Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit

Liedern." Und als er gefragt wird, ob er denn genau wisse, welche Lieder
er singen dürfe, zieht er einen Fetzen Papier aus der Tasche, worauf er mit
seiner ungelenken Hand die Titel der verbotnen Lieder geschrieben hat.

Auf welche Seite wird sich nun wohl dieser Bursche, wenn er heran¬
wächst, stellen? wem wird er das Recht im nationalen Kampfe zuerkennen, den
Deutschen oder den Dänen? Wird er, der Lieder für verschiednen Gebrauch
im Gedächtnis hat und sorgfältig unterscheiden lernt, wo und wann er die
Lieder singen darf, die ihm wahrscheinlich die liebsten sind, wohl die Staats¬
gewalt als eine wohlthätige Macht anerkennen, dieselbe Staatsgewalt, um deren
Anordnungen er sich so früh kümmern muß, die mit Strafen belegt, was ihm
im Hause als der berechtigtste Ausdruck geheiligter Empfindungen gelehrt wird?
Und wie wird er über die Angehörigen des Deutschtums denken, vor denen
er sich so ängstlich hüten muß, daß er jeden Unbekannten darauf ansteht, ob
nicht in ihm ein Angeber steckt, daß er es sür klüger hält, beim Herannahen
eines Fremden sein Singen einzustellen, wenn er auch nicht einmal ein ver-
botnes Lied, nur ein dänisches Lied überhaupt singt? Dieser Bursche mit
seinem überkritzelteu Zettel ist das Bild einer Bevölkerung, die das schmerz¬
liche Gefühl der Bedrückung im Herzen trägt, scheu der Staatsgewalt und
allen, die mit ihr im Bunde stehen, ausweicht und sie doch trotzig hinterm
Rücken verhöhnt. Das ist die Stimmung, wie ich sie von meiner Kindheit
her kenne. Das kleinliche Aufspüren von Kundgebungen eines im Gegensatz
zur Staatsgewalt stehenden Nationalgefühls, das Fahnden auf verbotne Farben,
das Belauschen verbotner Lieder, alles hält die Gemüter in Erregung. Da
wird denn erzählt, wie hier oder da diese staatsgeführlichen Verbrecher, mit
denen die Bevölkerung shmpathisirt, bei ihrem Treiben entdeckt und zur Ver¬
antwortung gezogen worden sind. Es laufen Übertreibungen mit unter und
erhöhen den Eindruck der Gewaltherrschaft. Und gerade das, was die deutschen
Chauvinisten in Nordschleswig als patriotische Pflicht betrachten, daß der
Privatmann den Behörden bei diesem nützlichen Werk zur Hilfe kommt, wirkt
vergiftend auf den Verkehr. Dadurch wird ein Mißtrauen erzeugt, das den
Dänen veranlaßt, sich vor dem Deutschen zurückzuziehen und seine Gesellschaft
zu meiden, während doch ein harmloser Verkehr zwischen den Angehörigen der
verschiednen Nationalitäten wünschenswert ist. In meiner Heimat war zur
Zeit der Dänenherrschast niemand verhaßter als der Überläufer, vollends wenn
er den Angeber spielte. Wer möchte denn auch die Gefahr verkennen, daß un¬
ehrenhafte Beweggründe mit dem schönen Gewände der Vaterlandsliebe verdeckt
werden?

Und wenn nun die nordschleswigschen Chauvinisten dieses ganze System,
das Bemühen gewaltsamer Unterdrückung dänischer Sprache und dänischen
Nationalgefühls, in Schutz nehmen mit denselben elenden Ausflüchten und
schlechten Advokatenkünsten, die damals den Dänen Spott und Verachtung zu-


Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit

Liedern." Und als er gefragt wird, ob er denn genau wisse, welche Lieder
er singen dürfe, zieht er einen Fetzen Papier aus der Tasche, worauf er mit
seiner ungelenken Hand die Titel der verbotnen Lieder geschrieben hat.

