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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Professuren für deutsches Altertum

Deutschland noch weiter verurteilt bleiben, nur in den Provinzialmuseen und
auf den Anthropologenkongressen gewissermaßen ein von Privatgesellschaften
abhängiges Dasein zu führen, während bei den andern Nationen um uns
herum, vor allem bei den Skandinaviern, die Prähistorie im Vordergrunde des
nationalen Interesses steht und jetzt auch bei den "interessanten" Völkerschaften
der Tschechen und Magyaren Volkskunde und Prähistorie mehr als jede andre
Wissenschaft gehegt und gepflegt werden, ja geradezu den Stolz dieser kleinen
Nationen von kurzer geschichtlicher Vergangenheit bilden, wie am besten die
ethnographischen Ausstellungen in Prag vom vorigen Jahre, in Pest von diesem
Jahre bekunden? Solchen weltberühmten Namen wie Montelius und Sophus
Müller haben wir in Deutschland keinen gleichen entgegenzusetzen, denn Virchow,
in erster Reihe Mediziner, verwaltet die Vorgeschichte nur als Liebhaber,
höchstens ,,im Nebenamte." In Deutschland giebt es, wenn auch die Kräfte
dafür nicht fehlen würden, noch gar nicht einmal die Ordnung, geschweige
denn die Veröffentlichung des vorhandnett archäologischen Materials, auf Grund
dessen eine so allseitige Darstellung der ganzen Vorgeschichte unsers Landes
entworfen werden könnte, wie sie Schweden, Dänemark und selbst Norwegen
in meisterhaften Werken haben. Bei uns haben sich Mediziner und andre
Naturforscher der vorgeschichtlichen Archäologie bemächtigt, die Landeshistoriker
sich aber von jenen leider fast ganz verdrängen lassen. Nun, daß die Archäo¬
logie keine Naturwissenschaft, sondern eine geschichtliche Wissenschaft ist, zeigt
am klarsten ihre Entwicklung in ihrem klassischen Mutterlands Skandinavien,
wo sie ebenso wie überall außerhalb Deutschlands nicht in den Händen von
Vertretern der physischen Anthropologie, sondern von solchen der Urgeschichte
liegt. Man hat in den letzten Jahren mehrfach dafür gestritten, daß für das
Gesamtgebiet der Prähistorie eigne Professuren geschaffen werden. Ein solcher
Schritt wäre aber keine glückliche Lösung der "archäologischen" Frage. So
wenig man Professuren für allgemeine Kulturgeschichte, einen Ausschnitt aus
der gesamten Weltgeschichte, schaffen darf (obwohl es der Herausgeber einer
Zeitschrift für Kulturgeschichte lebhaft betreibt), weil sich eben die Weltgeschichte
an den Universitäten schon in die Geschichte der Ägypter, Orientalen, Griechen,
Römer, ferner in die des Mittelalters und der Neuzeit zerspalten hat, so wenig
kann die gesamte Prühistorie uuter einer Professur vereinigt werden, nachdem
die Archäologie der sogenannten Naturvölker bereits von den Ethnologen, die
Archäologie Ägyptens von den Ägyptologen, die von Vorderasien von den
Vertretern teils der semitischen, teils der klassischen Urgeschichte, endlich die
Prähistorie Griechenlands und Italiens gleichfalls von den klassischen Archäo¬
logen mit Beschlag belegt worden ist. Was bliebe denn da sür den reinen
PräHistoriker noch übrig? Nur Mittel- und Nordeuropa. Da ist es denn doch
klar, daß diese Gebiete der Prähistorie einen andern Anschluß suchen müssen und
ihn aufs natürlichste bei den Vertretern der Urgeschichte dieses Landes finden.


