Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Der zerstreute Storch Heute, am 28. August 1749 habe ich für den Rat Goethe in Frankfurt Plötzlich merkte der Storch, daß es neblig und empfindlich kühl wurde. Da Das ist wirklich eine schwierige Sache! sagte er. Nun hab ich gar vergessen, Schnell ergriff er das Kindchen, schaute noch einmal flüchtig nach der Adresse Ah, dachte er, wie werden sich die beiden einsamen Leutchen freuen! Mein Aber was war denn das? Als er sich im Zimmer umsah, sah er an den El, der tausend! sagte er und legte das kleine Mädchen auf ein Bett, habe Er ging leise ans den Zehen an die angelehnte Thür und guckte hindurch. Die habe ich ja alle selber gebracht! flüsterte der Storch verblüfft. Dann Störche fliegen! rief der kleinste Junge, und auf einmal fing er an zu singen: Aber liebes Häuschen, was fällt dir denn ein! rief die Mutter. Aber Mütterchen, eben guckte doch der Storch durch die Thürspalte! antwortete Der zerstreute Storch Heute, am 28. August 1749 habe ich für den Rat Goethe in Frankfurt Plötzlich merkte der Storch, daß es neblig und empfindlich kühl wurde. Da Das ist wirklich eine schwierige Sache! sagte er. Nun hab ich gar vergessen, Schnell ergriff er das Kindchen, schaute noch einmal flüchtig nach der Adresse Ah, dachte er, wie werden sich die beiden einsamen Leutchen freuen! Mein Aber was war denn das? Als er sich im Zimmer umsah, sah er an den El, der tausend! sagte er und legte das kleine Mädchen auf ein Bett, habe Er ging leise ans den Zehen an die angelehnte Thür und guckte hindurch. Die habe ich ja alle selber gebracht! flüsterte der Storch verblüfft. Dann Störche fliegen! rief der kleinste Junge, und auf einmal fing er an zu singen: Aber liebes Häuschen, was fällt dir denn ein! rief die Mutter. 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Ich hatte ihn schon verloren ge¬<lb/> geben, da fand ich ihn endlich nach langem Suchen im Ghetto wieder, auf den<lb/> Nelken der Frau Rabbiner!», die auf dem flachen Dache des Hauses zum Lüften<lb/> und Sonnen ausgebreitet waren. Auch der Gänsekiel lag dort, und so konnte ich<lb/> denn, mit arger Verspätung freilich, der lieben jungen Fran Rat Goethe das leider<lb/> halbtote Knäblein in die Arme lege». Aber wette» mochte ich darauf, daß es ent¬<lb/> weder der größte Narr oder der größte Weise des Jahrhunderts werden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_128"> Plötzlich merkte der Storch, daß es neblig und empfindlich kühl wurde. Da<lb/> erschrak er sehr, denn es blieb ihm nnr noch eine halbe Stunde Zeit. Darum<lb/> setzte er schleunigst die Brille ans und suchte nach einem recht niedlichen Kindchen.<lb/> Er zog ein kleines Mädchen heraus, legte es vor sich ins Gras und betrachtete<lb/> es nachdenklich.</p><lb/> <p xml:id="ID_129"> Das ist wirklich eine schwierige Sache! sagte er. Nun hab ich gar vergessen,<lb/> meine Frau zu fragen, was ich bringen soll. Es wäre vielleicht besser, ich nähme<lb/> einen Junge«, aber es sind hier viel mehr Mädel drin, und am Ende bleiben gnr<lb/> »ur noch diese minderwertigen Geschöpfe im Teiche!</p><lb/> <p xml:id="ID_130"> Schnell ergriff er das Kindchen, schaute noch einmal flüchtig nach der Adresse<lb/> und flog uach der Stadt zurück. Die Abendsonne spiegelte sich in den Fenstern<lb/> der Wohnung, auf die der Storch lossteuerte.</p><lb/> <p xml:id="ID_131"> Ah, dachte er, wie werden sich die beiden einsamen Leutchen freuen! Mein<lb/> Beruf ist doch wirklich schön und beglückend! Und mit leisem Flügelschlage huschte<lb/> er durch ein offnes Fenster.</p><lb/> <p xml:id="ID_132"> Aber was war denn das? Als er sich im Zimmer umsah, sah er an den<lb/> Wänden schon mehrere Kinderbettchen stehen, und nebenan hörte er helle, fröhliche<lb/> Kinderstimmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_133"> El, der tausend! sagte er und legte das kleine Mädchen auf ein Bett, habe<lb/> ich jetzt einen Konkurrenten bekommen? Fiir ein junges Ehepaar siud das doch zu<lb/> viel Quälgeister!