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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Zwischenhandel

die zu geringen Wert haben, als daß man sich ihretwegen die Schuhe naß
macht. Für die zweite Gattung ergiebt sich die Filiale, also z.B. für die
meisten Lebensmittel, sür die erste der Vcizar, wenn auch nicht in durchgeführter
Zentralisation. Vorläufig haben wir in den einzelnen Stadtgegenden meist
noch mehrere Bazare für den Mittelstand, die sich dadurch unterscheiden, daß
der eine Teil sich auf Gewebe, der andre sich auf harte Waren beschränkt.
Daß aber diese Scheidung verschwindet, ist mir noch eine Frage der Zeit.
Aber selbst wenn diese Vereinigung vollzogen sein wird, werden in einer
Stadtgegend, so lange wenigstens, als den Bazaren für den Mittelstand
nicht ganz bedeutende Kapitalien zur Verfügung stehen, noch eine größere
Anzahl dieser Unternehmungen bleiben: nämlich so viel, als der Mittelstand
Schichtungen hat. Je weniger das werden, um so mehr wird die Zen¬
tralisation erleichtert. Die Anzahl der Artikel eines Baznrs wird, wie gesagt,
nur durch das Kapital des Unternehmers begrenzt. Um alles zu sühren, was
der Mittelstand außer den Lebensmitteln und den unbedeutendsten sonstigen
Bedürfnissen (wie Nadeln, Zwirn usw.) braucht, dazu gehören Millionen. Man
denke nur, welche Räume allein nötig sind für ein Möbellager, welche Pflege
für Pelzwaren, was für Einrichtungen zum Verkauf von Porzellan und Glas.
In Berlin ist man ja schon ziemlich weit. Zum Teil beschränkt man sich
sogar schon nicht mehr darauf, nur eine der drei Gesellschaftsschichten zum
Kunden zu haben. Für die obern Zehntausend liefert Gerson bereits alles,
was man braucht. Mit gewebten Waren befriedigen Herzog und Israel die
Bedürfnisse ziemlich aller Gesellschaftsschichten, einschließlich des bessern Prole¬
tariats. Und der untere Mittelstand, der gern noch behäbig erscheinen möchte,
ohne es zu sein, findet bei Wertheim und Lubasch seinen gesamten Bedarf.
Daß es nicht diese Bazare sind, die die Handwerker "morden," sondern daß
umgekehrt diese längst untergegangen sein müssen, ehe der Bazar die betreffende
Ware führen kann, glaube ich nachgewiesen zu haben/")

Die Detailgeschäfte der dritten Art, die für die Proletarier bestimmt sind,
sind wohl jetzt schon überall in zahlreichen Bazaren zentmlisirt. An den Waren
für diesen größten Bedarf wird zu wenig verdient, als daß sich schnell bei
einem Unternehmer eines solchen Bazars ein Kapital ansammeln könnte, groß
genug, alle Bedarfsartikel, vielleicht mit Ausnahme der Lebensmittel, zu
führen und wenigstens die Kundschaft mehrerer Proletarierviertel auf sich zu
vereinigen. Wir gehen hier sicher einer weitgehenden Zentralisation entgegen,
doch wird der Weg dahin sehr langsam zurückgelegt werden. Zur Zeit ist die
Lage in den großen Städten so, daß jedes Viertel ein Kvlonialwarengeschäft



*) Der Kampf gegen die Bazare bedeutet nicht den Kampf des Handwerks gegen den
Kapitalismus, sondern, wie fast die ganze heutige Handwerkerbewegung, den Kampf kleiner
kapitalistischer Unternehmer gegen übermächtig gewordne.
Der Zwischenhandel

die zu geringen Wert haben, als daß man sich ihretwegen die Schuhe naß
macht. Für die zweite Gattung ergiebt sich die Filiale, also z.B. für die
meisten Lebensmittel, sür die erste der Vcizar, wenn auch nicht in durchgeführter
Zentralisation. Vorläufig haben wir in den einzelnen Stadtgegenden meist
noch mehrere Bazare für den Mittelstand, die sich dadurch unterscheiden, daß
der eine Teil sich auf Gewebe, der andre sich auf harte Waren beschränkt.
Daß aber diese Scheidung verschwindet, ist mir noch eine Frage der Zeit.
Aber selbst wenn diese Vereinigung vollzogen sein wird, werden in einer
Stadtgegend, so lange wenigstens, als den Bazaren für den Mittelstand
nicht ganz bedeutende Kapitalien zur Verfügung stehen, noch eine größere
Anzahl dieser Unternehmungen bleiben: nämlich so viel, als der Mittelstand
Schichtungen hat. Je weniger das werden, um so mehr wird die Zen¬
tralisation erleichtert. Die Anzahl der Artikel eines Baznrs wird, wie gesagt,
nur durch das Kapital des Unternehmers begrenzt. Um alles zu sühren, was
der Mittelstand außer den Lebensmitteln und den unbedeutendsten sonstigen
Bedürfnissen (wie Nadeln, Zwirn usw.) braucht, dazu gehören Millionen. Man
denke nur, welche Räume allein nötig sind für ein Möbellager, welche Pflege
für Pelzwaren, was für Einrichtungen zum Verkauf von Porzellan und Glas.
In Berlin ist man ja schon ziemlich weit. Zum Teil beschränkt man sich
sogar schon nicht mehr darauf, nur eine der drei Gesellschaftsschichten zum
Kunden zu haben. Für die obern Zehntausend liefert Gerson bereits alles,
was man braucht. Mit gewebten Waren befriedigen Herzog und Israel die
Bedürfnisse ziemlich aller Gesellschaftsschichten, einschließlich des bessern Prole¬
tariats. Und der untere Mittelstand, der gern noch behäbig erscheinen möchte,
ohne es zu sein, findet bei Wertheim und Lubasch seinen gesamten Bedarf.
Daß es nicht diese Bazare sind, die die Handwerker „morden," sondern daß
umgekehrt diese längst untergegangen sein müssen, ehe der Bazar die betreffende
Ware führen kann, glaube ich nachgewiesen zu haben/")

Die Detailgeschäfte der dritten Art, die für die Proletarier bestimmt sind,
sind wohl jetzt schon überall in zahlreichen Bazaren zentmlisirt. An den Waren
für diesen größten Bedarf wird zu wenig verdient, als daß sich schnell bei
einem Unternehmer eines solchen Bazars ein Kapital ansammeln könnte, groß
genug, alle Bedarfsartikel, vielleicht mit Ausnahme der Lebensmittel, zu
führen und wenigstens die Kundschaft mehrerer Proletarierviertel auf sich zu
vereinigen. Wir gehen hier sicher einer weitgehenden Zentralisation entgegen,
doch wird der Weg dahin sehr langsam zurückgelegt werden. Zur Zeit ist die
Lage in den großen Städten so, daß jedes Viertel ein Kvlonialwarengeschäft



*) Der Kampf gegen die Bazare bedeutet nicht den Kampf des Handwerks gegen den
Kapitalismus, sondern, wie fast die ganze heutige Handwerkerbewegung, den Kampf kleiner
kapitalistischer Unternehmer gegen übermächtig gewordne.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/70>, abgerufen am 24.08.2024.