Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Die Pflicht zur Arbeit Es wird nicht gelingen, in dieser Weise die Kaufgewohnheiten des Publikums Was der Arbeiter oder die Arbeiterin selbst zur Aufbesserung ihrer Lage Auf der einen Seite der Arbeiter, der den Unternehmer fast in der Gewalt Die Pflicht zur Arbeit Es wird nicht gelingen, in dieser Weise die Kaufgewohnheiten des Publikums Was der Arbeiter oder die Arbeiterin selbst zur Aufbesserung ihrer Lage Auf der einen Seite der Arbeiter, der den Unternehmer fast in der Gewalt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222758"/> <fw type="header" place="top"> Die Pflicht zur Arbeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1301" prev="#ID_1300"> Es wird nicht gelingen, in dieser Weise die Kaufgewohnheiten des Publikums<lb/> zu beeinflussen, und wenn auch das Publikum diese Mahnungen beherzigte, so<lb/> würde doch damit gar keine Gewähr dafür gegeben sein, daß die beabsichtigten<lb/> Wirkungen eintreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1302"> Was der Arbeiter oder die Arbeiterin selbst zur Aufbesserung ihrer Lage<lb/> thun könnten, wird bei allen diesen wohlgemeinten Ratschlägen ganz über¬<lb/> sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1303"> Auf der einen Seite der Arbeiter, der den Unternehmer fast in der Gewalt<lb/> hat und ihm Bedingungen vorschreiben kann, auf der andern der abhängige,<lb/> bedrückte, der Willkür preisgegebne Arbeiter. Und ähnlich ist es auf dem Gebiete<lb/> der weiblichen Arbeiten. Hört man doch die Hausfrauen darüber klagen, nicht<lb/> allein, daß die Dienstmädchen anspruchsvoll sind und alle möglichen Bedin¬<lb/> gungen stellen, sondern daß brauchbare Mädchen überhaupt fast nicht zu be¬<lb/> kommen sind. Dieser Gegensatz zeigt klar genug, daß der Unterschied der<lb/> Lage dieser beiden Arbeiterklassen nicht den wirtschaftlichen Verhältniffen zu¬<lb/> zuschreiben ist, sondern einem Unterschiede der Anschauungen und Lebensgewohn¬<lb/> heiten der einzelnen Arbeiter selbst. Sollen wir denn die Anschauung, die<lb/> den Arbeitenden dann abhält, eine lohnende Arbeit zu ergreifen, die Vor¬<lb/> stellung, daß er sich für diese Arbeit nicht eigne, richtiger gesagt, daß er dasür<lb/> zu gut sei — denn das ist der Abhaltungsgrund in sehr vielen Fällen —, als<lb/> ein Rührmichnichtan betrachten? Oder sollen wir nicht, anstatt uns den Kopf<lb/> zu zerbrechen mit Plänen, wie durch Gesetze in das Privatleben eingedrungen<lb/> und dem Einzelnen ein Zwang auferlegt werden könne, lieber eine verkehrte<lb/> Zeitrichtung zu bekämpfen suchen, die leider mit viel zu viel Nachsicht be¬<lb/> handelt wird? Auch den besitzenden Klaffen ist der Vorwurf zu machen, daß<lb/> ihnen das Bewußtsein von der Ehre der Arbeit zu sehr abhanden gekommen<lb/> ist; sie sind bei der Abwendung von der Arbeit mit gutem Beispiel voran¬<lb/> gegangen. Schon die Erziehung wirkt dahin, daß sich nicht allein falsche<lb/> Ehrbegriffe einbürgern, sondern sich auch die Körperbeschaffenheit den Idealen<lb/> von der Bestimmung des Menschen und von der ihm zukommenden Thätigkeit<lb/> anpaßt. Wenn die abhärtende und Stadtende Wirkung der Körperarbeit oder<lb/> auch nur jeder anspannenden körperlichen Bewegung von Jugend auf fehlt, so<lb/> mag später die Behauptung, daß die Befähigung zu schwerer Arbeit fehle,<lb/> thatsächlich nicht unberechtigt sein. Es ist aber förmlich unheimlich, zu be¬<lb/> obachten, wie namentlich auf dem Gebiete der weiblichen Hausarbeiten dieses<lb/> Ausscheiden der gröbern und vermeintlich entehrenden Beschäftigungen fort¬<lb/> schreitet. Der höhern Tochter, die höchstens einige leichtere Hausarbeiten zum<lb/> Zeitvertreib und so weit es dringendere Verpflichtungen wie Pflege von Musik<lb/> u. dergl. erlauben, übernimmt, rückt allmählich das Dienstmädchen nach; auch<lb/> sie sucht die gröbern Arbeiten möglichst von sich abzuschieben, sodaß dann noch<lb/> andre dienstbare Geister dafür angenommen werden müssen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
Die Pflicht zur Arbeit
Es wird nicht gelingen, in dieser Weise die Kaufgewohnheiten des Publikums
zu beeinflussen, und wenn auch das Publikum diese Mahnungen beherzigte, so
würde doch damit gar keine Gewähr dafür gegeben sein, daß die beabsichtigten
Wirkungen eintreten.
