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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der rechtliche Schutz der Baukunst

nach bei den Unternehmern über billige Anforderungen des geistigen Urhebers
vini Bauwerken herrscht, die Möglichkeit ausschließlicher wirtschaftlicher Aus¬
beutung des Erzeugnisses anheimgiebt. Wäre es sicher, daß die dabei voraus¬
gesetzte Empfindung allgemein verbreitet oder auch nur den meisten bemerkbar
wäre, so konnten viele Gesetze aufgehoben werden; insbesondre würde es über¬
flüssig sem, Erzeugnisse der bildenden Künste zu schützen, die, wie Tafelaufsätze
in Edelmetall oder in Elfenbein oder selbst Marmor, also in einem Stoss her¬
gestellt sind, der den Kosten gegenüber nicht lediglich als Träger der geistigen
Form in Betracht kommt.

Aber auch eine Durchsicht der wissenschaftlichen Erörterungen des Gegen¬
standes und des einschlagenden Gesetzes sührt zu keinem bessern Ergebnis.
Mantry, Klostermann, Wächter, Kohler, Scheele, Katz -- alle begnügen sich,
wenn sie nicht das Gesetz geradezu tadeln, mit einer Umschreibung der Gebiete,
die der Bildhauerei und der Baukunst angehören; nicht ein einziger verflicht
den Nachweis, daß jener 8 3 in den Uuterschcidungsmerünalcn beider eine Stütze
finde. In Wirklichkeit ist selbst die Begriffsbestimmung eines Bauwerks nur
eine erdachte und hält oft vor der Erfahrung nicht Stand, fondern läßt Zweifel,
ob nicht gewisse plastische Werke der Baukunst zuzurechnen seien.

Allerdings ist es richtig, daß die Bildhauerei die Begriffe von Dingen,
wie sie in der Natur vorkommen können, vorführt, die Baukunst dagegen die
Begriffe von Dingen, die ausschließlich durch Kunst möglich siud und einer
willkürlichen Aufgabe dienen sollen, zur Erfüllung dieses Zweckes darstellt
(Kant), und es mag die Bildnerei deshalb im Gegensatz zur Baukunst die
Kunst der individuellen, die Baukunst, weil sie die natürlichen Erscheinungen
nur verwendet, so weit sie nicht auf freier Erfindung beruht, die Kunst der
allgemeinen Form genannt werden (Schlegel). Aber ganz abgesehen davon,
daß es im einzelnen Falle äußerst fraglich sein kann und nur vom technisch-
ästhetischen Standpunkt zu entscheiden ist, ob ein Werk wie ein Ehrenbogen, ein
Obelisk der Baukunst angehört (Bischer), bietet diese Verschiedenheit doch gewiß
nicht den geringsten Anlaß, den Erzeugnissen der Bankunst, denen sonach in
höherm Grade die persönliche Art des Schöpfers innewohnen müßte, die Vor¬
teile, die andern plastischen Gebilden geboten werden, zu verweigern. Ebenso¬
wenig ist eine Ausnahmestellung der Baukunst damit zu rechtfertigen, daß man
sagt, bei den Bauwerken überwiege die materielle Produktion und die mecha¬
nische Ausführung bedeutend die geistige Konzeption (Klostermann); die Bau¬
kunst sei insofern unselbständig, als sie sich nach den Verhältnissen des Grund¬
stücks und der Umgebung zu richten, die jedesmal vorgeschriebnen, innern
Räume zu umschließen habe (Mantry), und in der Ausführung von den im
Gesetz der Schwere gegebnen struktiven Bedingungen abhängig sei (Scheele);
endlich: die Bauwerke seien schon ihrer Natur nach öffentlich und für die
Öffentlichkeit bestimmt (Grundsatz des dänischen Gesetzes vom 31. März 1864).


Der rechtliche Schutz der Baukunst

nach bei den Unternehmern über billige Anforderungen des geistigen Urhebers
vini Bauwerken herrscht, die Möglichkeit ausschließlicher wirtschaftlicher Aus¬
beutung des Erzeugnisses anheimgiebt. Wäre es sicher, daß die dabei voraus¬
gesetzte Empfindung allgemein verbreitet oder auch nur den meisten bemerkbar
wäre, so konnten viele Gesetze aufgehoben werden; insbesondre würde es über¬
flüssig sem, Erzeugnisse der bildenden Künste zu schützen, die, wie Tafelaufsätze
in Edelmetall oder in Elfenbein oder selbst Marmor, also in einem Stoss her¬
gestellt sind, der den Kosten gegenüber nicht lediglich als Träger der geistigen
Form in Betracht kommt.

Aber auch eine Durchsicht der wissenschaftlichen Erörterungen des Gegen¬
standes und des einschlagenden Gesetzes sührt zu keinem bessern Ergebnis.
Mantry, Klostermann, Wächter, Kohler, Scheele, Katz — alle begnügen sich,
wenn sie nicht das Gesetz geradezu tadeln, mit einer Umschreibung der Gebiete,
die der Bildhauerei und der Baukunst angehören; nicht ein einziger verflicht
den Nachweis, daß jener 8 3 in den Uuterschcidungsmerünalcn beider eine Stütze
finde. In Wirklichkeit ist selbst die Begriffsbestimmung eines Bauwerks nur
eine erdachte und hält oft vor der Erfahrung nicht Stand, fondern läßt Zweifel,
ob nicht gewisse plastische Werke der Baukunst zuzurechnen seien.

