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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ein Kampf gegen Windmühlen

Verwaltungsdienst anzubahnen, so sollte dazu der neue Handelsminister vor
allem die Hand bieten und seine Forderungen stellen. Nach seiner eignen Vor¬
bildung als Richter in der Provinz und als praktischer Organisator in der
Eisenbahnverwaltung kann man ihm die Fähigkeit zu segensreichem Einwirken
zutrauen; von seinem Charakter wird es abhängen, ob er mit der gebotenen
Rücksichtslosigkeit dem Zopf und dem Schlendrian zuleide gehen wird. Die
Parteien fragen und auch sie hören hilft nichts, auch im Handelsministerium
hat der entscheidende Beamte die schwere, verantwortliche Pflicht des Besser¬
wissens; sonst geht es zurück statt vorwärts, in Preußen und im Reiche.




Gin Kampf gegen Windmühlen

er Kommerzienrat Julius Vorster hat zwei Vorträge gehalten,
in denen er grgen die Theoretiker der Volkswirtschaft, gegen die
Kathedersozialisten, gegen Naumann, Natorp und Schall pole-
misirt, den ersten vor zwei Jahren in der Generalversammlung
des Vereins der Industriellen des Regierungsbezirks Köln, den
zweiten vor ein paar Monaten in der sozial-wissenschaftlichen Studenten-
vereiniguug zu Halle, und die er unter den Titeln "Der Sozialismus der ge¬
bildeten Stände" (Köln, I. G. Schmitz, 1894) und "Die Großindustrie eine
der Grundlagen nationaler Sozialpolitik" (Jena, Gustav Fischer, 1896) heraus¬
gegeben hat. Uns persönlich gehen diese Vorträge nichts an. Naumann,
Natorp und Schall schätzen wir hoch, aber wir vertreten nicht ihre Meinungen;
Kathedersozialisten oder überhaupt Sozialisten sind wir nicht, und Theoretiker
nicht in dem Sinne, den Vorster meint. Wenn wir ein paar Worte über
diese Broschüren sagen, so geschieht es, weil sie Muster jener Windmühlen¬
kämpfe sind, die man auf dem politischen Gebiete seit langem gewohnt ist, die
seit ein paar Jahrzehnten auch auf dem volkswirtschaftlichen Gebiete geführt
werden, und die wir aufs tiefste bedauern, weil es unmöglich zu einer Ver¬
ständigung und zu gemeinsamem fruchtbarem Wirken kommen kann, wenn
jeder von seinem eignen beschränkten Jnteressenstandpunkte aus auf vermeint¬
liche Gegner losschlägt, die er gar nicht oder nur ganz oberflächlich kennt.

Vorster beklagt sich über die angebliche Feindschaft der Theoretiker gegen
das Kapital und gegen die Großindustrie. Darauf hat ihm schon Schulze-
Gävernitz in Ur. 33 der Nation geantwortet, daß diese Feindschaft bloß in
seiner Einbildung besteht. Wir werden ja, nach den Regeln einer gewissen
bequemen Taktik, ebenfalls von Zeit zu Zeit als Sozialisten verschrieen, weil


Ein Kampf gegen Windmühlen

Verwaltungsdienst anzubahnen, so sollte dazu der neue Handelsminister vor
allem die Hand bieten und seine Forderungen stellen. Nach seiner eignen Vor¬
bildung als Richter in der Provinz und als praktischer Organisator in der
Eisenbahnverwaltung kann man ihm die Fähigkeit zu segensreichem Einwirken
zutrauen; von seinem Charakter wird es abhängen, ob er mit der gebotenen
Rücksichtslosigkeit dem Zopf und dem Schlendrian zuleide gehen wird. Die
Parteien fragen und auch sie hören hilft nichts, auch im Handelsministerium
hat der entscheidende Beamte die schwere, verantwortliche Pflicht des Besser¬
wissens; sonst geht es zurück statt vorwärts, in Preußen und im Reiche.




