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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Frauentag in Aassel

bürgerliche Gesetzbuch eine Agitation eingeleitet werde, "wie sie Deutschland
vielleicht noch nicht gesehen hat." Das kann hübsch werden!

Nur ungern gehe ich endlich auf eine Stelle in der Rede von Frau
Schwerin ein. Denn diese Dame, die in ruhiger und sachlicher Weise, mit
Wärme und doch ohne jene unangenehme Sicherheit über den Berliner Kou-
fektionsstreik sprach, machte von allen den besten Eindruck. Aber die Sache,
um die es sich dabei handelt, erheischt geradezu öffentliche Aufklärung und
darf deshalb nicht übergangen werden. Frau Schwerin hat nämlich den
Sitzungen des bei dem Konfektionsstreik thätigen Einigungsamts als ZuHörerin
beigewohnt und erzählte nun darüber folgende Geschichte: Einmal sei auch ein
junges Mädchen erschienen, gut gekleidet, in Pelzkragen und Muff. Vom
Vorsitzenden des Einigungsamts befragt, dessen Sachkenntnis und Freundlich¬
keit Frau Schwerin im übrigen anerkennt, habe das Mädchen ihren Wochen¬
verdienst auf sechs Mark angegeben. Der Vorsitzende habe ihr darauf genau
vorgerechnet, daß sie bei ihren Ausgaben (Petroleum usw., Muff!) damit nicht
auskommen könne, also doch noch einen Nebenverdienst haben müsse. Darauf
habe das Mädchen nichts geantwortet. Der Vorsitzende habe ihr nochmals
genau die Unmöglichkeit, mit sechs Mark auszukommen, vorgerechnet, aber das
Mädchen habe wieder geschwiegen und keine weitere Auskunft gegeben. Als
sie fort war, habe sich der Vorsitzende an die Rednerin gewandt und gefragt:
"Verstehen Sie, wie die mit sechs Mark auskommt, bei ihrer Kleidung oben¬
drein? Ich verstehe es nicht." Frau Schwerin knüpfte in ihrer Rede daran
die Bemerkung, es wäre doch besser, wenn auch Frauen in dem Einigungsamt
säßen: sie hätte sofort gewußt, wie es sich mit dem Mädchen und seinem Ein¬
kommen verhalte. Das glaube ich gern; aber nicht nur Frau Schwerin,
sondern jeder Student im ersten Semester hätte es sofort gewußt und dem
Vorsitzenden Aufklärung geben können. Und das legt doch eine Erwägung
nahe. Wenn sich die Sache wirklich so verhält, wie sie Frau Schwerin ge¬
schildert hat, und ihr kein Irrtum untergelaufen ist, wenn wirklich jener Herr
so -- kindlich war und die Wahrheit nicht sofort durchschaute, dann taugte
er doch wohl nicht zum Vorsitzenden eines Eiuigungsamts für den Konfektions¬
streik, und für zukünftige Fälle muß im Interesse der Sache ni..c geeignetere
Persönlichkeit gewählt werden. Dann hätten auch die öffentlichen Versamm¬
lungen des Frauentages, die sonst ein wenig erfreuliches Bild von der Sach¬
lichkeit der heutigen Frauenbewegung und dem Auftreten ihrer Führerinnen
x. Z, gaben, wenigstens etwas gutes gehabt.




Der Frauentag in Aassel

bürgerliche Gesetzbuch eine Agitation eingeleitet werde, „wie sie Deutschland
vielleicht noch nicht gesehen hat." Das kann hübsch werden!

Nur ungern gehe ich endlich auf eine Stelle in der Rede von Frau
Schwerin ein. Denn diese Dame, die in ruhiger und sachlicher Weise, mit
Wärme und doch ohne jene unangenehme Sicherheit über den Berliner Kou-
fektionsstreik sprach, machte von allen den besten Eindruck. Aber die Sache,
um die es sich dabei handelt, erheischt geradezu öffentliche Aufklärung und
darf deshalb nicht übergangen werden. Frau Schwerin hat nämlich den
Sitzungen des bei dem Konfektionsstreik thätigen Einigungsamts als ZuHörerin
beigewohnt und erzählte nun darüber folgende Geschichte: Einmal sei auch ein
junges Mädchen erschienen, gut gekleidet, in Pelzkragen und Muff. Vom
Vorsitzenden des Einigungsamts befragt, dessen Sachkenntnis und Freundlich¬
keit Frau Schwerin im übrigen anerkennt, habe das Mädchen ihren Wochen¬
verdienst auf sechs Mark angegeben. Der Vorsitzende habe ihr darauf genau
vorgerechnet, daß sie bei ihren Ausgaben (Petroleum usw., Muff!) damit nicht
auskommen könne, also doch noch einen Nebenverdienst haben müsse. Darauf
habe das Mädchen nichts geantwortet. Der Vorsitzende habe ihr nochmals
genau die Unmöglichkeit, mit sechs Mark auszukommen, vorgerechnet, aber das
Mädchen habe wieder geschwiegen und keine weitere Auskunft gegeben. Als
sie fort war, habe sich der Vorsitzende an die Rednerin gewandt und gefragt:
„Verstehen Sie, wie die mit sechs Mark auskommt, bei ihrer Kleidung oben¬
drein? Ich verstehe es nicht." Frau Schwerin knüpfte in ihrer Rede daran
die Bemerkung, es wäre doch besser, wenn auch Frauen in dem Einigungsamt
säßen: sie hätte sofort gewußt, wie es sich mit dem Mädchen und seinem Ein¬
kommen verhalte. Das glaube ich gern; aber nicht nur Frau Schwerin,
sondern jeder Student im ersten Semester hätte es sofort gewußt und dem
Vorsitzenden Aufklärung geben können. Und das legt doch eine Erwägung
nahe. Wenn sich die Sache wirklich so verhält, wie sie Frau Schwerin ge¬
schildert hat, und ihr kein Irrtum untergelaufen ist, wenn wirklich jener Herr
so — kindlich war und die Wahrheit nicht sofort durchschaute, dann taugte
er doch wohl nicht zum Vorsitzenden eines Eiuigungsamts für den Konfektions¬
streik, und für zukünftige Fälle muß im Interesse der Sache ni..c geeignetere
Persönlichkeit gewählt werden. Dann hätten auch die öffentlichen Versamm¬
lungen des Frauentages, die sonst ein wenig erfreuliches Bild von der Sach¬
lichkeit der heutigen Frauenbewegung und dem Auftreten ihrer Führerinnen
x. Z, gaben, wenigstens etwas gutes gehabt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/594>, abgerufen am 24.08.2024.