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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

erklärte, es sei Geschmackssache, ob jemand Margarine oder Butter zum Brot vor¬
ziehe. Er hätte diesmal auch sagen können: Geruchssache, denn in den großen
Städten ist es allmählich dahin gekommen, daß man wenigstens die Butter gewöhn¬
lich eher riecht, als man sie schmeckt .Und ein wirkliches, echtes, gutes Butterbrot
gehört sür die meisten Stadtbewohner schon lange zu den glücklichen Jugend-
erinnerungen oder zu den Freuden einer Gebirgsreihe, wie der Kuhreigen und das
Alpenglühen. In Berlin giebt es. um zunächst an das Erfahrungsgebiet des Herrn
von Bötticher anzuknüpfen, zahlreiche Verkaufsstellen für Gutsbutter, Theebutter,
Delikateßbuttcr. Süßrahmtafelbutter und wie die schönen Etiketten alle lauten, mit
denen man bisher ohne Margarinegesetz das Konknrrcnzerzengnis zu bekämpfen
suchte. Ein großes Firmenschild draußen mit dem Namen irgend einer ländlichen
Verkaufsgeuossenschaft nud eine weißgeschürzte Verkäuferin drinnen empfehlen uus
zu entsprechendem Preise das reine Erzeugnis der unverfälschten Landwirtschaft.
Aber die Erfahrung und der tägliche Verdruß macht für den Kenner wirklicher
guter Butter die schöne Illusion selbst auf dieser Stufe des Preises und der An¬
sprüche bald zu nichte, sodaß es ihm geht, wie früher dem Baiern in Norddeutsch¬
land, wenn er meinte: "Braun ist es, und flüssig ists auch, und trinken thut mans,
aber kein Bier ists net." Was wird alles dem Dienstmädchen, wenn die Haus¬
frau nicht selber gehen will, in diesen feinen Berliner Buttergeschäften in die Hand
gesteckt! Ebenso ist es aber auch schon in den andern großen Städten, und selbst
in den mittlern und in den kleinern von 20 000 bis 30 000 Einwohnern hat es
schon seine Schwierigkeit -- e-xporto eroclo! --, eine wirklich appetitliche Butter
zum Rohessen zu bekommen. Woran das liegt? Es ist sehr vielerlei, und manches
läßt sich nachweisen. Aber davon soll jetzt nicht die Rede sein. Die Thatsache
besteht. Es gehört nnn aber doch eine große Naivität dazu, diesen jämmerlichen
Zustand schützen und Pflegen zu wollen dnrch ein Margarinegcsetz, welcher Art es
auch sei. Die Butter würde nur noch schlechter werden, die Produzenten hätten
es vielleicht etwas leichter, aber die Menschen, die Butter essen wollen, wären noch
schlimmer dran. Das Publikum mag nun wählen, wie Herr von Bötticher richtig
sagt. Wenn die Margarine immer besser und der Kreis ihrer Liebhaber immer
größer wird, so werden wir andern uns mit der Zeit das historische Butterbrot
abgewöhne" müssen, was auch geht, oder aber -- und das ist das wahrschein¬
lichere -- die Bntterproduttion rentirt nicht mehr, das heißt, weniger agrarisch
ausgedrückt, die Butter wird weniger, besser, vielleicht auch noch ein wenig teurer,
und die wenigen, die dann wollen und können, werden wieder zu einem wohl¬
schmeckenden Butterbrot kommen. Hoffentlich sind wir dann nicht zu alt, uns dieses
Genusses unsrer Jugendzeit noch einmal zu erfreuen.


Zur deutschen Altertums- und Landeskunde.

Die Grenzboten haben
vor kurzem uach Professuren sür deutsches Altertum gerufen. Was aber eine Er¬
weiterung und Vertiefung der deutschen Philologie an den Universitäten bedeutet,
mußte bald der gesamten deutscheu Bildung, d. h. zunächst der Schule zu gute
kommen. Wieviel Kulturschichten in Troja übereinander liegen, wissen Lehrer und
Schüler der Gymnasialprima am Schnürchen, vor dem ..Hunnengrab" in der
nächsten Umgebung ihrer Vaterstadt stehen sie ratlos. Soeben beginnt ein Werk
zu erscheinen, das hier abzuhelfen und umzubilden vorzüglich geeignet ist: der
Direktor des Nationalmuseums in Kopenhagen, Sophus Müller, eine Autorität
von europäischem Rufe auf dem Gebiete der nordischen Altertumskunde, läßt von
dem Breslauer Privatdozenten O. L. Jiriczck eine deutsche Ausgabe seiner Nordischen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