Allerdings ist es richtig, daß die Bildhauerei die Begriffe von Dingen,
wie sie in der Natur vorkommen können, vorführt, die Baukunst dagegen die
Begriffe von Dingen, die ausschließlich durch Kunst möglich siud und einer
willkürlichen Aufgabe dienen sollen, zur Erfüllung dieses Zweckes darstellt
(Kant), und es mag die Bildnerei deshalb im Gegensatz zur Baukunst die
Kunst der individuellen, die Baukunst, weil sie die natürlichen Erscheinungen
nur verwendet, so weit sie nicht auf freier Erfindung beruht, die Kunst der
allgemeinen Form genannt werden (Schlegel). Aber ganz abgesehen davon,
daß es im einzelnen Falle äußerst fraglich sein kann und nur vom technisch-
ästhetischen Standpunkt zu entscheiden ist, ob ein Werk wie ein Ehrenbogen, ein
Obelisk der Baukunst angehört (Bischer), bietet diese Verschiedenheit doch gewiß
nicht den geringsten Anlaß, den Erzeugnissen der Bankunst, denen sonach in
höherm Grade die persönliche Art des Schöpfers innewohnen müßte, die Vor¬
teile, die andern plastischen Gebilden geboten werden, zu verweigern. Ebenso¬
wenig ist eine Ausnahmestellung der Baukunst damit zu rechtfertigen, daß man
sagt, bei den Bauwerken überwiege die materielle Produktion und die mecha¬
nische Ausführung bedeutend die geistige Konzeption (Klostermann); die Bau¬
kunst sei insofern unselbständig, als sie sich nach den Verhältnissen des Grund¬
stücks und der Umgebung zu richten, die jedesmal vorgeschriebnen, innern
Räume zu umschließen habe (Mantry), und in der Ausführung von den im
Gesetz der Schwere gegebnen struktiven Bedingungen abhängig sei (Scheele);
endlich: die Bauwerke seien schon ihrer Natur nach öffentlich und für die
Öffentlichkeit bestimmt (Grundsatz des dänischen Gesetzes vom 31. März 1864).


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[0039] Der rechtliche Schutz der Baukunst nach bei den Unternehmern über billige Anforderungen des geistigen Urhebers vini Bauwerken herrscht, die Möglichkeit ausschließlicher wirtschaftlicher Aus¬ beutung des Erzeugnisses anheimgiebt. Wäre es sicher, daß die dabei voraus¬ gesetzte Empfindung allgemein verbreitet oder auch nur den meisten bemerkbar wäre, so konnten viele Gesetze aufgehoben werden; insbesondre würde es über¬ flüssig sem, Erzeugnisse der bildenden Künste zu schützen, die, wie Tafelaufsätze in Edelmetall oder in Elfenbein oder selbst Marmor, also in einem Stoss her¬ gestellt sind, der den Kosten gegenüber nicht lediglich als Träger der geistigen Form in Betracht kommt. Aber auch eine Durchsicht der wissenschaftlichen Erörterungen des Gegen¬ standes und des einschlagenden Gesetzes sührt zu keinem bessern Ergebnis. Mantry, Klostermann, Wächter, Kohler, Scheele, Katz — alle begnügen sich, wenn sie nicht das Gesetz geradezu tadeln, mit einer Umschreibung der Gebiete, die der Bildhauerei und der Baukunst angehören; nicht ein einziger verflicht den Nachweis, daß jener 8 3 in den Uuterschcidungsmerünalcn beider eine Stütze finde. In Wirklichkeit ist selbst die Begriffsbestimmung eines Bauwerks nur eine erdachte und hält oft vor der Erfahrung nicht Stand, fondern läßt Zweifel, ob nicht gewisse plastische Werke der Baukunst zuzurechnen seien. Allerdings ist es richtig, daß die Bildhauerei die Begriffe von Dingen, wie sie in der Natur vorkommen können, vorführt, die Baukunst dagegen die Begriffe von Dingen, die ausschließlich durch Kunst möglich siud und einer willkürlichen Aufgabe dienen sollen, zur Erfüllung dieses Zweckes darstellt (Kant), und es mag die Bildnerei deshalb im Gegensatz zur Baukunst die Kunst der individuellen, die Baukunst, weil sie die natürlichen Erscheinungen nur verwendet, so weit sie nicht auf freier Erfindung beruht, die Kunst der allgemeinen Form genannt werden (Schlegel). Aber ganz abgesehen davon, daß es im einzelnen Falle äußerst fraglich sein kann und nur vom technisch- ästhetischen Standpunkt zu entscheiden ist, ob ein Werk wie ein Ehrenbogen, ein Obelisk der Baukunst angehört (Bischer), bietet diese Verschiedenheit doch gewiß nicht den geringsten Anlaß, den Erzeugnissen der Bankunst, denen sonach in höherm Grade die persönliche Art des Schöpfers innewohnen müßte, die Vor¬ teile, die andern plastischen Gebilden geboten werden, zu verweigern. Ebenso¬ wenig ist eine Ausnahmestellung der Baukunst damit zu rechtfertigen, daß man sagt, bei den Bauwerken überwiege die materielle Produktion und die mecha¬ nische Ausführung bedeutend die geistige Konzeption (Klostermann); die Bau¬ kunst sei insofern unselbständig, als sie sich nach den Verhältnissen des Grund¬ stücks und der Umgebung zu richten, die jedesmal vorgeschriebnen, innern Räume zu umschließen habe (Mantry), und in der Ausführung von den im Gesetz der Schwere gegebnen struktiven Bedingungen abhängig sei (Scheele); endlich: die Bauwerke seien schon ihrer Natur nach öffentlich und für die Öffentlichkeit bestimmt (Grundsatz des dänischen Gesetzes vom 31. März 1864).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/39>, abgerufen am 22.07.2024.