Professuren für deutsches Altertum

Deutschland noch weiter verurteilt bleiben, nur in den Provinzialmuseen und
auf den Anthropologenkongressen gewissermaßen ein von Privatgesellschaften
abhängiges Dasein zu führen, während bei den andern Nationen um uns
herum, vor allem bei den Skandinaviern, die Prähistorie im Vordergrunde des
nationalen Interesses steht und jetzt auch bei den „interessanten" Völkerschaften
der Tschechen und Magyaren Volkskunde und Prähistorie mehr als jede andre
Wissenschaft gehegt und gepflegt werden, ja geradezu den Stolz dieser kleinen
Nationen von kurzer geschichtlicher Vergangenheit bilden, wie am besten die
ethnographischen Ausstellungen in Prag vom vorigen Jahre, in Pest von diesem
Jahre bekunden? Solchen weltberühmten Namen wie Montelius und Sophus
Müller haben wir in Deutschland keinen gleichen entgegenzusetzen, denn Virchow,
in erster Reihe Mediziner, verwaltet die Vorgeschichte nur als Liebhaber,
höchstens ,,im Nebenamte." In Deutschland giebt es, wenn auch die Kräfte
dafür nicht fehlen würden, noch gar nicht einmal die Ordnung, geschweige
denn die Veröffentlichung des vorhandnett archäologischen Materials, auf Grund
dessen eine so allseitige Darstellung der ganzen Vorgeschichte unsers Landes
entworfen werden könnte, wie sie Schweden, Dänemark und selbst Norwegen
in meisterhaften Werken haben. Bei uns haben sich Mediziner und andre
Naturforscher der vorgeschichtlichen Archäologie bemächtigt, die Landeshistoriker
sich aber von jenen leider fast ganz verdrängen lassen. Nun, daß die Archäo¬
logie keine Naturwissenschaft, sondern eine geschichtliche Wissenschaft ist, zeigt
am klarsten ihre Entwicklung in ihrem klassischen Mutterlands Skandinavien,
wo sie ebenso wie überall außerhalb Deutschlands nicht in den Händen von
Vertretern der physischen Anthropologie, sondern von solchen der Urgeschichte
liegt. Man hat in den letzten Jahren mehrfach dafür gestritten, daß für das
Gesamtgebiet der Prähistorie eigne Professuren geschaffen werden. Ein solcher
Schritt wäre aber keine glückliche Lösung der „archäologischen" Frage. So
wenig man Professuren für allgemeine Kulturgeschichte, einen Ausschnitt aus
der gesamten Weltgeschichte, schaffen darf (obwohl es der Herausgeber einer
Zeitschrift für Kulturgeschichte lebhaft betreibt), weil sich eben die Weltgeschichte
an den Universitäten schon in die Geschichte der Ägypter, Orientalen, Griechen,
Römer, ferner in die des Mittelalters und der Neuzeit zerspalten hat, so wenig
kann die gesamte Prühistorie uuter einer Professur vereinigt werden, nachdem
die Archäologie der sogenannten Naturvölker bereits von den Ethnologen, die
Archäologie Ägyptens von den Ägyptologen, die von Vorderasien von den
Vertretern teils der semitischen, teils der klassischen Urgeschichte, endlich die
Prähistorie Griechenlands und Italiens gleichfalls von den klassischen Archäo¬
logen mit Beschlag belegt worden ist. Was bliebe denn da sür den reinen
PräHistoriker noch übrig? Nur Mittel- und Nordeuropa. Da ist es denn doch
klar, daß diese Gebiete der Prähistorie einen andern Anschluß suchen müssen und
ihn aufs natürlichste bei den Vertretern der Urgeschichte dieses Landes finden.


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[0612] Professuren für deutsches Altertum Deutschland noch weiter verurteilt bleiben, nur in den Provinzialmuseen und auf den Anthropologenkongressen gewissermaßen ein von Privatgesellschaften abhängiges Dasein zu führen, während bei den andern Nationen um uns herum, vor allem bei den Skandinaviern, die Prähistorie im Vordergrunde des nationalen Interesses steht und jetzt auch bei den „interessanten" Völkerschaften der Tschechen und Magyaren Volkskunde und Prähistorie mehr als jede andre Wissenschaft gehegt und gepflegt werden, ja geradezu den Stolz dieser kleinen Nationen von kurzer geschichtlicher Vergangenheit bilden, wie am besten die ethnographischen Ausstellungen in Prag vom vorigen Jahre, in Pest von diesem Jahre bekunden? Solchen weltberühmten Namen wie Montelius und Sophus Müller haben wir in Deutschland keinen gleichen entgegenzusetzen, denn Virchow, in erster Reihe Mediziner, verwaltet die Vorgeschichte nur als Liebhaber, höchstens ,,im Nebenamte." In Deutschland giebt es, wenn auch die Kräfte dafür nicht fehlen würden, noch gar nicht einmal die Ordnung, geschweige denn die Veröffentlichung des vorhandnett archäologischen Materials, auf Grund dessen eine so allseitige Darstellung der ganzen Vorgeschichte unsers Landes entworfen werden könnte, wie sie Schweden, Dänemark und selbst Norwegen in meisterhaften Werken haben. Bei uns haben sich Mediziner und andre Naturforscher der vorgeschichtlichen Archäologie bemächtigt, die Landeshistoriker sich aber von jenen leider fast ganz verdrängen lassen. Nun, daß die Archäo¬ logie keine Naturwissenschaft, sondern eine geschichtliche Wissenschaft ist, zeigt am klarsten ihre Entwicklung in ihrem klassischen Mutterlands Skandinavien, wo sie ebenso wie überall außerhalb Deutschlands nicht in den Händen von Vertretern der physischen Anthropologie, sondern von solchen der Urgeschichte liegt. Man hat in den letzten Jahren mehrfach dafür gestritten, daß für das Gesamtgebiet der Prähistorie eigne Professuren geschaffen werden. Ein solcher Schritt wäre aber keine glückliche Lösung der „archäologischen" Frage. So wenig man Professuren für allgemeine Kulturgeschichte, einen Ausschnitt aus der gesamten Weltgeschichte, schaffen darf (obwohl es der Herausgeber einer Zeitschrift für Kulturgeschichte lebhaft betreibt), weil sich eben die Weltgeschichte an den Universitäten schon in die Geschichte der Ägypter, Orientalen, Griechen, Römer, ferner in die des Mittelalters und der Neuzeit zerspalten hat, so wenig kann die gesamte Prühistorie uuter einer Professur vereinigt werden, nachdem die Archäologie der sogenannten Naturvölker bereits von den Ethnologen, die Archäologie Ägyptens von den Ägyptologen, die von Vorderasien von den Vertretern teils der semitischen, teils der klassischen Urgeschichte, endlich die Prähistorie Griechenlands und Italiens gleichfalls von den klassischen Archäo¬ logen mit Beschlag belegt worden ist. Was bliebe denn da sür den reinen PräHistoriker noch übrig? Nur Mittel- und Nordeuropa. Da ist es denn doch klar, daß diese Gebiete der Prähistorie einen andern Anschluß suchen müssen und ihn aufs natürlichste bei den Vertretern der Urgeschichte dieses Landes finden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/612>, abgerufen am 24.08.2024.