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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der rechtliche Schutz der Baukunst

Zum Teil treffen diese Umstände, die wohl geeignet sind, die Grenze zwischen
Bauwerken und Erzeugnissen der Plastik darzuthun, mehr oder weniger
dort wie hier zu. Denn bei jeder künstlerischen Thätigkeit, die Körper aus
nachgiebigen Massen gestaltet, kann der innere Wert oder der Preis der Her¬
stellung oder der zu ihr erforderliche Zeitraum die Aufwendung übersteigen,
die die Erfindung beansprucht; bei jeder solchen Arbeit hat der Künstler die
künftige Verwendung des Werkes, auch wenn es bloß auf das Empfinden und die
Vorstellung Eindruck machen soll, im Auge zu behalten und die Gesetze der
Statik müssen notwendig und ausnahmslos berücksichtigt werden; so sind Friese
und Karyatiden, bei deren Bildung dem Künstler nach Form und Inhalt
Schranken gezogen werden, Holzschnitzereien und Erzgüsse, die vielfach den ge¬
wöhnlichsten Gebrauchszwecken nachgehen und fabrikmäßig verfertigt werden,
Gemmen und Kameen, die des Stoffes und der Ausarbeitung halber ihre
Würdigung erfahren, nach bestehenden Rechte geschützt oder doch (als gewerb¬
liche Muster) des Schutzes fähig, und selbst die eigentlichen Skulpturen sind
in nicht geringer Anzahl in dem erwähnten Sinne öffentlich und würden in
diesen und andern Fällen kaum gelingen, wenn dem Künstler Ort und Art
der Aufstellung nicht von Anfang ab vorgeschwebt Hütten. Andrerseits be¬
weisen gerade die erörterten Thatsachen, daß eine gleichmäßige gesetzgeberische
Behandlung aller bildenden Künste der Gerechtigkeit und Billigkeit entspräche.
Hinsichtlich eines Buches, einer Erfindung oder eiuer Bildsäule, die der all¬
gemeinen Kenntnis oder Anschauung preisgegeben wird, könnte vielleicht an¬
genommen werden, daß der Urheber mit der Veröffentlichung, zu der er sich
freiwillig entschließt, einen Verzicht auf die Befugnis der alleinigen Ausbeu¬
tung seines Werkes erkläre. Bei einer Baulichkeit, deren Außen- oder Stirn¬
seite ihrer Natur nach den fremden Blicken nicht verwehrt bleiben kann, fehlt
einem solchen Schluß die Folgerichtigkeit; eben in der Notwendigkeit der öffent¬
lichen Preisgebung liegt das Bedürfnis nach Schutz, und es verbietet daher
Z 6 des angeführten Gesetzes wenigstens in gewissem Umfange die Nachbildung
von (nicht der Baukunst zuzuzählenden) Werken der bildenden Kunst, die auf
und an Straßen oder öffentlichen Plätzen dauernd angebracht sind. Was aber
die angebliche Unselbständigkeit der Baukunst und ihre Abhängigkeit von dem
jedesmaligen Zweck der Gebäude eingeht, so hat eine Gesetzgebung, die ihre
Fürsorge auf Bilderbogen, Hintertreppenromane, Schnupftücher, Tanzmusik,
Tabakpfeifen und Tischreden erstreckt, sicherlich keine Ursache, aus einem solchen
Grunde die Architektur zu vernachlässigen oder sie auch nur deshalb aus den
bildenden Künsten auszuscheiden, weil diese ihrem Begriffe nach eine Idee aus¬
drücken oder die reine Erkenntnis fördern sollen. Wäre jedes Bauwerk das
einfache Ergebnis seiner Bestimmung, des Grundstücks, der Umgebung und der
bereitstehenden Mittel, so würde die Gewährung von Gesetzesschutz niemanden
beeinträchtigen; dagegen würde seine Entziehung eine Härte sein, wenn das


