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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Pflicht zur Arbeit

und darnach mag sich ihr Los verschieden gestalten. "Wie mans treibt, so
gehts." Ich glaube auch beobachtet zu haben, daß manchmal die Not eine
heilsame Wirkung hervorbringt, die Not, die trotz aller Bemühungen und
schönen Verheißungen nicht hinwegzuschaffen ist, da sich das Empfinden der
Not schon einstellt, wenn die gewohnte Lebensweise, die bessern äußern Ver¬
hältnissen entsprach, nicht fortgeführt werden kann. Da mag denn eine Familie,
die nicht ohne eignes Verschulden vielleicht in eine solche Lage geraten ist,
nach längern Jahren wiedergeboren gleichsam, mit neuen Kräften ausgerüstet
und darum zum Kampf um den Erwerb geeigneter emporsteigen. Da wird
den Standesvorurteilen der Laufpaß gegeben, die in ärmlichen Verhältnissen
aufgewachsenen Kinder empfinden es nicht schmerzlich, daß sie eine untergeordnete
Stellung einnehmen müssen, und ihre Anspruchslosigkeit bahnt ihnen den Weg
zu einem für sie befriedigenden Dasein. Liegt denn nicht das Schreckliche des
Verzichts auf höhere soziale Lebensstellung eigentlich doch in der Einbildung?

Wenn Beispiele wie die oben augeführten meine Aufmerksamkeit besonders
auf sich ziehen, wenn ich ihnen mehr Beweiskraft beimesse als den so oft an¬
geführten entgegenstehenden von der Not der arbeitenden Klassen, wenn ich
eine Anschauung bekämpfe, die ich als sozialpolitische Sentimentalität bezeichnen
möchte, so mögen dafür hauptsächlich die Eindrücke einer Erziehung bestimmend
sein, für die ich dankbar bin, einer Erziehung, durch die mir das Bewußtsein
von der Würde der Arbeit tief eingeprägt wurde. Wie ich eine teils ererbte,
teils anerzogne Vorliebe hege für die treue, schlichte, entsagende Arbeit, empfinde
ich zugleich Widerwillen gegen den Hochmut, der sich von der Arbeit abwendet.
Meine ganze Denkart ist so gestempelt worden durch die Erziehung und das
Vorbild des Vaters, der die Arbeit, die schwere körperliche, mit einer ge¬
wissen Leidenschaft betrieb, dem sie Bedürfnis seiner Natur, Erholung und
Genuß war, der den Normalarbeitstag als einen unerträglichen Zwang em¬
pfunden hätte, der sich auch durch keine witzelnden und spöttelnden Bemerkungen
über seine manchmal nicht ganz standesgemäßen Beschäftigungen irre machen
ließ. Wohl war hierbei die Liebe zu deu ererbten Gewohnheiten, es waren
auch die persönlichen Neigungen einer zur Einsamkeit und zu stiller Betrachtung
neigenden Sonderlingsnatnr bestimmend; aber es verband sich doch damit das
volle Bewußtsein nicht nur von der wirtschaftlichen Bedeutung der Arbeit für den
Landmannsstand, sondern auch von ihrem sittlichen und sozialpolitischen Wert,
ihrer das Volkstum stählenden Kraft. So steht dieser Mann nicht allein in
meiner Erinnerung da als ein Beispiel davon, wie sich ein äußerlich wechsel¬
loses, einförmiges Leben durch Arbeitsfrendigkeit und Berufstreue innerlich reich
und befriedigend gestalten läßt; unwillkürlich taucht auch bei sozialpolitischen
Erörterungen diese Erinnerung vor mir auf, und mit kindlicher Pietät mischt
sich die Befriedigung darüber, daß mir die sozialpolitische Bedeutung der
Arbeit so früh nahegelegt wurde. Wohl konnte mein Bater ein Sozial-


Die Pflicht zur Arbeit

und darnach mag sich ihr Los verschieden gestalten. „Wie mans treibt, so
gehts." Ich glaube auch beobachtet zu haben, daß manchmal die Not eine
heilsame Wirkung hervorbringt, die Not, die trotz aller Bemühungen und
schönen Verheißungen nicht hinwegzuschaffen ist, da sich das Empfinden der
Not schon einstellt, wenn die gewohnte Lebensweise, die bessern äußern Ver¬
hältnissen entsprach, nicht fortgeführt werden kann. Da mag denn eine Familie,
die nicht ohne eignes Verschulden vielleicht in eine solche Lage geraten ist,
nach längern Jahren wiedergeboren gleichsam, mit neuen Kräften ausgerüstet
und darum zum Kampf um den Erwerb geeigneter emporsteigen. Da wird
den Standesvorurteilen der Laufpaß gegeben, die in ärmlichen Verhältnissen
aufgewachsenen Kinder empfinden es nicht schmerzlich, daß sie eine untergeordnete
Stellung einnehmen müssen, und ihre Anspruchslosigkeit bahnt ihnen den Weg
zu einem für sie befriedigenden Dasein. Liegt denn nicht das Schreckliche des
Verzichts auf höhere soziale Lebensstellung eigentlich doch in der Einbildung?

