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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Nationalökonomik und Rechtswissenschaft

sei Meister darin. Dies gelte namentlich von dem Verständnis und der Aus-
legung der Gesetze. Und welche unermeßliche Bedeutung hätten die Gesetze
in jedem hoch kultivirten Staate nicht bloß sür die praktische Entwicklung der
Volkswirtschaft, sondern schon für die bloße Erkenntnis ihrer Zustände! Selbst
aus den niedern Kulturstufen, wo der Einfluß der Gesetzgebung extensiv und
intensiv geringer sei, z. B. in dem Mittelalter der neuern Völker, verdankten
wir unsre Kenntnis des volkswirtschaftlichen Lebens zum überwiegenden Teile
Quellen juristischer Art und neuern rechtsgeschichtlichen Forschungen. ,Hierzu
kommt -- heißt es für unsre jungen Volkswirte und Volkserretter besonders
beherzigenswert -- der große methodologische Nutzen, den das Durchmachen
einer guten juristischen Schule dem Volkswirte gewährt. Schon der Haupt¬
zweck feines Faches, Streitigkeiten zu verhüten oder zu schlichten, zwingt den
Juristen zur genauesten Abwägung seiner Worte. Daher pflegen sich die
guten juristischen Vegriffserklärungen und Distinktionen ebenso sehr durch
Schärfe und Klarheit auszuzeichnen, wie die guten philosophischen durch Tiefe...
Nun ist es aber gerade für die historische und praktische Behandlung der Volks¬
wirtschaftslehre mit ihrem Streben nach lebendiger Fülle besonders schwer,
gute Definitionen zu machen; sie gewinnt daher besonders viel bei der Selbst¬
kontrolle durch juristische "Trockenheit", d. h. Schärfe. Wie schon Leibniz der
Rechtswissenschaft ein gewisses "Rechnen mit Begriffen" zugeschrieben hat, so
bildet, meine ich, das juristische Studium für alle Wissenschaften vom Volks¬
leben eine ähnlich wichtige und heilsame Vorschule, wie die reine Mathematik
für alle Naturwissenschaften. Ich wenigstens bekenne offen, daß mir in meiner
Studentenzeit keine staatswissenschaftliche oder nationalökonomische Vorlesung
auch nur von ferne so viel Nutzen gebracht hat, wie die deutsch-rechtlichen
Vorlesungen von Albrecht. Es ist deshalb kein bloßer Zufall, geschweige
denn ein Umweg, daß sich unsre deutsche Volkswirtschaftslehre aus den soge¬
nannten Kameralien und diese wieder aus der Rechtswissenschaft heraus ent¬
wickelt haben."

Für die Praxis der Verwaltung endlich und die Ausbildung dazu wollen
wir noch folgende Ausführungen Roschers wörtlich mitteilen und recht dringend
der Beachtung empfehlen: "Ich bin gar kein Freund davon, die künftigen Ver¬
waltungsbeamten in abgesonderten "staatswissenschaftlicher" Fakultäten auszu¬
bilden. Zwar das praktische Genie bedarf keiner schulmäßigen Anleitung zur
Praxis. Für gewöhnliche Menschen aber ist es entschieden der kürzeste Weg,
die vorzugsweise sogenannten "Geschäfte" "praktisch" anfassen zu lernen, wenn
sie entweder eine kaufmännische oder eine juristische Schule durchmachen. Nun
darf niemand die erstere unterschätzen, mit ihrer stets klaren Übersicht von Soll
und Haben, ihrer Vorausberechnung aller eigennützigen Triebfedern auf feiten
der Menschen, mit welchen man zu thun hat. In jedem größern Finanz¬
ministerium sollte wenigstens ein gelernter Kaufmann sein, und das gesamte


Nationalökonomik und Rechtswissenschaft

sei Meister darin. Dies gelte namentlich von dem Verständnis und der Aus-
legung der Gesetze. Und welche unermeßliche Bedeutung hätten die Gesetze
in jedem hoch kultivirten Staate nicht bloß sür die praktische Entwicklung der
Volkswirtschaft, sondern schon für die bloße Erkenntnis ihrer Zustände! Selbst
aus den niedern Kulturstufen, wo der Einfluß der Gesetzgebung extensiv und
intensiv geringer sei, z. B. in dem Mittelalter der neuern Völker, verdankten
wir unsre Kenntnis des volkswirtschaftlichen Lebens zum überwiegenden Teile
Quellen juristischer Art und neuern rechtsgeschichtlichen Forschungen. ,Hierzu
kommt — heißt es für unsre jungen Volkswirte und Volkserretter besonders
beherzigenswert — der große methodologische Nutzen, den das Durchmachen
einer guten juristischen Schule dem Volkswirte gewährt. Schon der Haupt¬
zweck feines Faches, Streitigkeiten zu verhüten oder zu schlichten, zwingt den
Juristen zur genauesten Abwägung seiner Worte. Daher pflegen sich die
guten juristischen Vegriffserklärungen und Distinktionen ebenso sehr durch
Schärfe und Klarheit auszuzeichnen, wie die guten philosophischen durch Tiefe...
Nun ist es aber gerade für die historische und praktische Behandlung der Volks¬
wirtschaftslehre mit ihrem Streben nach lebendiger Fülle besonders schwer,
gute Definitionen zu machen; sie gewinnt daher besonders viel bei der Selbst¬
kontrolle durch juristische »Trockenheit«, d. h. Schärfe. Wie schon Leibniz der
Rechtswissenschaft ein gewisses »Rechnen mit Begriffen« zugeschrieben hat, so
bildet, meine ich, das juristische Studium für alle Wissenschaften vom Volks¬
leben eine ähnlich wichtige und heilsame Vorschule, wie die reine Mathematik
für alle Naturwissenschaften. Ich wenigstens bekenne offen, daß mir in meiner
Studentenzeit keine staatswissenschaftliche oder nationalökonomische Vorlesung
auch nur von ferne so viel Nutzen gebracht hat, wie die deutsch-rechtlichen
Vorlesungen von Albrecht. Es ist deshalb kein bloßer Zufall, geschweige
denn ein Umweg, daß sich unsre deutsche Volkswirtschaftslehre aus den soge¬
nannten Kameralien und diese wieder aus der Rechtswissenschaft heraus ent¬
wickelt haben."

