Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Der zerstreute Storch Dacht ich mirs doch! rief der Storch in komischer Verzweiflung; und damit Mäßige dich, lieber Adebar! sagte die Störchin mit kalter Vornehmheit. Das bildest du dir nur ein, liebe Frau, wehrte der Storch geschmeichelt ab. Du übertreibst, lieber Mann, ich habe nnr das Gegenteil bemerkt, antwortete Meinethalben! sagte der Storch nach einer Weile. Bring den Schniepel Freilich, freilich! erwiderte seine Fran; aber mir scheint, daß ihr die Glücks¬ Schon gut! unterbrach sie der Storch ungeduldig. Sieh mal, ob mein Schlips Er holte sein Notizbuch unter dem Flügel hervor und schrieb die Adresse ans Zuerst flog er an den großen Zitvnienteich, der überall und nirgends ist, und Der zerstreute Storch Dacht ich mirs doch! rief der Storch in komischer Verzweiflung; und damit Mäßige dich, lieber Adebar! sagte die Störchin mit kalter Vornehmheit. Das bildest du dir nur ein, liebe Frau, wehrte der Storch geschmeichelt ab. Du übertreibst, lieber Mann, ich habe nnr das Gegenteil bemerkt, antwortete Meinethalben! sagte der Storch nach einer Weile. Bring den Schniepel Freilich, freilich! erwiderte seine Fran; aber mir scheint, daß ihr die Glücks¬ Schon gut! unterbrach sie der Storch ungeduldig. Sieh mal, ob mein Schlips Er holte sein Notizbuch unter dem Flügel hervor und schrieb die Adresse ans Zuerst flog er an den großen Zitvnienteich, der überall und nirgends ist, und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222348"/> <fw type="header" place="top"> Der zerstreute Storch</fw><lb/> <p xml:id="ID_118"> Dacht ich mirs doch! rief der Storch in komischer Verzweiflung; und damit<lb/> kommt sie mir nun gerade jetzt, gerade heute, wo ich im Autimalthusianer-<lb/> vereiu meinen Vortrag halten will! Aber ihr Weiber habt es weg , einem die<lb/> schönsten Ideen zu verscheuchen! Wenn ihr nicht wäret, dann wäre die Welt um<lb/> viele herrliche Gedanken reicher, die nnn durch euer lächerliches Geplapper verloren<lb/> gehen auf Nimmerwiederfiudeu!</p><lb/> <p xml:id="ID_119"> Mäßige dich, lieber Adebar! sagte die Störchin mit kalter Vornehmheit.<lb/> — Sie nannte ihren Mann mir beim Vornamen, wenn sie ihm zeigen wollte,<lb/> daß sie sich beleidigt fühlte. — Es thut mir leid, daß du noch immer nicht erkannt<lb/> hast, wie sehr ich um dein Wohl und dein Fortkommen besorgt bin. Dn nennst<lb/> dich Autimnlthusianer; da müßtest du doch in der praktischen Ausführung deiner<lb/> Grundsätze deine wichtigste Aufgabe sehen und nicht über der grauen Theorie deinen<lb/> Beruf so unverantwortlich vernachlässigen. Mit der schönen Idee allein kommt<lb/> man heutzutage nicht weit, wie du an dem Mortalitätsstatistiker, dem alten, gräm¬<lb/> lichen Professor Uhu sehen kannst, den keine Fran in seinen großartigen Gedanken<lb/> stört, und der trotzdem gehaßt und sogar gefürchtet ist, während du allgemeine<lb/> Achtung und Liebe genießest.</p><lb/> <p xml:id="ID_120"> Das bildest du dir nur ein, liebe Frau, wehrte der Storch geschmeichelt ab.<lb/> Ich weiß davon ein Lied zu singen, meine Sozialpolitik hat mir schon oft Undank<lb/> gebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_121"> Du übertreibst, lieber Mann, ich habe nnr das Gegenteil bemerkt, antwortete<lb/> sie. Und wenn dn dich jetzt wieder davon überzeugen willst, so folge meinem<lb/> Rat, ziehe deinen Frack an und mache den notwendigen Besuch. Es ist ja gnr<lb/> uicht nötig, daß du dich lange aufhältst. Zu deinem Vortrage bist du längst<lb/> wieder zurück, du kannst ihn dann in dem wohlthuenden Gefühl halten, deine<lb/> Pflicht in keiner Weise vernachlässigt zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_122"> Meinethalben! sagte der Storch nach einer Weile. Bring den Schniepel<lb/> und die Augstrvhre her, du läßt mir ja doch keine Ruhe. Übrigens brauchst dn<lb/> mich gar nicht an meine Pflicht zu mahnen, liebes Kind! Ich kenne niemand, der<lb/> so eifrig dahinterher gewesen wäre, wie ich und meine Kollegen. Hast du nicht<lb/> in der Zeitung gelesen, daß Deutschlands Bevölkerung in den letzten fünf Jahren<lb/> von 49 Millionen auf 52 Millionen gestiegen ist? Na also! Das will geschafft<lb/> sein, meine Liebe.</p><lb/> <p xml:id="ID_123"> Freilich, freilich! erwiderte seine Fran; aber mir scheint, daß ihr die Glücks¬<lb/> güter zu ungleich verteilt. Dieses junge Ehepaar zum Beispiel hat viel zu lange<lb/> warten müssen, während ihr euch bei manchen Leuten förmlich einnistet —</p><lb/> <p xml:id="ID_124"> Schon gut! unterbrach sie der Storch ungeduldig. Sieh mal, ob mein Schlips<lb/> gerade sitzt. So! und nun gieb mir schnell die Adresse!