erklärte, es sei Geschmackssache, ob jemand Margarine oder Butter zum Brot vor¬
ziehe. Er hätte diesmal auch sagen können: Geruchssache, denn in den großen
Städten ist es allmählich dahin gekommen, daß man wenigstens die Butter gewöhn¬
lich eher riecht, als man sie schmeckt .Und ein wirkliches, echtes, gutes Butterbrot
gehört sür die meisten Stadtbewohner schon lange zu den glücklichen Jugend-
erinnerungen oder zu den Freuden einer Gebirgsreihe, wie der Kuhreigen und das
Alpenglühen. In Berlin giebt es. um zunächst an das Erfahrungsgebiet des Herrn
von Bötticher anzuknüpfen, zahlreiche Verkaufsstellen für Gutsbutter, Theebutter,
Delikateßbuttcr. Süßrahmtafelbutter und wie die schönen Etiketten alle lauten, mit
denen man bisher ohne Margarinegesetz das Konknrrcnzerzengnis zu bekämpfen
suchte. Ein großes Firmenschild draußen mit dem Namen irgend einer ländlichen
Verkaufsgeuossenschaft nud eine weißgeschürzte Verkäuferin drinnen empfehlen uus
zu entsprechendem Preise das reine Erzeugnis der unverfälschten Landwirtschaft.
Aber die Erfahrung und der tägliche Verdruß macht für den Kenner wirklicher
guter Butter die schöne Illusion selbst auf dieser Stufe des Preises und der An¬
sprüche bald zu nichte, sodaß es ihm geht, wie früher dem Baiern in Norddeutsch¬
land, wenn er meinte: „Braun ist es, und flüssig ists auch, und trinken thut mans,
aber kein Bier ists net." Was wird alles dem Dienstmädchen, wenn die Haus¬
frau nicht selber gehen will, in diesen feinen Berliner Buttergeschäften in die Hand
gesteckt! Ebenso ist es aber auch schon in den andern großen Städten, und selbst
in den mittlern und in den kleinern von 20 000 bis 30 000 Einwohnern hat es
schon seine Schwierigkeit — e-xporto eroclo! —, eine wirklich appetitliche Butter
zum Rohessen zu bekommen. Woran das liegt? Es ist sehr vielerlei, und manches
läßt sich nachweisen. Aber davon soll jetzt nicht die Rede sein. Die Thatsache
besteht. Es gehört nnn aber doch eine große Naivität dazu, diesen jämmerlichen
Zustand schützen und Pflegen zu wollen dnrch ein Margarinegcsetz, welcher Art es
auch sei. Die Butter würde nur noch schlechter werden, die Produzenten hätten
es vielleicht etwas leichter, aber die Menschen, die Butter essen wollen, wären noch
schlimmer dran. Das Publikum mag nun wählen, wie Herr von Bötticher richtig
sagt. Wenn die Margarine immer besser und der Kreis ihrer Liebhaber immer
größer wird, so werden wir andern uns mit der Zeit das historische Butterbrot
abgewöhne» müssen, was auch geht, oder aber — und das ist das wahrschein¬
lichere — die Bntterproduttion rentirt nicht mehr, das heißt, weniger agrarisch
ausgedrückt, die Butter wird weniger, besser, vielleicht auch noch ein wenig teurer,
und die wenigen, die dann wollen und können, werden wieder zu einem wohl¬
schmeckenden Butterbrot kommen. Hoffentlich sind wir dann nicht zu alt, uns dieses
Genusses unsrer Jugendzeit noch einmal zu erfreuen.


Zur deutschen Altertums- und Landeskunde.

Die Grenzboten haben
vor kurzem uach Professuren sür deutsches Altertum gerufen. Was aber eine Er¬
weiterung und Vertiefung der deutschen Philologie an den Universitäten bedeutet,
mußte bald der gesamten deutscheu Bildung, d. h. zunächst der Schule zu gute
kommen. Wieviel Kulturschichten in Troja übereinander liegen, wissen Lehrer und
Schüler der Gymnasialprima am Schnürchen, vor dem ..Hunnengrab" in der
nächsten Umgebung ihrer Vaterstadt stehen sie ratlos. Soeben beginnt ein Werk
zu erscheinen, das hier abzuhelfen und umzubilden vorzüglich geeignet ist: der
Direktor des Nationalmuseums in Kopenhagen, Sophus Müller, eine Autorität
von europäischem Rufe auf dem Gebiete der nordischen Altertumskunde, läßt von
dem Breslauer Privatdozenten O. L. Jiriczck eine deutsche Ausgabe seiner Nordischen


