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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

sonders schlimm, so wurde die Sache von der Bücherkommission gar an das
Stadtgericht abgegeben. Wehe dann den Schuldigen!

Da solche Pasquilllitteratur immer auf Käufer rechnen konnte, so ist
es kein Wunder, daß dabei auch mancher Schwindel getrieben wurde. Man
suchte das Publikum zu ködern, indem man den Namen Leipzig auch in dem
Titel von Schriften anbrachte, in denen von Leipzig gar nicht oder so gut wie
gar nicht die Rede war. So würde sich z. B. jeder getäuscht sehen, der
Schriften, wie die vom Jahre 1788: Briefe eines reisenden Handlungsbedienter
über Leipzig, Hamburg und Lübeck, oder die von 1798: Verteidigung der Leip¬
ziger Damen. Von Henriette ^ zur Hand nehmen wollte in der Hoffnung,
darin etwas besondres über das damalige Leipzig zu finden. Auch die Galan¬
terien von Leipzig, 1799 erschienen, angeblich in Hamburg in der "Buchhand¬
lung der Verlagsgesellschaft," haben keine wirkliche Lokalfarbe. Wenn auch
noch so oft darin vom Rosenthal die Rede ist und gelegentlich auch von andern
Zufluchtsorten verliebter Pärchen, und wenn auch hie und da bestimmte Per¬
sönlichkeiten genannt sind, so passen doch die Bilder und Schilderungen des
Buches sicherlich auf alle damaligen größern deutschen Städte. Neben solcher
Schwindelware steht aber doch eine ganze Reihe von Schriften, die für die
geistigen und sittlichen Zustände Leipzigs im achtzehnten Jahrhundert eine
wichtige Quelle sind. Mögen auch die Verfasser zum Teil recht untergeord¬
nete Burschen gewesen sein, mag auch vieles von dem, was sie anführen, auf
bloßem Klatsch beruhen, manches übertrieben, manches auf bloße Lust am
Skandal und an Schlüpfrigkeiten zurückzuführen sein, so bleibt doch immer
noch genug übrig, was man als der Wahrheit entsprechend ansehen darf, um
so mehr, als das Wesentliche davon bei allen unabhängig von einander wieder¬
kehrt. Manche dieser Schriften verdienten heute neu gedruckt zu werden,*)
nicht bloß weil sie mit der Zeit große Seltenheiten geworden sind, die im
antiquarischen Verkehr von Liebhabern mit hohen Preisen bezahlt werden,
sondern weil auch vieles von ihrem Inhalt in ganz merkwürdiger Weise -- soll
man sagen noch oder wieder? -- ans unsre heutigen litt-as-siövlö-Zustmide Paßt.
Jedenfalls werden einige nähere Mitteilungen über diese Litteratur und aus
ihr willkommen sein. Wo es die Verfasser mit der Vücherkommission oder gar
dem Gericht zu thun bekamen, können die Vorgänge als typisch für solche



das Wöllnersche Neligionsedikt veröffentlicht sulle, schrieb Pott um Aarth: "Gestern Abend haben sie
uns das Lustspiel konfiszirt, aber einen Quark gefunden. Der Bücherinspektor ärgerte sich, da er
nichts fand, und die Buchhändler gaben recht Acht, ob er nebst seinen Helfern mit gefüllten
Händen fortgehen würde. Wo er vorbeikam, riefen sie ihm zu: Wer die beiden erwischen null,
muß früher aufstehen! Er wurde überall ausgelacht,"
Und zwar in guten, sorgfältigen Ausgaben, denn die Originale sind meist lüderlich
gedruckt und voller Fehler, bei der Hast und Heimlichkeit, mit der sie hergestellt wurde", kein
Wunder.
Grenzboten II 1896 zg
Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

sonders schlimm, so wurde die Sache von der Bücherkommission gar an das
Stadtgericht abgegeben. Wehe dann den Schuldigen!

Da solche Pasquilllitteratur immer auf Käufer rechnen konnte, so ist
es kein Wunder, daß dabei auch mancher Schwindel getrieben wurde. Man
suchte das Publikum zu ködern, indem man den Namen Leipzig auch in dem
Titel von Schriften anbrachte, in denen von Leipzig gar nicht oder so gut wie
gar nicht die Rede war. So würde sich z. B. jeder getäuscht sehen, der
Schriften, wie die vom Jahre 1788: Briefe eines reisenden Handlungsbedienter
über Leipzig, Hamburg und Lübeck, oder die von 1798: Verteidigung der Leip¬
ziger Damen. Von Henriette ^ zur Hand nehmen wollte in der Hoffnung,
darin etwas besondres über das damalige Leipzig zu finden. Auch die Galan¬
terien von Leipzig, 1799 erschienen, angeblich in Hamburg in der „Buchhand¬
lung der Verlagsgesellschaft," haben keine wirkliche Lokalfarbe. Wenn auch
noch so oft darin vom Rosenthal die Rede ist und gelegentlich auch von andern
Zufluchtsorten verliebter Pärchen, und wenn auch hie und da bestimmte Per¬
sönlichkeiten genannt sind, so passen doch die Bilder und Schilderungen des
Buches sicherlich auf alle damaligen größern deutschen Städte. Neben solcher
Schwindelware steht aber doch eine ganze Reihe von Schriften, die für die
geistigen und sittlichen Zustände Leipzigs im achtzehnten Jahrhundert eine
wichtige Quelle sind. Mögen auch die Verfasser zum Teil recht untergeord¬
nete Burschen gewesen sein, mag auch vieles von dem, was sie anführen, auf
bloßem Klatsch beruhen, manches übertrieben, manches auf bloße Lust am
Skandal und an Schlüpfrigkeiten zurückzuführen sein, so bleibt doch immer
noch genug übrig, was man als der Wahrheit entsprechend ansehen darf, um
so mehr, als das Wesentliche davon bei allen unabhängig von einander wieder¬
kehrt. Manche dieser Schriften verdienten heute neu gedruckt zu werden,*)
nicht bloß weil sie mit der Zeit große Seltenheiten geworden sind, die im
antiquarischen Verkehr von Liebhabern mit hohen Preisen bezahlt werden,
sondern weil auch vieles von ihrem Inhalt in ganz merkwürdiger Weise — soll
man sagen noch oder wieder? — ans unsre heutigen litt-as-siövlö-Zustmide Paßt.
Jedenfalls werden einige nähere Mitteilungen über diese Litteratur und aus
ihr willkommen sein. Wo es die Verfasser mit der Vücherkommission oder gar
dem Gericht zu thun bekamen, können die Vorgänge als typisch für solche