Auf welche Seite wird sich nun wohl dieser Bursche, wenn er heran¬
wächst, stellen? wem wird er das Recht im nationalen Kampfe zuerkennen, den
Deutschen oder den Dänen? Wird er, der Lieder für verschiednen Gebrauch
im Gedächtnis hat und sorgfältig unterscheiden lernt, wo und wann er die
Lieder singen darf, die ihm wahrscheinlich die liebsten sind, wohl die Staats¬
gewalt als eine wohlthätige Macht anerkennen, dieselbe Staatsgewalt, um deren
Anordnungen er sich so früh kümmern muß, die mit Strafen belegt, was ihm
im Hause als der berechtigtste Ausdruck geheiligter Empfindungen gelehrt wird?
Und wie wird er über die Angehörigen des Deutschtums denken, vor denen
er sich so ängstlich hüten muß, daß er jeden Unbekannten darauf ansteht, ob
nicht in ihm ein Angeber steckt, daß er es sür klüger hält, beim Herannahen
eines Fremden sein Singen einzustellen, wenn er auch nicht einmal ein ver-
botnes Lied, nur ein dänisches Lied überhaupt singt? Dieser Bursche mit
seinem überkritzelteu Zettel ist das Bild einer Bevölkerung, die das schmerz¬
liche Gefühl der Bedrückung im Herzen trägt, scheu der Staatsgewalt und
allen, die mit ihr im Bunde stehen, ausweicht und sie doch trotzig hinterm
Rücken verhöhnt. Das ist die Stimmung, wie ich sie von meiner Kindheit
her kenne. Das kleinliche Aufspüren von Kundgebungen eines im Gegensatz
zur Staatsgewalt stehenden Nationalgefühls, das Fahnden auf verbotne Farben,
das Belauschen verbotner Lieder, alles hält die Gemüter in Erregung. Da
wird denn erzählt, wie hier oder da diese staatsgeführlichen Verbrecher, mit
denen die Bevölkerung shmpathisirt, bei ihrem Treiben entdeckt und zur Ver¬
antwortung gezogen worden sind. Es laufen Übertreibungen mit unter und
erhöhen den Eindruck der Gewaltherrschaft. Und gerade das, was die deutschen
Chauvinisten in Nordschleswig als patriotische Pflicht betrachten, daß der
Privatmann den Behörden bei diesem nützlichen Werk zur Hilfe kommt, wirkt
vergiftend auf den Verkehr. Dadurch wird ein Mißtrauen erzeugt, das den
Dänen veranlaßt, sich vor dem Deutschen zurückzuziehen und seine Gesellschaft
zu meiden, während doch ein harmloser Verkehr zwischen den Angehörigen der
verschiednen Nationalitäten wünschenswert ist. In meiner Heimat war zur
Zeit der Dänenherrschast niemand verhaßter als der Überläufer, vollends wenn
er den Angeber spielte. Wer möchte denn auch die Gefahr verkennen, daß un¬
ehrenhafte Beweggründe mit dem schönen Gewände der Vaterlandsliebe verdeckt
werden?

