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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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der Assessorenfragc ist es vielfach zur Sprache gekommen: ein gewisser Besitz
verbürgt, um es möglichst vorsichtig auszudrücken, in der Regel ein gewisses
Verhalten des betreffenden Besitzers. Hören wir darüber das Wort eines
wirklichen Menschenfreundes, der nicht in dem Verdacht steht, ein Aristokrat zu
sein, und noch dazu in der freien Schweiz lebt. Hilty sagt in dem schon er¬
wähnten Buche: "Ich habe wenigstens noch keinen Sohn sehr kleiner Leute
gesehen, der nicht einen geheimen Respekt vor Adel und Reichtum gehabt hätte,"
Das ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt. Man kann sogar sagen: der Parvenü
findet das richtige Verhalten zu dem äußern Besitz fast nie. Ihm wird seine
Herkunft immer anhängen. Wer aber Aufwand aus eignen Mitteln für Zwecke
höherer Bildung zu machen gewohnt ist, lernt beides früh zu einander in Ver¬
hältnis setzen, und solche Anschauung vererbt sich vom Vater auf den Sohn,
oder richtiger: die Familie giebt sie dem Einzelnen mit ins Leben, und draußen
lernt er dann erkennen, was diese Gabe wert ist. Das bedeutet noch lange
nicht die Einerleiheit von "Besitz und Bildung," aber wohl bezeichnet es den
Weg, wo beides zu einer Einheit werden konnte. Was ich mir geistig erwerbe,
ist mein eigen. Wenn ich dafür äußere Mittel aufwenden kann, so bin ich
besser dran als mancher andre. Wenn ich es aber thue, so darf ich auch
wohl für besser gelten als der, der es könnte und nicht thut. Und diese gute
Gewöhnung einer höhern Kultur, wenn auch des Einzelnen persönliches Ver¬
dienst darum nicht mehr groß ist, wollen wir nicht gering achten. Wir können
dabei wohlthun und mitteilen und brauchen noch lange kein Mammonsdiener
zu sein, wenn wir meinen, daß auch die Bildung im letzten Sinne etwas
kastenartiges hat und an die Grenzen eines gewissen äußern Verhaltens ge¬
bunden ist. "Verehrung falscher Vornehmheit, sagt Hilty, ist immer das
charakteristische Zeichen des Plebejers von Geburt und Art."

Der verstorbne Rudolf Hildebrand hat früher in den Grenzboten "Tage¬
buchblätter eines Sonntagsphilvsophen" veröffentlicht, die jetzt als Buch er¬
schienen sind. Er ist auch ein Mann des Volkes gewesen, wie man fast auf
jeder Seite des hübschen Buches sehen kann. Er spricht an einer Stelle
darüber, was schon mancher in seinen Gedanken bewegt hat, daß der einzelne
Mensch die Erfahrung seiner Jugend gewöhnlich im Alter nicht mehr ausnützen
könne, weil es zu spät dazu sei. Wohl aber, meint er dann, könne, was dem
einzelnen Menschenkinde versagt sei, die Menschheit als ganzes, die Welt, den
Gewinn und die Erfahrung des Alters in die neue Jugend mit hinübernehmen.
"Das wird möglich durch das Gesamtbewußtscin, das sich von Geschlecht zu
Geschlecht herausbildet und überliefert und auch dem Einzelnen seine Wege
erleichtern und abkürzen kann. Damit ist das Bewahren des alten Guten und
der Fortschritt aufs beste gepaart. Aller wahre Fortschritt beruht denn auch
darauf, daß die alternde Welt sich aus sich heraus fortwährend verjüngen
kann und doch dabei wissen, was sie als alte wissen kann."


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der Assessorenfragc ist es vielfach zur Sprache gekommen: ein gewisser Besitz
verbürgt, um es möglichst vorsichtig auszudrücken, in der Regel ein gewisses
Verhalten des betreffenden Besitzers. Hören wir darüber das Wort eines
wirklichen Menschenfreundes, der nicht in dem Verdacht steht, ein Aristokrat zu
sein, und noch dazu in der freien Schweiz lebt. Hilty sagt in dem schon er¬
wähnten Buche: „Ich habe wenigstens noch keinen Sohn sehr kleiner Leute
gesehen, der nicht einen geheimen Respekt vor Adel und Reichtum gehabt hätte,"
Das ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt. Man kann sogar sagen: der Parvenü
findet das richtige Verhalten zu dem äußern Besitz fast nie. Ihm wird seine
Herkunft immer anhängen. Wer aber Aufwand aus eignen Mitteln für Zwecke
höherer Bildung zu machen gewohnt ist, lernt beides früh zu einander in Ver¬
hältnis setzen, und solche Anschauung vererbt sich vom Vater auf den Sohn,
oder richtiger: die Familie giebt sie dem Einzelnen mit ins Leben, und draußen
lernt er dann erkennen, was diese Gabe wert ist. Das bedeutet noch lange
nicht die Einerleiheit von „Besitz und Bildung," aber wohl bezeichnet es den
Weg, wo beides zu einer Einheit werden konnte. Was ich mir geistig erwerbe,
ist mein eigen. Wenn ich dafür äußere Mittel aufwenden kann, so bin ich
besser dran als mancher andre. Wenn ich es aber thue, so darf ich auch
wohl für besser gelten als der, der es könnte und nicht thut. Und diese gute
Gewöhnung einer höhern Kultur, wenn auch des Einzelnen persönliches Ver¬
dienst darum nicht mehr groß ist, wollen wir nicht gering achten. Wir können
dabei wohlthun und mitteilen und brauchen noch lange kein Mammonsdiener
zu sein, wenn wir meinen, daß auch die Bildung im letzten Sinne etwas
kastenartiges hat und an die Grenzen eines gewissen äußern Verhaltens ge¬
bunden ist. „Verehrung falscher Vornehmheit, sagt Hilty, ist immer das
charakteristische Zeichen des Plebejers von Geburt und Art."

Der verstorbne Rudolf Hildebrand hat früher in den Grenzboten „Tage¬
buchblätter eines Sonntagsphilvsophen" veröffentlicht, die jetzt als Buch er¬
schienen sind. Er ist auch ein Mann des Volkes gewesen, wie man fast auf
jeder Seite des hübschen Buches sehen kann. Er spricht an einer Stelle
darüber, was schon mancher in seinen Gedanken bewegt hat, daß der einzelne
Mensch die Erfahrung seiner Jugend gewöhnlich im Alter nicht mehr ausnützen
könne, weil es zu spät dazu sei. Wohl aber, meint er dann, könne, was dem
einzelnen Menschenkinde versagt sei, die Menschheit als ganzes, die Welt, den
Gewinn und die Erfahrung des Alters in die neue Jugend mit hinübernehmen.
„Das wird möglich durch das Gesamtbewußtscin, das sich von Geschlecht zu
Geschlecht herausbildet und überliefert und auch dem Einzelnen seine Wege
erleichtern und abkürzen kann. Damit ist das Bewahren des alten Guten und
der Fortschritt aufs beste gepaart. Aller wahre Fortschritt beruht denn auch
darauf, daß die alternde Welt sich aus sich heraus fortwährend verjüngen
kann und doch dabei wissen, was sie als alte wissen kann."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/518>, abgerufen am 24.08.2024.