Der rechtliche Schutz der Baukunst

Zum Teil treffen diese Umstände, die wohl geeignet sind, die Grenze zwischen
Bauwerken und Erzeugnissen der Plastik darzuthun, mehr oder weniger
dort wie hier zu. Denn bei jeder künstlerischen Thätigkeit, die Körper aus
nachgiebigen Massen gestaltet, kann der innere Wert oder der Preis der Her¬
stellung oder der zu ihr erforderliche Zeitraum die Aufwendung übersteigen,
die die Erfindung beansprucht; bei jeder solchen Arbeit hat der Künstler die
künftige Verwendung des Werkes, auch wenn es bloß auf das Empfinden und die
Vorstellung Eindruck machen soll, im Auge zu behalten und die Gesetze der
Statik müssen notwendig und ausnahmslos berücksichtigt werden; so sind Friese
und Karyatiden, bei deren Bildung dem Künstler nach Form und Inhalt
Schranken gezogen werden, Holzschnitzereien und Erzgüsse, die vielfach den ge¬
wöhnlichsten Gebrauchszwecken nachgehen und fabrikmäßig verfertigt werden,
Gemmen und Kameen, die des Stoffes und der Ausarbeitung halber ihre
Würdigung erfahren, nach bestehenden Rechte geschützt oder doch (als gewerb¬
liche Muster) des Schutzes fähig, und selbst die eigentlichen Skulpturen sind
in nicht geringer Anzahl in dem erwähnten Sinne öffentlich und würden in
diesen und andern Fällen kaum gelingen, wenn dem Künstler Ort und Art
der Aufstellung nicht von Anfang ab vorgeschwebt Hütten. Andrerseits be¬
weisen gerade die erörterten Thatsachen, daß eine gleichmäßige gesetzgeberische
Behandlung aller bildenden Künste der Gerechtigkeit und Billigkeit entspräche.
Hinsichtlich eines Buches, einer Erfindung oder eiuer Bildsäule, die der all¬
gemeinen Kenntnis oder Anschauung preisgegeben wird, könnte vielleicht an¬
genommen werden, daß der Urheber mit der Veröffentlichung, zu der er sich
freiwillig entschließt, einen Verzicht auf die Befugnis der alleinigen Ausbeu¬
tung seines Werkes erkläre. Bei einer Baulichkeit, deren Außen- oder Stirn¬
seite ihrer Natur nach den fremden Blicken nicht verwehrt bleiben kann, fehlt
einem solchen Schluß die Folgerichtigkeit; eben in der Notwendigkeit der öffent¬
lichen Preisgebung liegt das Bedürfnis nach Schutz, und es verbietet daher
Z 6 des angeführten Gesetzes wenigstens in gewissem Umfange die Nachbildung
von (nicht der Baukunst zuzuzählenden) Werken der bildenden Kunst, die auf
und an Straßen oder öffentlichen Plätzen dauernd angebracht sind. Was aber
die angebliche Unselbständigkeit der Baukunst und ihre Abhängigkeit von dem
jedesmaligen Zweck der Gebäude eingeht, so hat eine Gesetzgebung, die ihre
Fürsorge auf Bilderbogen, Hintertreppenromane, Schnupftücher, Tanzmusik,
Tabakpfeifen und Tischreden erstreckt, sicherlich keine Ursache, aus einem solchen
Grunde die Architektur zu vernachlässigen oder sie auch nur deshalb aus den
bildenden Künsten auszuscheiden, weil diese ihrem Begriffe nach eine Idee aus¬
drücken oder die reine Erkenntnis fördern sollen. Wäre jedes Bauwerk das
einfache Ergebnis seiner Bestimmung, des Grundstücks, der Umgebung und der
bereitstehenden Mittel, so würde die Gewährung von Gesetzesschutz niemanden
beeinträchtigen; dagegen würde seine Entziehung eine Härte sein, wenn das