Und wenn nun die nordschleswigschen Chauvinisten dieses ganze System,
das Bemühen gewaltsamer Unterdrückung dänischer Sprache und dänischen
Nationalgefühls, in Schutz nehmen mit denselben elenden Ausflüchten und
schlechten Advokatenkünsten, die damals den Dänen Spott und Verachtung zu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222900"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1731" prev="#ID_1730"> Liedern." Und als er gefragt wird, ob er denn genau wisse, welche Lieder<lb/>
er singen dürfe, zieht er einen Fetzen Papier aus der Tasche, worauf er mit<lb/>
seiner ungelenken Hand die Titel der verbotnen Lieder geschrieben hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1732"> Auf welche Seite wird sich nun wohl dieser Bursche, wenn er heran¬<lb/>
wächst, stellen? wem wird er das Recht im nationalen Kampfe zuerkennen, den<lb/>
Deutschen oder den Dänen? Wird er, der Lieder für verschiednen Gebrauch<lb/>
im Gedächtnis hat und sorgfältig unterscheiden lernt, wo und wann er die<lb/>
Lieder singen darf, die ihm wahrscheinlich die liebsten sind, wohl die Staats¬<lb/>
gewalt als eine wohlthätige Macht anerkennen, dieselbe Staatsgewalt, um deren<lb/>
Anordnungen er sich so früh kümmern muß, die mit Strafen belegt, was ihm<lb/>
im Hause als der berechtigtste Ausdruck geheiligter Empfindungen gelehrt wird?<lb/>
Und wie wird er über die Angehörigen des Deutschtums denken, vor denen<lb/>
er sich so ängstlich hüten muß, daß er jeden Unbekannten darauf ansteht, ob<lb/>
nicht in ihm ein Angeber steckt, daß er es sür klüger hält, beim Herannahen<lb/>
eines Fremden sein Singen einzustellen, wenn er auch nicht einmal ein ver-<lb/>
botnes Lied, nur ein dänisches Lied überhaupt singt? Dieser Bursche mit<lb/>
seinem überkritzelteu Zettel ist das Bild einer Bevölkerung, die das schmerz¬<lb/>
liche Gefühl der Bedrückung im Herzen trägt, scheu der Staatsgewalt und<lb/>
allen, die mit ihr im Bunde stehen, ausweicht und sie doch trotzig hinterm<lb/>
Rücken verhöhnt. Das ist die Stimmung, wie ich sie von meiner Kindheit<lb/>
her kenne. Das kleinliche Aufspüren von Kundgebungen eines im Gegensatz<lb/>
zur Staatsgewalt stehenden Nationalgefühls, das Fahnden auf verbotne Farben,<lb/>
das Belauschen verbotner Lieder, alles hält die Gemüter in Erregung. Da<lb/>
wird denn erzählt, wie hier oder da diese staatsgeführlichen Verbrecher, mit<lb/>
denen die Bevölkerung shmpathisirt, bei ihrem Treiben entdeckt und zur Ver¬<lb/>
antwortung gezogen worden sind. Es laufen Übertreibungen mit unter und<lb/>
erhöhen den Eindruck der Gewaltherrschaft. Und gerade das, was die deutschen<lb/>
Chauvinisten in Nordschleswig als patriotische Pflicht betrachten, daß der<lb/>
Privatmann den Behörden bei diesem nützlichen Werk zur Hilfe kommt, wirkt<lb/>
vergiftend auf den Verkehr. Dadurch wird ein Mißtrauen erzeugt, das den<lb/>
Dänen veranlaßt, sich vor dem Deutschen zurückzuziehen und seine Gesellschaft<lb/>
zu meiden, während doch ein harmloser Verkehr zwischen den Angehörigen der<lb/>
verschiednen Nationalitäten wünschenswert ist. In meiner Heimat war zur<lb/>
Zeit der Dänenherrschast niemand verhaßter als der Überläufer, vollends wenn<lb/>
er den Angeber spielte. Wer möchte denn auch die Gefahr verkennen, daß un¬<lb/>
ehrenhafte Beweggründe mit dem schönen Gewände der Vaterlandsliebe verdeckt<lb/>
werden?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1733" next="#ID_1734"> Und wenn nun die nordschleswigschen Chauvinisten dieses ganze System,<lb/>
das Bemühen gewaltsamer Unterdrückung dänischer Sprache und dänischen<lb/>
Nationalgefühls, in Schutz nehmen mit denselben elenden Ausflüchten und<lb/>
schlechten Advokatenkünsten, die damals den Dänen Spott und Verachtung zu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit Liedern." Und als er gefragt wird, ob er denn genau wisse, welche Lieder er singen dürfe, zieht er einen Fetzen Papier aus der Tasche, worauf er mit seiner ungelenken Hand die Titel der verbotnen Lieder geschrieben hat. Auf welche Seite wird sich nun wohl dieser Bursche, wenn er heran¬ wächst, stellen? wem wird er das Recht im nationalen Kampfe zuerkennen, den Deutschen oder den Dänen? Wird er, der Lieder für verschiednen Gebrauch im Gedächtnis hat und sorgfältig unterscheiden lernt, wo und wann er die Lieder singen darf, die ihm wahrscheinlich die liebsten sind, wohl die Staats¬ gewalt als eine wohlthätige Macht anerkennen, dieselbe Staatsgewalt, um deren Anordnungen er sich so früh kümmern muß, die mit Strafen belegt, was ihm im Hause als der berechtigtste Ausdruck geheiligter Empfindungen gelehrt wird? Und wie wird er über die Angehörigen des Deutschtums denken, vor denen er sich so ängstlich hüten muß, daß er jeden Unbekannten darauf ansteht, ob nicht in ihm ein Angeber steckt, daß er es sür klüger hält, beim Herannahen eines Fremden sein Singen einzustellen, wenn er auch nicht einmal ein ver- botnes Lied, nur ein dänisches Lied überhaupt singt? Dieser Bursche mit seinem überkritzelteu Zettel ist das Bild einer Bevölkerung, die das schmerz¬ liche Gefühl der Bedrückung im Herzen trägt, scheu der Staatsgewalt und allen, die mit ihr im Bunde stehen, ausweicht und sie doch trotzig hinterm Rücken verhöhnt. Das ist die Stimmung, wie ich sie von meiner Kindheit her kenne. Das kleinliche Aufspüren von Kundgebungen eines im Gegensatz zur Staatsgewalt stehenden Nationalgefühls, das Fahnden auf verbotne Farben, das Belauschen verbotner Lieder, alles hält die Gemüter in Erregung. Da wird denn erzählt, wie hier oder da diese staatsgeführlichen Verbrecher, mit denen die Bevölkerung shmpathisirt, bei ihrem Treiben entdeckt und zur Ver¬ antwortung gezogen worden sind. Es laufen Übertreibungen mit unter und erhöhen den Eindruck der Gewaltherrschaft. Und gerade das, was die deutschen Chauvinisten in Nordschleswig als patriotische Pflicht betrachten, daß der Privatmann den Behörden bei diesem nützlichen Werk zur Hilfe kommt, wirkt vergiftend auf den Verkehr. Dadurch wird ein Mißtrauen erzeugt, das den Dänen veranlaßt, sich vor dem Deutschen zurückzuziehen und seine Gesellschaft zu meiden, während doch ein harmloser Verkehr zwischen den Angehörigen der verschiednen Nationalitäten wünschenswert ist. In meiner Heimat war zur Zeit der Dänenherrschast niemand verhaßter als der Überläufer, vollends wenn er den Angeber spielte. Wer möchte denn auch die Gefahr verkennen, daß un¬ ehrenhafte Beweggründe mit dem schönen Gewände der Vaterlandsliebe verdeckt werden? Und wenn nun die nordschleswigschen Chauvinisten dieses ganze System, das Bemühen gewaltsamer Unterdrückung dänischer Sprache und dänischen Nationalgefühls, in Schutz nehmen mit denselben elenden Ausflüchten und schlechten Advokatenkünsten, die damals den Dänen Spott und Verachtung zu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/596>, abgerufen am 24.08.2024.