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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit

erwarten, denn solche sind überhaupt nicht zu erwarten. Aber die Bemühungen,
die Germanisirung durch energischere Maßregeln zu beschleunigen, sind zwecklos
und schädlich. Als ein gründliches Germcmisirungsmittel wurde die Einführung
gänzlich deutschen Unterrichts in den nordschleswigschen Volksschulen angesehen,
die im Jahre 1888 stattfand. Diese Maßregel aber hat. ohne die Ver¬
drängung der dänischen Volkssprache wirklich zu fördern, für das Deutschtum
ungünstig gewirkt. Sie hat in dem kleinen, von hohem Selbstbewußtsein er¬
füllten Volksstamm eine zähe Widerstandskraft gegen die Germanisirnngs-
bestrebungen erweckt, hat erhöhte Anstrengungen zur Erhaltung der Mutter¬
sprache hervorgerufen, hat die Sympathien der Volksgenossen jenseits der
Grenze für die um die Bewahrung ihres Volkstums ringenden Nordschles-
wiger bestärkt und sie zur Opferwilligkeit angespornt, hat die Aussöhnung
zwischen Deutschen und Dänen, wofür im übrigen in Dänemark viel mehr
Neigung vorhanden ist als in Nordschleswig, erschwert. Diese ungünstigen
Wirkungen des Sprachzwanges werden heute zugegeben von solchen Kennern
der nordschleswigschen Verhältnisse, die sich ein unbefangneres Urteil bewahrt
haben als die oben genannten Politiker. Diese Deutschgesinnten mochten zu
Aufang vielleicht mit ihrem Urteil über die Sprachverfügung von 1888 zurück¬
halten, abwartend, wie ihre Wirkung sein würde, mochten es für unpatriotisch
halten, sie zu bekämpfen; jetzt aber lautet ihr Urteil entschieden mißbilligend.

Haben doch teutschgesinnte Geistliche sich ans die Seite der Dänen gestellt
und eine Bittschrift um Einführung einiger Stunden dänischen Sprachunterrichts
mit unterschrieben! Sie haben das um der Erhaltung des kirchlichen Sinnes
willen gethan, und wenn man daran zurückdenkt, daß der schwerste gegen die
dünische Gewaltherrschaft erhobne Vorwurf der war, sie zerstöre die Kirchlich¬
keit durch Hinübertragen der Politik auf das kirchliche Gebiet, so muß wohl
zugegeben werden, daß wir uns gerade hier besonders davor hüten sollten,
in die Fußtapfen der Dänen zu treten. Bei der Einführung gänzlich deutschen
Unterrichts in den nordschleswigschen Schulen ist der dänische Religionsunter¬
richt beibehalten worden, und darin liegt die Anerkennung, daß die Dänen ein
Recht auf Festhaltung der Muttersprache in ihren innersten Herzensangelegen¬
heiten haben. Es wird nun behauptet, daß einige Stunden dünischen Sprach¬
unterrichts nötig seien, um deu Religionsunterricht recht nutzbar zu machen.
Diese Forderung beweist, daß die Dänen auf die Kirche viel Wert legen. In
Nordschleswig herrscht mehr kirchlicher Sinn als in manchen andern Gegenden.
Und wenn nnn von deutscher Seite dahin gestrebt wird, nicht bloß aus der
Schule, sondern auch aus der Kirche die dänische Sprache allmählich zu ver¬
drängen, so kann das nur dazu beitragen, daß die Dänen die Kirche als eine
fremde, im Dienste einer ihnen feindlich gesinnten Macht stehende Einrichtung
betrachten und ihr kirchliches Bedürfnis außerhalb der Landeskirche zu be¬
friedigen suchen. Aber auch abgesehen von diesen kirchlichen Rücksichten wirkt


Grenzboten II 1896 0!>
Ein Wort zum deutsch-dänischen Streit

erwarten, denn solche sind überhaupt nicht zu erwarten. Aber die Bemühungen,
die Germanisirung durch energischere Maßregeln zu beschleunigen, sind zwecklos
und schädlich. Als ein gründliches Germcmisirungsmittel wurde die Einführung
gänzlich deutschen Unterrichts in den nordschleswigschen Volksschulen angesehen,
die im Jahre 1888 stattfand. Diese Maßregel aber hat. ohne die Ver¬
drängung der dänischen Volkssprache wirklich zu fördern, für das Deutschtum
ungünstig gewirkt. Sie hat in dem kleinen, von hohem Selbstbewußtsein er¬
füllten Volksstamm eine zähe Widerstandskraft gegen die Germanisirnngs-
bestrebungen erweckt, hat erhöhte Anstrengungen zur Erhaltung der Mutter¬
sprache hervorgerufen, hat die Sympathien der Volksgenossen jenseits der
Grenze für die um die Bewahrung ihres Volkstums ringenden Nordschles-
wiger bestärkt und sie zur Opferwilligkeit angespornt, hat die Aussöhnung
zwischen Deutschen und Dänen, wofür im übrigen in Dänemark viel mehr
Neigung vorhanden ist als in Nordschleswig, erschwert. Diese ungünstigen
Wirkungen des Sprachzwanges werden heute zugegeben von solchen Kennern
der nordschleswigschen Verhältnisse, die sich ein unbefangneres Urteil bewahrt
haben als die oben genannten Politiker. Diese Deutschgesinnten mochten zu
Aufang vielleicht mit ihrem Urteil über die Sprachverfügung von 1888 zurück¬
halten, abwartend, wie ihre Wirkung sein würde, mochten es für unpatriotisch
halten, sie zu bekämpfen; jetzt aber lautet ihr Urteil entschieden mißbilligend.

Haben doch teutschgesinnte Geistliche sich ans die Seite der Dänen gestellt
und eine Bittschrift um Einführung einiger Stunden dänischen Sprachunterrichts
mit unterschrieben! Sie haben das um der Erhaltung des kirchlichen Sinnes
willen gethan, und wenn man daran zurückdenkt, daß der schwerste gegen die
dünische Gewaltherrschaft erhobne Vorwurf der war, sie zerstöre die Kirchlich¬
keit durch Hinübertragen der Politik auf das kirchliche Gebiet, so muß wohl
zugegeben werden, daß wir uns gerade hier besonders davor hüten sollten,
in die Fußtapfen der Dänen zu treten. Bei der Einführung gänzlich deutschen
Unterrichts in den nordschleswigschen Schulen ist der dänische Religionsunter¬
richt beibehalten worden, und darin liegt die Anerkennung, daß die Dänen ein
Recht auf Festhaltung der Muttersprache in ihren innersten Herzensangelegen¬
heiten haben. Es wird nun behauptet, daß einige Stunden dünischen Sprach¬
unterrichts nötig seien, um deu Religionsunterricht recht nutzbar zu machen.
Diese Forderung beweist, daß die Dänen auf die Kirche viel Wert legen. In
Nordschleswig herrscht mehr kirchlicher Sinn als in manchen andern Gegenden.
Und wenn nnn von deutscher Seite dahin gestrebt wird, nicht bloß aus der
Schule, sondern auch aus der Kirche die dänische Sprache allmählich zu ver¬
drängen, so kann das nur dazu beitragen, daß die Dänen die Kirche als eine
fremde, im Dienste einer ihnen feindlich gesinnten Macht stehende Einrichtung
betrachten und ihr kirchliches Bedürfnis außerhalb der Landeskirche zu be¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/553>, abgerufen am 22.07.2024.