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[0040] Der rechtliche Schutz der Baukunst Zum Teil treffen diese Umstände, die wohl geeignet sind, die Grenze zwischen Bauwerken und Erzeugnissen der Plastik darzuthun, mehr oder weniger dort wie hier zu. Denn bei jeder künstlerischen Thätigkeit, die Körper aus nachgiebigen Massen gestaltet, kann der innere Wert oder der Preis der Her¬ stellung oder der zu ihr erforderliche Zeitraum die Aufwendung übersteigen, die die Erfindung beansprucht; bei jeder solchen Arbeit hat der Künstler die künftige Verwendung des Werkes, auch wenn es bloß auf das Empfinden und die Vorstellung Eindruck machen soll, im Auge zu behalten und die Gesetze der Statik müssen notwendig und ausnahmslos berücksichtigt werden; so sind Friese und Karyatiden, bei deren Bildung dem Künstler nach Form und Inhalt Schranken gezogen werden, Holzschnitzereien und Erzgüsse, die vielfach den ge¬ wöhnlichsten Gebrauchszwecken nachgehen und fabrikmäßig verfertigt werden, Gemmen und Kameen, die des Stoffes und der Ausarbeitung halber ihre Würdigung erfahren, nach bestehenden Rechte geschützt oder doch (als gewerb¬ liche Muster) des Schutzes fähig, und selbst die eigentlichen Skulpturen sind in nicht geringer Anzahl in dem erwähnten Sinne öffentlich und würden in diesen und andern Fällen kaum gelingen, wenn dem Künstler Ort und Art der Aufstellung nicht von Anfang ab vorgeschwebt Hütten. Andrerseits be¬ weisen gerade die erörterten Thatsachen, daß eine gleichmäßige gesetzgeberische Behandlung aller bildenden Künste der Gerechtigkeit und Billigkeit entspräche. Hinsichtlich eines Buches, einer Erfindung oder eiuer Bildsäule, die der all¬ gemeinen Kenntnis oder Anschauung preisgegeben wird, könnte vielleicht an¬ genommen werden, daß der Urheber mit der Veröffentlichung, zu der er sich freiwillig entschließt, einen Verzicht auf die Befugnis der alleinigen Ausbeu¬ tung seines Werkes erkläre. Bei einer Baulichkeit, deren Außen- oder Stirn¬ seite ihrer Natur nach den fremden Blicken nicht verwehrt bleiben kann, fehlt einem solchen Schluß die Folgerichtigkeit; eben in der Notwendigkeit der öffent¬ lichen Preisgebung liegt das Bedürfnis nach Schutz, und es verbietet daher Z 6 des angeführten Gesetzes wenigstens in gewissem Umfange die Nachbildung von (nicht der Baukunst zuzuzählenden) Werken der bildenden Kunst, die auf und an Straßen oder öffentlichen Plätzen dauernd angebracht sind. Was aber die angebliche Unselbständigkeit der Baukunst und ihre Abhängigkeit von dem jedesmaligen Zweck der Gebäude eingeht, so hat eine Gesetzgebung, die ihre Fürsorge auf Bilderbogen, Hintertreppenromane, Schnupftücher, Tanzmusik, Tabakpfeifen und Tischreden erstreckt, sicherlich keine Ursache, aus einem solchen Grunde die Architektur zu vernachlässigen oder sie auch nur deshalb aus den bildenden Künsten auszuscheiden, weil diese ihrem Begriffe nach eine Idee aus¬ drücken oder die reine Erkenntnis fördern sollen. Wäre jedes Bauwerk das einfache Ergebnis seiner Bestimmung, des Grundstücks, der Umgebung und der bereitstehenden Mittel, so würde die Gewährung von Gesetzesschutz niemanden beeinträchtigen; dagegen würde seine Entziehung eine Härte sein, wenn das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/40>, abgerufen am 24.08.2024.