</p><lb/> <p xml:id="ID_125"> Er holte sein Notizbuch unter dem Flügel hervor und schrieb die Adresse ans<lb/> dem Wirtschaftsbuch seiner Frau ab, das sie sich aus Klettenblättern gemacht hatte.<lb/> Dann setzte er den Cylinder auf und eilte davon.</p><lb/> <p xml:id="ID_126"> Zuerst flog er an den großen Zitvnienteich, der überall und nirgends ist, und<lb/> in dem bekanntlich die kleine» Kinder herumschwimmen. Dort ließ er sich nieder,<lb/> um sich ein Weilchen auszuruhen. Dabei verfiel er aber in ein tiefes Sinnen,<lb/> denn er memorirte seinen Vortrag für den Antimalthusianerverein. Das Thema<lb/> lautete: Goethe als Wickelkind, und der Storch hatte darüber ganz verblüffende,<lb/> noch nie gehörte Thatsachen mitzuteilen. In dem alten Lotosblattmannskript,<lb/> dem Tagebuche eines seiner Vorfahren, hatte er nämlich zufällig folgende Notiz<lb/> entdeckt, die er auswendig gelernt hatte und sich auch jetzt wieder vorsagte:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
Der zerstreute Storch
Dacht ich mirs doch! rief der Storch in komischer Verzweiflung; und damit
kommt sie mir nun gerade jetzt, gerade heute, wo ich im Autimalthusianer-
vereiu meinen Vortrag halten will! Aber ihr Weiber habt es weg , einem die
schönsten Ideen zu verscheuchen! Wenn ihr nicht wäret, dann wäre die Welt um
viele herrliche Gedanken reicher, die nnn durch euer lächerliches Geplapper verloren
gehen auf Nimmerwiederfiudeu!
Mäßige dich, lieber Adebar! sagte die Störchin mit kalter Vornehmheit.
— Sie nannte ihren Mann mir beim Vornamen, wenn sie ihm zeigen wollte,
daß sie sich beleidigt fühlte. — Es thut mir leid, daß du noch immer nicht erkannt
hast, wie sehr ich um dein Wohl und dein Fortkommen besorgt bin. Dn nennst
dich Autimnlthusianer; da müßtest du doch in der praktischen Ausführung deiner
Grundsätze deine wichtigste Aufgabe sehen und nicht über der grauen Theorie deinen
Beruf so unverantwortlich vernachlässigen. Mit der schönen Idee allein kommt
man heutzutage nicht weit, wie du an dem Mortalitätsstatistiker, dem alten, gräm¬
lichen Professor Uhu sehen kannst, den keine Fran in seinen großartigen Gedanken
stört, und der trotzdem gehaßt und sogar gefürchtet ist, während du allgemeine
Achtung und Liebe genießest.
Das bildest du dir nur ein, liebe Frau, wehrte der Storch geschmeichelt ab.
Ich weiß davon ein Lied zu singen, meine Sozialpolitik hat mir schon oft Undank
gebracht.
Du übertreibst, lieber Mann, ich habe nnr das Gegenteil bemerkt, antwortete
sie. Und wenn dn dich jetzt wieder davon überzeugen willst, so folge meinem
Rat, ziehe deinen Frack an und mache den notwendigen Besuch. Es ist ja gnr
uicht nötig, daß du dich lange aufhältst. Zu deinem Vortrage bist du längst
wieder zurück, du kannst ihn dann in dem wohlthuenden Gefühl halten, deine
Pflicht in keiner Weise vernachlässigt zu haben.
Meinethalben! sagte der Storch nach einer Weile. Bring den Schniepel
und die Augstrvhre her, du läßt mir ja doch keine Ruhe. Übrigens brauchst dn
mich gar nicht an meine Pflicht zu mahnen, liebes Kind! Ich kenne niemand, der
so eifrig dahinterher gewesen wäre, wie ich und meine Kollegen. Hast du nicht
in der Zeitung gelesen, daß Deutschlands Bevölkerung in den letzten fünf Jahren
von 49 Millionen auf 52 Millionen gestiegen ist? Na also! Das will geschafft
sein, meine Liebe.
Freilich, freilich! erwiderte seine Fran; aber mir scheint, daß ihr die Glücks¬
güter zu ungleich verteilt. Dieses junge Ehepaar zum Beispiel hat viel zu lange
warten müssen, während ihr euch bei manchen Leuten förmlich einnistet —
Schon gut! unterbrach sie der Storch ungeduldig. Sieh mal, ob mein Schlips
gerade sitzt. So! und nun gieb mir schnell die Adresse!
Er holte sein Notizbuch unter dem Flügel hervor und schrieb die Adresse ans
dem Wirtschaftsbuch seiner Frau ab, das sie sich aus Klettenblättern gemacht hatte.
Dann setzte er den Cylinder auf und eilte davon.
Zuerst flog er an den großen Zitvnienteich, der überall und nirgends ist, und
in dem bekanntlich die kleine» Kinder herumschwimmen. Dort ließ er sich nieder,
um sich ein Weilchen auszuruhen. Dabei verfiel er aber in ein tiefes Sinnen,
denn er memorirte seinen Vortrag für den Antimalthusianerverein. Das Thema
lautete: Goethe als Wickelkind, und der Storch hatte darüber ganz verblüffende,
noch nie gehörte Thatsachen mitzuteilen. In dem alten Lotosblattmannskript,
dem Tagebuche eines seiner Vorfahren, hatte er nämlich zufällig folgende Notiz
entdeckt, die er auswendig gelernt hatte und sich auch jetzt wieder vorsagte:
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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