Gin Kampf gegen Windmühlen

er Kommerzienrat Julius Vorster hat zwei Vorträge gehalten,
in denen er grgen die Theoretiker der Volkswirtschaft, gegen die
Kathedersozialisten, gegen Naumann, Natorp und Schall pole-
misirt, den ersten vor zwei Jahren in der Generalversammlung
des Vereins der Industriellen des Regierungsbezirks Köln, den
zweiten vor ein paar Monaten in der sozial-wissenschaftlichen Studenten-
vereiniguug zu Halle, und die er unter den Titeln „Der Sozialismus der ge¬
bildeten Stände" (Köln, I. G. Schmitz, 1894) und „Die Großindustrie eine
der Grundlagen nationaler Sozialpolitik" (Jena, Gustav Fischer, 1896) heraus¬
gegeben hat. Uns persönlich gehen diese Vorträge nichts an. Naumann,
Natorp und Schall schätzen wir hoch, aber wir vertreten nicht ihre Meinungen;
Kathedersozialisten oder überhaupt Sozialisten sind wir nicht, und Theoretiker
nicht in dem Sinne, den Vorster meint. Wenn wir ein paar Worte über
diese Broschüren sagen, so geschieht es, weil sie Muster jener Windmühlen¬
kämpfe sind, die man auf dem politischen Gebiete seit langem gewohnt ist, die
seit ein paar Jahrzehnten auch auf dem volkswirtschaftlichen Gebiete geführt
werden, und die wir aufs tiefste bedauern, weil es unmöglich zu einer Ver¬
ständigung und zu gemeinsamem fruchtbarem Wirken kommen kann, wenn
jeder von seinem eignen beschränkten Jnteressenstandpunkte aus auf vermeint¬
liche Gegner losschlägt, die er gar nicht oder nur ganz oberflächlich kennt.

Vorster beklagt sich über die angebliche Feindschaft der Theoretiker gegen
das Kapital und gegen die Großindustrie. Darauf hat ihm schon Schulze-
Gävernitz in Ur. 33 der Nation geantwortet, daß diese Feindschaft bloß in
seiner Einbildung besteht. Wir werden ja, nach den Regeln einer gewissen
bequemen Taktik, ebenfalls von Zeit zu Zeit als Sozialisten verschrieen, weil


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[0110] Ein Kampf gegen Windmühlen Verwaltungsdienst anzubahnen, so sollte dazu der neue Handelsminister vor allem die Hand bieten und seine Forderungen stellen. Nach seiner eignen Vor¬ bildung als Richter in der Provinz und als praktischer Organisator in der Eisenbahnverwaltung kann man ihm die Fähigkeit zu segensreichem Einwirken zutrauen; von seinem Charakter wird es abhängen, ob er mit der gebotenen Rücksichtslosigkeit dem Zopf und dem Schlendrian zuleide gehen wird. Die Parteien fragen und auch sie hören hilft nichts, auch im Handelsministerium hat der entscheidende Beamte die schwere, verantwortliche Pflicht des Besser¬ wissens; sonst geht es zurück statt vorwärts, in Preußen und im Reiche. Gin Kampf gegen Windmühlen er Kommerzienrat Julius Vorster hat zwei Vorträge gehalten, in denen er grgen die Theoretiker der Volkswirtschaft, gegen die Kathedersozialisten, gegen Naumann, Natorp und Schall pole- misirt, den ersten vor zwei Jahren in der Generalversammlung des Vereins der Industriellen des Regierungsbezirks Köln, den zweiten vor ein paar Monaten in der sozial-wissenschaftlichen Studenten- vereiniguug zu Halle, und die er unter den Titeln „Der Sozialismus der ge¬ bildeten Stände" (Köln, I. G. Schmitz, 1894) und „Die Großindustrie eine der Grundlagen nationaler Sozialpolitik" (Jena, Gustav Fischer, 1896) heraus¬ gegeben hat. Uns persönlich gehen diese Vorträge nichts an. Naumann, Natorp und Schall schätzen wir hoch, aber wir vertreten nicht ihre Meinungen; Kathedersozialisten oder überhaupt Sozialisten sind wir nicht, und Theoretiker nicht in dem Sinne, den Vorster meint. Wenn wir ein paar Worte über diese Broschüren sagen, so geschieht es, weil sie Muster jener Windmühlen¬ kämpfe sind, die man auf dem politischen Gebiete seit langem gewohnt ist, die seit ein paar Jahrzehnten auch auf dem volkswirtschaftlichen Gebiete geführt werden, und die wir aufs tiefste bedauern, weil es unmöglich zu einer Ver¬ ständigung und zu gemeinsamem fruchtbarem Wirken kommen kann, wenn jeder von seinem eignen beschränkten Jnteressenstandpunkte aus auf vermeint¬ liche Gegner losschlägt, die er gar nicht oder nur ganz oberflächlich kennt. Vorster beklagt sich über die angebliche Feindschaft der Theoretiker gegen das Kapital und gegen die Großindustrie. Darauf hat ihm schon Schulze- Gävernitz in Ur. 33 der Nation geantwortet, daß diese Feindschaft bloß in seiner Einbildung besteht. Wir werden ja, nach den Regeln einer gewissen bequemen Taktik, ebenfalls von Zeit zu Zeit als Sozialisten verschrieen, weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/110>, abgerufen am 01.09.2024.