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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Professuren für deutsches Altertum

Die Vertretung der Urgeschichte Deutschlands liegt aber am besten in den
Händen der neuzuschaffenden Professoren für germanisches Altertum, während
die bisherigen Germanisten in dem eigentlichen Mittelalter ihr völlig aus¬
reichendes Arbeitsfeld haben. Ein auf dem vorjährigen Kölnischen Philologen¬
tage von einem der besten Kenner des germanischen Altertums gestellter Antrag,
die germanische Philologie möge forthin die germanische vorgeschichtliche Archäo¬
logie als wesentlichen Bestandteil in Anspruch nehmen, fand bei der germa¬
nistischen Sektion jener Versammlung einstimmig Annahme. Der zukünftige
Professor für germanische Altertumskunde hätte darnach das gesamte Kultur¬
leben der Germanen seit der indogermanischen Urzeit durch alle Stufen der
Prähistorie hindurch bis zum Ausgang des Heidentums zu umspannen. Er
müßte Vorlesungen halten über vorgeschichtliche Archäologie, Ethnologie, My¬
thologie, Haus- und Staatsaltertümer der Germanen, sowie über deutsche
Volkskunde. Unerläßliche Bedingung wäre für ihn zugleich die Beherrschung
der ältesten germanischen Sprachgeschichte, ohne die keine wahre Beherrschung
der Altertumskunde denkbar ist, so wenig wie die klassischen Archäologen und
Historiker die antike Sprachkunde entbehren können.

Woher aber die Kräfte für solche Professuren nehmen? Nun, schon jetzt
sind sie genügend vorhanden, teils als Dozenten an den Universitäten, teils
auch außerhalb der Universitäten. Bei dem allgemeinen Zuge der historisch¬
philologischen Wissenschaften, auch der germanistischen, nach dem Realen hin
bedürfte es nur eines leisen Winkes der Unterrichtsverwaltung, und eine Menge
Kräfte, die sich jetzt notgedrungen mehr der philologischen Exegese, der Gram¬
matik, der Litteraturgeschichte widmen, würden mit Begeisterung aus Wort-
zu Sachphilologen werden und in wenigen Semestern einen weitern Nach¬
wuchs von Kandidaten für die Professuren der germanischen Altertumskunde
bilden.

Schaffen wir an unsern Universitäten Heimstätten für die Pflege der
Wissenschaft, die sich mit den Ansängen und Grundlagen unsers Volkstums
beschäftigt, so wird das eine Anregung, Klärung und Vertiefung des National-
gefühls in allen Kreisen der Bevölkerung nach sich ziehen. Es handelt sich
also hier um eine Forderung, für die nationale Gründe ebenso sprechen wie
wissenschaftliche. Sie wird auch, davon sind wir fest überzeugt, im Laufe ab¬
sehbarer Zeit an allen Brennpunkten deutschen Geisteslebens Beachtung finden,
auch in Baiern, Sachsen, Württemberg und in Deutschösterreich. Aber gerade
die preußische Unterrichtsverwaltung sollte in einer so wichtigen, unser Volks-
tum berührenden Angelegenheit, den deutschen Überlieferungen Preußens und
ihren eignen Überlieferungen getreu, den ersten Schritt thun.




Professuren für deutsches Altertum

Die Vertretung der Urgeschichte Deutschlands liegt aber am besten in den
Händen der neuzuschaffenden Professoren für germanisches Altertum, während
die bisherigen Germanisten in dem eigentlichen Mittelalter ihr völlig aus¬
reichendes Arbeitsfeld haben. Ein auf dem vorjährigen Kölnischen Philologen¬
tage von einem der besten Kenner des germanischen Altertums gestellter Antrag,
die germanische Philologie möge forthin die germanische vorgeschichtliche Archäo¬
logie als wesentlichen Bestandteil in Anspruch nehmen, fand bei der germa¬
nistischen Sektion jener Versammlung einstimmig Annahme. Der zukünftige
Professor für germanische Altertumskunde hätte darnach das gesamte Kultur¬
leben der Germanen seit der indogermanischen Urzeit durch alle Stufen der
Prähistorie hindurch bis zum Ausgang des Heidentums zu umspannen. Er
müßte Vorlesungen halten über vorgeschichtliche Archäologie, Ethnologie, My¬
thologie, Haus- und Staatsaltertümer der Germanen, sowie über deutsche
Volkskunde. Unerläßliche Bedingung wäre für ihn zugleich die Beherrschung
der ältesten germanischen Sprachgeschichte, ohne die keine wahre Beherrschung
der Altertumskunde denkbar ist, so wenig wie die klassischen Archäologen und
Historiker die antike Sprachkunde entbehren können.