Was der Arbeiter oder die Arbeiterin selbst zur Aufbesserung ihrer Lage
thun könnten, wird bei allen diesen wohlgemeinten Ratschlägen ganz über¬
sehen.
Auf der einen Seite der Arbeiter, der den Unternehmer fast in der Gewalt
hat und ihm Bedingungen vorschreiben kann, auf der andern der abhängige,
bedrückte, der Willkür preisgegebne Arbeiter. Und ähnlich ist es auf dem Gebiete
der weiblichen Arbeiten. Hört man doch die Hausfrauen darüber klagen, nicht
allein, daß die Dienstmädchen anspruchsvoll sind und alle möglichen Bedin¬
gungen stellen, sondern daß brauchbare Mädchen überhaupt fast nicht zu be¬
kommen sind. Dieser Gegensatz zeigt klar genug, daß der Unterschied der
Lage dieser beiden Arbeiterklassen nicht den wirtschaftlichen Verhältniffen zu¬
zuschreiben ist, sondern einem Unterschiede der Anschauungen und Lebensgewohn¬
heiten der einzelnen Arbeiter selbst. Sollen wir denn die Anschauung, die
den Arbeitenden dann abhält, eine lohnende Arbeit zu ergreifen, die Vor¬
stellung, daß er sich für diese Arbeit nicht eigne, richtiger gesagt, daß er dasür
zu gut sei — denn das ist der Abhaltungsgrund in sehr vielen Fällen —, als
ein Rührmichnichtan betrachten? Oder sollen wir nicht, anstatt uns den Kopf
zu zerbrechen mit Plänen, wie durch Gesetze in das Privatleben eingedrungen
und dem Einzelnen ein Zwang auferlegt werden könne, lieber eine verkehrte
Zeitrichtung zu bekämpfen suchen, die leider mit viel zu viel Nachsicht be¬
handelt wird? Auch den besitzenden Klaffen ist der Vorwurf zu machen, daß
ihnen das Bewußtsein von der Ehre der Arbeit zu sehr abhanden gekommen
ist; sie sind bei der Abwendung von der Arbeit mit gutem Beispiel voran¬
gegangen. Schon die Erziehung wirkt dahin, daß sich nicht allein falsche
Ehrbegriffe einbürgern, sondern sich auch die Körperbeschaffenheit den Idealen
von der Bestimmung des Menschen und von der ihm zukommenden Thätigkeit
anpaßt. Wenn die abhärtende und Stadtende Wirkung der Körperarbeit oder
auch nur jeder anspannenden körperlichen Bewegung von Jugend auf fehlt, so
mag später die Behauptung, daß die Befähigung zu schwerer Arbeit fehle,
thatsächlich nicht unberechtigt sein. Es ist aber förmlich unheimlich, zu be¬
obachten, wie namentlich auf dem Gebiete der weiblichen Hausarbeiten dieses
Ausscheiden der gröbern und vermeintlich entehrenden Beschäftigungen fort¬
schreitet. Der höhern Tochter, die höchstens einige leichtere Hausarbeiten zum
Zeitvertreib und so weit es dringendere Verpflichtungen wie Pflege von Musik
u. dergl. erlauben, übernimmt, rückt allmählich das Dienstmädchen nach; auch
sie sucht die gröbern Arbeiten möglichst von sich abzuschieben, sodaß dann noch
andre dienstbare Geister dafür angenommen werden müssen.
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