder in
seinem Bestreben, anschaulich zu sein, nicht selten unschön, und sein Beispiel
richtet schon bei denen, deren Abgott er ist, schlimme Verwirrungen an.
Band 1, Seite 63 redet er, um Goya zu charakterisiren, von „wohlsitzenden
wütenden Pinselhieben." Und nun hören wir schon im zweiten Hefte des Pan
einen seiner Nachbeter, Herrn Richard Dehmel, von „sichern Linienhieben"
reden. „Wütend mit dem Pinsel hauen" ist zwar geschmacklos, aber denkbar.
„Mit Linien hauen" ist einfach Unsinn.

Wenn Mulder selbstbewußt ausruft: „Das Buch war gut und war neu,"
fo ist in diesem Satze wieder nur die zweite Hälfte richtig, nicht die erste.
Wenn, wie Mulder Seite 26 seiner Broschüre schreibt, in der Fakultätssitzung
das Wort fiel, „noch wenn man einst die Geschichte der Kunstwissenschaft
schreibe, werde Muthers Geschichte der Malerei als ein Markstein bezeichnet
werden," so mag das richtig sein. Auch Attilas Züge werden in der deutschen
Geschichte und Nietzsches Werke in der der Philosophie einen Markstein bilden.
Aber wie ich den Wert solcher Erscheinungen mehr in der negativen als in
der positiven Seite sehe, nämlich darin, daß die betroffnen Kreise aufgerüttelt
werden, so glaube ich auch, daß der Dank, den wir Mulder zollen müssen,
eine starke Beimischung von den Gefühlen haben wird, mit denen wir an die
französische Revolution und an Erscheinungen der oben angeführten Art zurück¬
denken. In diesem Sinne werden wir Mulder dankbar sein müssen. Er hat
uns aufgerüttelt, hat manchen Schlendrian in der frühern BeHandlungsweise
der Kunstgeschichte aufgedeckt, manchen Abschnitt vorurteilslos richtiger gestaltet,
als wir ihn bisher sahen, der deutschen Forschung manches bis dahin fremde


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[0138] Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft setzen. Und damit komme ich auf den dritten Punkt, den Ton des Mutherschen Werkes. Auch hier stoßen wir bei Mulder wieder auf jene widerwärtige Ver¬ quickung von Echten und Altenstein, von Dingen, denen man unverhohlen Beifall zollen muß, und solchen, die uns empören. Wohl ist es wahr, daß wir Deutschen in unsern wissenschaftlichen Arbeiten leicht trocken und langweilig werden, und wir könnten von den Ausländern lernen, besser und fesselnder zu schreiben, ohne daß dabei der Gründlichkeit Abbruch geschähe. Aber die Art, wie Mulder diese Aufgabe löst, ist nicht zu billigen. Wohl zeigt sich bei ihm an vielen Stellen eine Fähigkeit, anschaulich zu schildern, die bewundernswürdig ist. Aber vielleicht ebenso zahlreich sind die Stellen, wo er in seinem Streben, interessant zu sein, die Grenze des Erlaubten überschreitet, wo er, ganz in dein Tone von Zolas Nana, eine Sprache führt, der man ähnliche Vorwürfe machen könnte, wie sie Mulder gegen Kaulbach erhebt. Diese „gedämpfte Sinnlich¬ keit" finde ich an Stellen wie Band 1, Seite 68, 71, 74. 30 und 81, wo er das Greuzesche Müdchenideal schildert, weiter Band 1, Seite 131, Band 2, Seite 623 und Band 3, Seite 599, wo er sich für Rops begeistert usw. Diesen Ton muß die deutsche Wissenschaft ablehnen. Man kann gut und packend schildern auch ohne diesen Stich ins Zolasche. Auch sonst wird Mulder in seinem Bestreben, anschaulich zu sein, nicht selten unschön, und sein Beispiel richtet schon bei denen, deren Abgott er ist, schlimme Verwirrungen an. Band 1, Seite 63 redet er, um Goya zu charakterisiren, von „wohlsitzenden wütenden Pinselhieben." Und nun hören wir schon im zweiten Hefte des Pan einen seiner Nachbeter, Herrn Richard Dehmel, von „sichern Linienhieben" reden. „Wütend mit dem Pinsel hauen" ist zwar geschmacklos, aber denkbar. „Mit Linien hauen" ist einfach Unsinn. Wenn Mulder selbstbewußt ausruft: „Das Buch war gut und war neu," fo ist in diesem Satze wieder nur die zweite Hälfte richtig, nicht die erste. Wenn, wie Mulder Seite 26 seiner Broschüre schreibt, in der Fakultätssitzung das Wort fiel, „noch wenn man einst die Geschichte der Kunstwissenschaft schreibe, werde Muthers Geschichte der Malerei als ein Markstein bezeichnet werden," so mag das richtig sein. Auch Attilas Züge werden in der deutschen Geschichte und Nietzsches Werke in der der Philosophie einen Markstein bilden. Aber wie ich den Wert solcher Erscheinungen mehr in der negativen als in der positiven Seite sehe, nämlich darin, daß die betroffnen Kreise aufgerüttelt werden, so glaube ich auch, daß der Dank, den wir Mulder zollen müssen, eine starke Beimischung von den Gefühlen haben wird, mit denen wir an die französische Revolution und an Erscheinungen der oben angeführten Art zurück¬ denken. In diesem Sinne werden wir Mulder dankbar sein müssen. Er hat uns aufgerüttelt, hat manchen Schlendrian in der frühern BeHandlungsweise der Kunstgeschichte aufgedeckt, manchen Abschnitt vorurteilslos richtiger gestaltet, als wir ihn bisher sahen, der deutschen Forschung manches bis dahin fremde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/138>, abgerufen am 01.09.2024.