Woher aber die Kräfte für solche Professuren nehmen? Nun, schon jetzt
sind sie genügend vorhanden, teils als Dozenten an den Universitäten, teils
auch außerhalb der Universitäten. Bei dem allgemeinen Zuge der historisch¬
philologischen Wissenschaften, auch der germanistischen, nach dem Realen hin
bedürfte es nur eines leisen Winkes der Unterrichtsverwaltung, und eine Menge
Kräfte, die sich jetzt notgedrungen mehr der philologischen Exegese, der Gram¬
matik, der Litteraturgeschichte widmen, würden mit Begeisterung aus Wort-
zu Sachphilologen werden und in wenigen Semestern einen weitern Nach¬
wuchs von Kandidaten für die Professuren der germanischen Altertumskunde
bilden.

Schaffen wir an unsern Universitäten Heimstätten für die Pflege der
Wissenschaft, die sich mit den Ansängen und Grundlagen unsers Volkstums
beschäftigt, so wird das eine Anregung, Klärung und Vertiefung des National-
gefühls in allen Kreisen der Bevölkerung nach sich ziehen. Es handelt sich
also hier um eine Forderung, für die nationale Gründe ebenso sprechen wie
wissenschaftliche. Sie wird auch, davon sind wir fest überzeugt, im Laufe ab¬
sehbarer Zeit an allen Brennpunkten deutschen Geisteslebens Beachtung finden,
auch in Baiern, Sachsen, Württemberg und in Deutschösterreich. Aber gerade
die preußische Unterrichtsverwaltung sollte in einer so wichtigen, unser Volks-
tum berührenden Angelegenheit, den deutschen Überlieferungen Preußens und
ihren eignen Überlieferungen getreu, den ersten Schritt thun.




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[0613] Professuren für deutsches Altertum Die Vertretung der Urgeschichte Deutschlands liegt aber am besten in den Händen der neuzuschaffenden Professoren für germanisches Altertum, während die bisherigen Germanisten in dem eigentlichen Mittelalter ihr völlig aus¬ reichendes Arbeitsfeld haben. Ein auf dem vorjährigen Kölnischen Philologen¬ tage von einem der besten Kenner des germanischen Altertums gestellter Antrag, die germanische Philologie möge forthin die germanische vorgeschichtliche Archäo¬ logie als wesentlichen Bestandteil in Anspruch nehmen, fand bei der germa¬ nistischen Sektion jener Versammlung einstimmig Annahme. Der zukünftige Professor für germanische Altertumskunde hätte darnach das gesamte Kultur¬ leben der Germanen seit der indogermanischen Urzeit durch alle Stufen der Prähistorie hindurch bis zum Ausgang des Heidentums zu umspannen. Er müßte Vorlesungen halten über vorgeschichtliche Archäologie, Ethnologie, My¬ thologie, Haus- und Staatsaltertümer der Germanen, sowie über deutsche Volkskunde. Unerläßliche Bedingung wäre für ihn zugleich die Beherrschung der ältesten germanischen Sprachgeschichte, ohne die keine wahre Beherrschung der Altertumskunde denkbar ist, so wenig wie die klassischen Archäologen und Historiker die antike Sprachkunde entbehren können. Woher aber die Kräfte für solche Professuren nehmen? Nun, schon jetzt sind sie genügend vorhanden, teils als Dozenten an den Universitäten, teils auch außerhalb der Universitäten. Bei dem allgemeinen Zuge der historisch¬ philologischen Wissenschaften, auch der germanistischen, nach dem Realen hin bedürfte es nur eines leisen Winkes der Unterrichtsverwaltung, und eine Menge Kräfte, die sich jetzt notgedrungen mehr der philologischen Exegese, der Gram¬ matik, der Litteraturgeschichte widmen, würden mit Begeisterung aus Wort- zu Sachphilologen werden und in wenigen Semestern einen weitern Nach¬ wuchs von Kandidaten für die Professuren der germanischen Altertumskunde bilden. Schaffen wir an unsern Universitäten Heimstätten für die Pflege der Wissenschaft, die sich mit den Ansängen und Grundlagen unsers Volkstums beschäftigt, so wird das eine Anregung, Klärung und Vertiefung des National- gefühls in allen Kreisen der Bevölkerung nach sich ziehen. Es handelt sich also hier um eine Forderung, für die nationale Gründe ebenso sprechen wie wissenschaftliche. Sie wird auch, davon sind wir fest überzeugt, im Laufe ab¬ sehbarer Zeit an allen Brennpunkten deutschen Geisteslebens Beachtung finden, auch in Baiern, Sachsen, Württemberg und in Deutschösterreich. Aber gerade die preußische Unterrichtsverwaltung sollte in einer so wichtigen, unser Volks- tum berührenden Angelegenheit, den deutschen Überlieferungen Preußens und ihren eignen Überlieferungen getreu, den ersten Schritt thun.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/613>, abgerufen am 02.10.2024.