Für die Praxis der Verwaltung endlich und die Ausbildung dazu wollen
wir noch folgende Ausführungen Roschers wörtlich mitteilen und recht dringend
der Beachtung empfehlen: „Ich bin gar kein Freund davon, die künftigen Ver¬
waltungsbeamten in abgesonderten »staatswissenschaftlicher« Fakultäten auszu¬
bilden. Zwar das praktische Genie bedarf keiner schulmäßigen Anleitung zur
Praxis. Für gewöhnliche Menschen aber ist es entschieden der kürzeste Weg,
die vorzugsweise sogenannten »Geschäfte« »praktisch« anfassen zu lernen, wenn
sie entweder eine kaufmännische oder eine juristische Schule durchmachen. Nun
darf niemand die erstere unterschätzen, mit ihrer stets klaren Übersicht von Soll
und Haben, ihrer Vorausberechnung aller eigennützigen Triebfedern auf feiten
der Menschen, mit welchen man zu thun hat. In jedem größern Finanz¬
ministerium sollte wenigstens ein gelernter Kaufmann sein, und das gesamte


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[0498] Nationalökonomik und Rechtswissenschaft sei Meister darin. Dies gelte namentlich von dem Verständnis und der Aus- legung der Gesetze. Und welche unermeßliche Bedeutung hätten die Gesetze in jedem hoch kultivirten Staate nicht bloß sür die praktische Entwicklung der Volkswirtschaft, sondern schon für die bloße Erkenntnis ihrer Zustände! Selbst aus den niedern Kulturstufen, wo der Einfluß der Gesetzgebung extensiv und intensiv geringer sei, z. B. in dem Mittelalter der neuern Völker, verdankten wir unsre Kenntnis des volkswirtschaftlichen Lebens zum überwiegenden Teile Quellen juristischer Art und neuern rechtsgeschichtlichen Forschungen. ,Hierzu kommt — heißt es für unsre jungen Volkswirte und Volkserretter besonders beherzigenswert — der große methodologische Nutzen, den das Durchmachen einer guten juristischen Schule dem Volkswirte gewährt. Schon der Haupt¬ zweck feines Faches, Streitigkeiten zu verhüten oder zu schlichten, zwingt den Juristen zur genauesten Abwägung seiner Worte. Daher pflegen sich die guten juristischen Vegriffserklärungen und Distinktionen ebenso sehr durch Schärfe und Klarheit auszuzeichnen, wie die guten philosophischen durch Tiefe... Nun ist es aber gerade für die historische und praktische Behandlung der Volks¬ wirtschaftslehre mit ihrem Streben nach lebendiger Fülle besonders schwer, gute Definitionen zu machen; sie gewinnt daher besonders viel bei der Selbst¬ kontrolle durch juristische »Trockenheit«, d. h. Schärfe. Wie schon Leibniz der Rechtswissenschaft ein gewisses »Rechnen mit Begriffen« zugeschrieben hat, so bildet, meine ich, das juristische Studium für alle Wissenschaften vom Volks¬ leben eine ähnlich wichtige und heilsame Vorschule, wie die reine Mathematik für alle Naturwissenschaften. Ich wenigstens bekenne offen, daß mir in meiner Studentenzeit keine staatswissenschaftliche oder nationalökonomische Vorlesung auch nur von ferne so viel Nutzen gebracht hat, wie die deutsch-rechtlichen Vorlesungen von Albrecht. Es ist deshalb kein bloßer Zufall, geschweige denn ein Umweg, daß sich unsre deutsche Volkswirtschaftslehre aus den soge¬ nannten Kameralien und diese wieder aus der Rechtswissenschaft heraus ent¬ wickelt haben." Für die Praxis der Verwaltung endlich und die Ausbildung dazu wollen wir noch folgende Ausführungen Roschers wörtlich mitteilen und recht dringend der Beachtung empfehlen: „Ich bin gar kein Freund davon, die künftigen Ver¬ waltungsbeamten in abgesonderten »staatswissenschaftlicher« Fakultäten auszu¬ bilden. Zwar das praktische Genie bedarf keiner schulmäßigen Anleitung zur Praxis. Für gewöhnliche Menschen aber ist es entschieden der kürzeste Weg, die vorzugsweise sogenannten »Geschäfte« »praktisch« anfassen zu lernen, wenn sie entweder eine kaufmännische oder eine juristische Schule durchmachen. Nun darf niemand die erstere unterschätzen, mit ihrer stets klaren Übersicht von Soll und Haben, ihrer Vorausberechnung aller eigennützigen Triebfedern auf feiten der Menschen, mit welchen man zu thun hat. In jedem größern Finanz¬ ministerium sollte wenigstens ein gelernter Kaufmann sein, und das gesamte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/498>, abgerufen am 22.07.2024.