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[0101] Maßgebliches und Unmaßgebliches erklärte, es sei Geschmackssache, ob jemand Margarine oder Butter zum Brot vor¬ ziehe. Er hätte diesmal auch sagen können: Geruchssache, denn in den großen Städten ist es allmählich dahin gekommen, daß man wenigstens die Butter gewöhn¬ lich eher riecht, als man sie schmeckt .Und ein wirkliches, echtes, gutes Butterbrot gehört sür die meisten Stadtbewohner schon lange zu den glücklichen Jugend- erinnerungen oder zu den Freuden einer Gebirgsreihe, wie der Kuhreigen und das Alpenglühen. In Berlin giebt es. um zunächst an das Erfahrungsgebiet des Herrn von Bötticher anzuknüpfen, zahlreiche Verkaufsstellen für Gutsbutter, Theebutter, Delikateßbuttcr. Süßrahmtafelbutter und wie die schönen Etiketten alle lauten, mit denen man bisher ohne Margarinegesetz das Konknrrcnzerzengnis zu bekämpfen suchte. Ein großes Firmenschild draußen mit dem Namen irgend einer ländlichen Verkaufsgeuossenschaft nud eine weißgeschürzte Verkäuferin drinnen empfehlen uus zu entsprechendem Preise das reine Erzeugnis der unverfälschten Landwirtschaft. Aber die Erfahrung und der tägliche Verdruß macht für den Kenner wirklicher guter Butter die schöne Illusion selbst auf dieser Stufe des Preises und der An¬ sprüche bald zu nichte, sodaß es ihm geht, wie früher dem Baiern in Norddeutsch¬ land, wenn er meinte: „Braun ist es, und flüssig ists auch, und trinken thut mans, aber kein Bier ists net." Was wird alles dem Dienstmädchen, wenn die Haus¬ frau nicht selber gehen will, in diesen feinen Berliner Buttergeschäften in die Hand gesteckt! Ebenso ist es aber auch schon in den andern großen Städten, und selbst in den mittlern und in den kleinern von 20 000 bis 30 000 Einwohnern hat es schon seine Schwierigkeit — e-xporto eroclo! —, eine wirklich appetitliche Butter zum Rohessen zu bekommen. Woran das liegt? Es ist sehr vielerlei, und manches läßt sich nachweisen. Aber davon soll jetzt nicht die Rede sein. Die Thatsache besteht. Es gehört nnn aber doch eine große Naivität dazu, diesen jämmerlichen Zustand schützen und Pflegen zu wollen dnrch ein Margarinegcsetz, welcher Art es auch sei. Die Butter würde nur noch schlechter werden, die Produzenten hätten es vielleicht etwas leichter, aber die Menschen, die Butter essen wollen, wären noch schlimmer dran. Das Publikum mag nun wählen, wie Herr von Bötticher richtig sagt. Wenn die Margarine immer besser und der Kreis ihrer Liebhaber immer größer wird, so werden wir andern uns mit der Zeit das historische Butterbrot abgewöhne» müssen, was auch geht, oder aber — und das ist das wahrschein¬ lichere — die Bntterproduttion rentirt nicht mehr, das heißt, weniger agrarisch ausgedrückt, die Butter wird weniger, besser, vielleicht auch noch ein wenig teurer, und die wenigen, die dann wollen und können, werden wieder zu einem wohl¬ schmeckenden Butterbrot kommen. Hoffentlich sind wir dann nicht zu alt, uns dieses Genusses unsrer Jugendzeit noch einmal zu erfreuen. Zur deutschen Altertums- und Landeskunde. Die Grenzboten haben vor kurzem uach Professuren sür deutsches Altertum gerufen. Was aber eine Er¬ weiterung und Vertiefung der deutschen Philologie an den Universitäten bedeutet, mußte bald der gesamten deutscheu Bildung, d. h. zunächst der Schule zu gute kommen. Wieviel Kulturschichten in Troja übereinander liegen, wissen Lehrer und Schüler der Gymnasialprima am Schnürchen, vor dem ..Hunnengrab" in der nächsten Umgebung ihrer Vaterstadt stehen sie ratlos. Soeben beginnt ein Werk zu erscheinen, das hier abzuhelfen und umzubilden vorzüglich geeignet ist: der Direktor des Nationalmuseums in Kopenhagen, Sophus Müller, eine Autorität von europäischem Rufe auf dem Gebiete der nordischen Altertumskunde, läßt von dem Breslauer Privatdozenten O. L. Jiriczck eine deutsche Ausgabe seiner Nordischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/101>, abgerufen am 25.11.2024.