das Wöllnersche Neligionsedikt veröffentlicht sulle, schrieb Pott um Aarth: „Gestern Abend haben sie
uns das Lustspiel konfiszirt, aber einen Quark gefunden. Der Bücherinspektor ärgerte sich, da er
nichts fand, und die Buchhändler gaben recht Acht, ob er nebst seinen Helfern mit gefüllten
Händen fortgehen würde. Wo er vorbeikam, riefen sie ihm zu: Wer die beiden erwischen null,
muß früher aufstehen! Er wurde überall ausgelacht,"
Und zwar in guten, sorgfältigen Ausgaben, denn die Originale sind meist lüderlich
gedruckt und voller Fehler, bei der Hast und Heimlichkeit, mit der sie hergestellt wurde», kein
Wunder.
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[0473] Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts sonders schlimm, so wurde die Sache von der Bücherkommission gar an das Stadtgericht abgegeben. Wehe dann den Schuldigen! Da solche Pasquilllitteratur immer auf Käufer rechnen konnte, so ist es kein Wunder, daß dabei auch mancher Schwindel getrieben wurde. Man suchte das Publikum zu ködern, indem man den Namen Leipzig auch in dem Titel von Schriften anbrachte, in denen von Leipzig gar nicht oder so gut wie gar nicht die Rede war. So würde sich z. B. jeder getäuscht sehen, der Schriften, wie die vom Jahre 1788: Briefe eines reisenden Handlungsbedienter über Leipzig, Hamburg und Lübeck, oder die von 1798: Verteidigung der Leip¬ ziger Damen. Von Henriette ^ zur Hand nehmen wollte in der Hoffnung, darin etwas besondres über das damalige Leipzig zu finden. Auch die Galan¬ terien von Leipzig, 1799 erschienen, angeblich in Hamburg in der „Buchhand¬ lung der Verlagsgesellschaft," haben keine wirkliche Lokalfarbe. Wenn auch noch so oft darin vom Rosenthal die Rede ist und gelegentlich auch von andern Zufluchtsorten verliebter Pärchen, und wenn auch hie und da bestimmte Per¬ sönlichkeiten genannt sind, so passen doch die Bilder und Schilderungen des Buches sicherlich auf alle damaligen größern deutschen Städte. Neben solcher Schwindelware steht aber doch eine ganze Reihe von Schriften, die für die geistigen und sittlichen Zustände Leipzigs im achtzehnten Jahrhundert eine wichtige Quelle sind. Mögen auch die Verfasser zum Teil recht untergeord¬ nete Burschen gewesen sein, mag auch vieles von dem, was sie anführen, auf bloßem Klatsch beruhen, manches übertrieben, manches auf bloße Lust am Skandal und an Schlüpfrigkeiten zurückzuführen sein, so bleibt doch immer noch genug übrig, was man als der Wahrheit entsprechend ansehen darf, um so mehr, als das Wesentliche davon bei allen unabhängig von einander wieder¬ kehrt. Manche dieser Schriften verdienten heute neu gedruckt zu werden,*) nicht bloß weil sie mit der Zeit große Seltenheiten geworden sind, die im antiquarischen Verkehr von Liebhabern mit hohen Preisen bezahlt werden, sondern weil auch vieles von ihrem Inhalt in ganz merkwürdiger Weise — soll man sagen noch oder wieder? — ans unsre heutigen litt-as-siövlö-Zustmide Paßt. Jedenfalls werden einige nähere Mitteilungen über diese Litteratur und aus ihr willkommen sein. Wo es die Verfasser mit der Vücherkommission oder gar dem Gericht zu thun bekamen, können die Vorgänge als typisch für solche das Wöllnersche Neligionsedikt veröffentlicht sulle, schrieb Pott um Aarth: „Gestern Abend haben sie uns das Lustspiel konfiszirt, aber einen Quark gefunden. Der Bücherinspektor ärgerte sich, da er nichts fand, und die Buchhändler gaben recht Acht, ob er nebst seinen Helfern mit gefüllten Händen fortgehen würde. Wo er vorbeikam, riefen sie ihm zu: Wer die beiden erwischen null, muß früher aufstehen! Er wurde überall ausgelacht," Und zwar in guten, sorgfältigen Ausgaben, denn die Originale sind meist lüderlich gedruckt und voller Fehler, bei der Hast und Heimlichkeit, mit der sie hergestellt wurde», kein Wunder. Grenzboten II 1896 zg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/473>, abgerufen am 22.07.2024.