Wenn Beispiele wie die oben augeführten meine Aufmerksamkeit besonders
auf sich ziehen, wenn ich ihnen mehr Beweiskraft beimesse als den so oft an¬
geführten entgegenstehenden von der Not der arbeitenden Klassen, wenn ich
eine Anschauung bekämpfe, die ich als sozialpolitische Sentimentalität bezeichnen
möchte, so mögen dafür hauptsächlich die Eindrücke einer Erziehung bestimmend
sein, für die ich dankbar bin, einer Erziehung, durch die mir das Bewußtsein
von der Würde der Arbeit tief eingeprägt wurde. Wie ich eine teils ererbte,
teils anerzogne Vorliebe hege für die treue, schlichte, entsagende Arbeit, empfinde
ich zugleich Widerwillen gegen den Hochmut, der sich von der Arbeit abwendet.
Meine ganze Denkart ist so gestempelt worden durch die Erziehung und das
Vorbild des Vaters, der die Arbeit, die schwere körperliche, mit einer ge¬
wissen Leidenschaft betrieb, dem sie Bedürfnis seiner Natur, Erholung und
Genuß war, der den Normalarbeitstag als einen unerträglichen Zwang em¬
pfunden hätte, der sich auch durch keine witzelnden und spöttelnden Bemerkungen
über seine manchmal nicht ganz standesgemäßen Beschäftigungen irre machen
ließ. Wohl war hierbei die Liebe zu deu ererbten Gewohnheiten, es waren
auch die persönlichen Neigungen einer zur Einsamkeit und zu stiller Betrachtung
neigenden Sonderlingsnatnr bestimmend; aber es verband sich doch damit das
volle Bewußtsein nicht nur von der wirtschaftlichen Bedeutung der Arbeit für den
Landmannsstand, sondern auch von ihrem sittlichen und sozialpolitischen Wert,
ihrer das Volkstum stählenden Kraft. So steht dieser Mann nicht allein in
meiner Erinnerung da als ein Beispiel davon, wie sich ein äußerlich wechsel¬
loses, einförmiges Leben durch Arbeitsfrendigkeit und Berufstreue innerlich reich
und befriedigend gestalten läßt; unwillkürlich taucht auch bei sozialpolitischen
Erörterungen diese Erinnerung vor mir auf, und mit kindlicher Pietät mischt
sich die Befriedigung darüber, daß mir die sozialpolitische Bedeutung der
Arbeit so früh nahegelegt wurde. Wohl konnte mein Bater ein Sozial-


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[0459] Die Pflicht zur Arbeit und darnach mag sich ihr Los verschieden gestalten. „Wie mans treibt, so gehts." Ich glaube auch beobachtet zu haben, daß manchmal die Not eine heilsame Wirkung hervorbringt, die Not, die trotz aller Bemühungen und schönen Verheißungen nicht hinwegzuschaffen ist, da sich das Empfinden der Not schon einstellt, wenn die gewohnte Lebensweise, die bessern äußern Ver¬ hältnissen entsprach, nicht fortgeführt werden kann. Da mag denn eine Familie, die nicht ohne eignes Verschulden vielleicht in eine solche Lage geraten ist, nach längern Jahren wiedergeboren gleichsam, mit neuen Kräften ausgerüstet und darum zum Kampf um den Erwerb geeigneter emporsteigen. Da wird den Standesvorurteilen der Laufpaß gegeben, die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsenen Kinder empfinden es nicht schmerzlich, daß sie eine untergeordnete Stellung einnehmen müssen, und ihre Anspruchslosigkeit bahnt ihnen den Weg zu einem für sie befriedigenden Dasein. Liegt denn nicht das Schreckliche des Verzichts auf höhere soziale Lebensstellung eigentlich doch in der Einbildung? Wenn Beispiele wie die oben augeführten meine Aufmerksamkeit besonders auf sich ziehen, wenn ich ihnen mehr Beweiskraft beimesse als den so oft an¬ geführten entgegenstehenden von der Not der arbeitenden Klassen, wenn ich eine Anschauung bekämpfe, die ich als sozialpolitische Sentimentalität bezeichnen möchte, so mögen dafür hauptsächlich die Eindrücke einer Erziehung bestimmend sein, für die ich dankbar bin, einer Erziehung, durch die mir das Bewußtsein von der Würde der Arbeit tief eingeprägt wurde. Wie ich eine teils ererbte, teils anerzogne Vorliebe hege für die treue, schlichte, entsagende Arbeit, empfinde ich zugleich Widerwillen gegen den Hochmut, der sich von der Arbeit abwendet. Meine ganze Denkart ist so gestempelt worden durch die Erziehung und das Vorbild des Vaters, der die Arbeit, die schwere körperliche, mit einer ge¬ wissen Leidenschaft betrieb, dem sie Bedürfnis seiner Natur, Erholung und Genuß war, der den Normalarbeitstag als einen unerträglichen Zwang em¬ pfunden hätte, der sich auch durch keine witzelnden und spöttelnden Bemerkungen über seine manchmal nicht ganz standesgemäßen Beschäftigungen irre machen ließ. Wohl war hierbei die Liebe zu deu ererbten Gewohnheiten, es waren auch die persönlichen Neigungen einer zur Einsamkeit und zu stiller Betrachtung neigenden Sonderlingsnatnr bestimmend; aber es verband sich doch damit das volle Bewußtsein nicht nur von der wirtschaftlichen Bedeutung der Arbeit für den Landmannsstand, sondern auch von ihrem sittlichen und sozialpolitischen Wert, ihrer das Volkstum stählenden Kraft. So steht dieser Mann nicht allein in meiner Erinnerung da als ein Beispiel davon, wie sich ein äußerlich wechsel¬ loses, einförmiges Leben durch Arbeitsfrendigkeit und Berufstreue innerlich reich und befriedigend gestalten läßt; unwillkürlich taucht auch bei sozialpolitischen Erörterungen diese Erinnerung vor mir auf, und mit kindlicher Pietät mischt sich die Befriedigung darüber, daß mir die sozialpolitische Bedeutung der Arbeit so früh nahegelegt wurde. Wohl konnte mein Bater ein Sozial-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/459>, abgerufen am 22.07.2024.