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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Leipziger Pasquillanteil des achtzelmten Jahrhunderts

den vergnügtesten Tagen meines Lebens," ist oft behauptet worden. Es ist
anch möglich, daß er das erste Stück des Buches noch als Student in die
Hände bekommen hat. Dennoch braucht er den Ausdruck nicht daraus ent¬
lehnt zu haben, denn der war damals gewiß in Leipzig schon gang und gäbe.*)

Der Verfasser des Buches ist bekannt; unter dem Namen Ehrenhauseu
verbarg sich ein Leipziger Theolog und Mediziner: Johann Georg Friedrich
Franz. Von ganz armer Herkunft -- sein Vater war "Kehrmann" in der
Paulinerkirche gewesen -- hatte er erst Theologie studirt, war aber dann,
weil er wegen seiner "schweren Aussprache" kein Amt bekam, zur Medizin
übergegangen. Gestorben ist er 52jährig 1789 als Professor der Medizin an
der Leipziger Universität.^)

Ein paar Proben mögen Art und Ton des Buches veranschaulichen. Im
dritten Stück beschreibt der Verfasser eins der damaligen Hauptgebäude der
Universität, das "Schwarze Bret" auf der Ritterstraße, namentlich den Thor¬
weg mit den vergitterten schwarzen Tafeln und ihrem mannichfaltigen Inhalt.
Dann heißt es weiter: "An dem Eingange dieses schwarzen Bretes stehen
fast beständig einige Männer und Weiber mit Körben, worinnen sich allerhand
Gebackenes und Obst befindet. Es behaupten diese Leute nicht etwa deswegen
diesen Posten, um ihre Ware zu verkaufen und Geld zu verdienen, sondern
es geschiehet dieses aus großer Vorsorge sür das gemeine Beste. Man weiß,
daß die Gelehrten bei ihrem Studieren und Nachdenken sehr oft Essen und
Trinken vergessen und sich in Ansehung ihrer Gesundheit den größten Schaden
zuzufügen pflegen. Um nun allen Übeln Folgen, welche daher entstehen könnten,
vorzubeugen, so befleißigen sich diese Leute, die Studenten oft zu erinnern,
etwas zu sich zu nehmen, damit sie nicht bei Anhörung eines dreiviertelstündigen
Bortrags gar zu sehr von Kräften kommen mögen." , ,. ^ ,

Unter den zahlreichen Personen, die der Verfasser bei dem Besuch eines
Vergnügungsgartens vor dem Petersthore kennen lernt, ist auch ein merk¬
würdiger Typus aus dem damaligen kirchlichen Leben Leipzigs, ein Überrest
noch aus dem Mittelalter: ein Choralist der Nikolaikirche. Es war ein tabak-
rauchender, "langer, ansehnlicher Herr in einem braunen Kleide, der auf seinem
Haupte einen große, dicke und weiße Perrücke hatte, die alle Augenblicke Junge
zu werfen drohte. Er hatte ein sehr ehrwürdiges Ansehen und eine majestätische
Stimme, die in einen tiefen Baß fiel." Der Herr hat Theologie studirt, ist
Famulus in einem vornehmen Hause, hat "einige hübsche Informationen,"




*) In den 1785 erschienenen "Freyen Bemerkungen über Berlin, Leipzig und Prag"
heißt gleich der erste Satz über Leipzig: "Ist ohnstreitig eine der schönsten Städte Deutschlands,
sie wird dahero, immer (!) klein Paris genannt." Der Faust erschien erst 1790.
Er hat ungeheuer viel geschrieben aus den verschiedensten Gebieten, Wissenschaftliches
und Populäres; ein vollständiges Verzeichnis seiner Schriften in Ecks Leipziger gelehrtem
Tagebuch (1789, S. L0). . ^
Leipziger Pasquillanteil des achtzelmten Jahrhunderts

den vergnügtesten Tagen meines Lebens," ist oft behauptet worden. Es ist
anch möglich, daß er das erste Stück des Buches noch als Student in die
Hände bekommen hat. Dennoch braucht er den Ausdruck nicht daraus ent¬
lehnt zu haben, denn der war damals gewiß in Leipzig schon gang und gäbe.*)

Der Verfasser des Buches ist bekannt; unter dem Namen Ehrenhauseu
verbarg sich ein Leipziger Theolog und Mediziner: Johann Georg Friedrich
Franz. Von ganz armer Herkunft — sein Vater war „Kehrmann" in der
Paulinerkirche gewesen — hatte er erst Theologie studirt, war aber dann,
weil er wegen seiner „schweren Aussprache" kein Amt bekam, zur Medizin
übergegangen. Gestorben ist er 52jährig 1789 als Professor der Medizin an
der Leipziger Universität.^)

Ein paar Proben mögen Art und Ton des Buches veranschaulichen. Im
dritten Stück beschreibt der Verfasser eins der damaligen Hauptgebäude der
Universität, das „Schwarze Bret" auf der Ritterstraße, namentlich den Thor¬
weg mit den vergitterten schwarzen Tafeln und ihrem mannichfaltigen Inhalt.
Dann heißt es weiter: „An dem Eingange dieses schwarzen Bretes stehen
fast beständig einige Männer und Weiber mit Körben, worinnen sich allerhand
Gebackenes und Obst befindet. Es behaupten diese Leute nicht etwa deswegen
diesen Posten, um ihre Ware zu verkaufen und Geld zu verdienen, sondern
es geschiehet dieses aus großer Vorsorge sür das gemeine Beste. Man weiß,
daß die Gelehrten bei ihrem Studieren und Nachdenken sehr oft Essen und
Trinken vergessen und sich in Ansehung ihrer Gesundheit den größten Schaden
zuzufügen pflegen. Um nun allen Übeln Folgen, welche daher entstehen könnten,
vorzubeugen, so befleißigen sich diese Leute, die Studenten oft zu erinnern,
etwas zu sich zu nehmen, damit sie nicht bei Anhörung eines dreiviertelstündigen
Bortrags gar zu sehr von Kräften kommen mögen." , ,. ^ ,

Unter den zahlreichen Personen, die der Verfasser bei dem Besuch eines
Vergnügungsgartens vor dem Petersthore kennen lernt, ist auch ein merk¬
würdiger Typus aus dem damaligen kirchlichen Leben Leipzigs, ein Überrest
noch aus dem Mittelalter: ein Choralist der Nikolaikirche. Es war ein tabak-
rauchender, „langer, ansehnlicher Herr in einem braunen Kleide, der auf seinem
Haupte einen große, dicke und weiße Perrücke hatte, die alle Augenblicke Junge
zu werfen drohte. Er hatte ein sehr ehrwürdiges Ansehen und eine majestätische
Stimme, die in einen tiefen Baß fiel." Der Herr hat Theologie studirt, ist
Famulus in einem vornehmen Hause, hat „einige hübsche Informationen,"




*) In den 1785 erschienenen „Freyen Bemerkungen über Berlin, Leipzig und Prag"
heißt gleich der erste Satz über Leipzig: „Ist ohnstreitig eine der schönsten Städte Deutschlands,
sie wird dahero, immer (!) klein Paris genannt." Der Faust erschien erst 1790.
Er hat ungeheuer viel geschrieben aus den verschiedensten Gebieten, Wissenschaftliches
und Populäres; ein vollständiges Verzeichnis seiner Schriften in Ecks Leipziger gelehrtem
Tagebuch (1789, S. L0). . ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/478>, abgerufen am 22.07.2024.