</p><lb/> <p xml:id="ID_134"> Er ging leise ans den Zehen an die angelehnte Thür und guckte hindurch.<lb/> Da sah er um eiuen Tisch heran sechs vergnügte Kinder sitzen, und die Mutter<lb/> am obern Ende spielte mit ihnen: „Alles, was Federn hat, fliegt hoch!"</p><lb/> <p xml:id="ID_135"> Die habe ich ja alle selber gebracht! flüsterte der Storch verblüfft. Dann<lb/> stöhnte er: O wie wird mir! Die Adresse! die Adresse! 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Der zerstreute Storch
Heute, am 28. August 1749 habe ich für den Rat Goethe in Frankfurt
einen Sohn ans dem Zikonienteich geholt. Das Büblei» lag abseits von den
andern in einer herrlichen Wasserrose und hielt einen großen Gänsekiel im Fäustchen
(ich brauche die geehrten Anwesenden wohl nicht darauf aufmerksam zu machen,
daß also schou damals die Grundidee zum Faust vorhanden war, schaltete Adebar
Storch hier ein). Als ich aber über Frankfurt schwebte, ließ der Kleine dies be¬
deutungsvolle Attribut los, sodaß es davonflatterte. Ich wollte es wieder hasche»,
aber dabei entfiel mir, o Schreck, der Kunde. Ich hatte ihn schon verloren ge¬
geben, da fand ich ihn endlich nach langem Suchen im Ghetto wieder, auf den
Nelken der Frau Rabbiner!», die auf dem flachen Dache des Hauses zum Lüften
und Sonnen ausgebreitet waren. Auch der Gänsekiel lag dort, und so konnte ich
denn, mit arger Verspätung freilich, der lieben jungen Fran Rat Goethe das leider
halbtote Knäblein in die Arme lege». Aber wette» mochte ich darauf, daß es ent¬
weder der größte Narr oder der größte Weise des Jahrhunderts werden wird.
Plötzlich merkte der Storch, daß es neblig und empfindlich kühl wurde. Da
erschrak er sehr, denn es blieb ihm nnr noch eine halbe Stunde Zeit. Darum
setzte er schleunigst die Brille ans und suchte nach einem recht niedlichen Kindchen.
Er zog ein kleines Mädchen heraus, legte es vor sich ins Gras und betrachtete
es nachdenklich.
Das ist wirklich eine schwierige Sache! sagte er. Nun hab ich gar vergessen,
meine Frau zu fragen, was ich bringen soll. Es wäre vielleicht besser, ich nähme
einen Junge«, aber es sind hier viel mehr Mädel drin, und am Ende bleiben gnr
»ur noch diese minderwertigen Geschöpfe im Teiche!
Schnell ergriff er das Kindchen, schaute noch einmal flüchtig nach der Adresse
und flog uach der Stadt zurück. Die Abendsonne spiegelte sich in den Fenstern
der Wohnung, auf die der Storch lossteuerte.
Ah, dachte er, wie werden sich die beiden einsamen Leutchen freuen! Mein
Beruf ist doch wirklich schön und beglückend! Und mit leisem Flügelschlage huschte
er durch ein offnes Fenster.
Aber was war denn das? Als er sich im Zimmer umsah, sah er an den
Wänden schon mehrere Kinderbettchen stehen, und nebenan hörte er helle, fröhliche
Kinderstimmen.
El, der tausend! sagte er und legte das kleine Mädchen auf ein Bett, habe
ich jetzt einen Konkurrenten bekommen? Fiir ein junges Ehepaar siud das doch zu
viel Quälgeister!
Er ging leise ans den Zehen an die angelehnte Thür und guckte hindurch.
Da sah er um eiuen Tisch heran sechs vergnügte Kinder sitzen, und die Mutter
am obern Ende spielte mit ihnen: „Alles, was Federn hat, fliegt hoch!"
Die habe ich ja alle selber gebracht! flüsterte der Storch verblüfft. Dann
stöhnte er: O wie wird mir! Die Adresse! die Adresse! Ich habe in der Zer¬
streuung die alte statt der neuen gelesen.
Störche fliegen! rief der kleinste Junge, und auf einmal fing er an zu singen:
Aber liebes Häuschen, was fällt dir denn ein! rief die Mutter.
Aber Mütterchen, eben guckte doch der Storch durch die Thürspalte! antwortete
der Kleine ganz eifrig. Ich hab es deutlich gesehen!
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