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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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so ist der Gesamtausdruck des Gedichts. Das "Arminslied" Karl Prescrs
erscheint hundertundfunfzig Jahre nach des Freiherrn von Schönaich von
Gottsched gepriesenen Hermannsliede, aber obwohl es in stolzen Nibelungen¬
versen daherrauscht, von denen der Lausitzer Baron keine Ahnung hatte, kann
es an innerer Nüchternheit, die alles Pathos der Rede nur schlecht versteckt,
an Armut der Erfindung und Äußerlichkeit der Charakteristik mit dem viel¬
berufnen Hermannsepos des vorigen Jahrhunderts wetteifern. Alles ist steif,
stelzfüßig, ohne lebendige Kraft, zahlreiche Verse könnte Biedermaier als Muster¬
leistungen hinterlassen haben. Der Zwist der Herren

Dennoch -- so große Abstände sind selbst auf dem Felde des Dilettantismus
möglich -- erhebt sich die nüchterne, aber wenigstens in sich geschlossene Presersche
Dichtung über das buntscheckige Epos "Wittekind," das die Kämpfe Karls des
Großen mit den heidnischen Sachsen bis zu dem erschütternden Augenblick dar¬
stellt, wo Wittekind zu Karl kommt:

Das langatmige Gedicht ist voller Banalitäten. Da der Verfasser im Vor¬
wort "jeden Tadel ablehnt, bis man ihn begründet," so müßten wir zum
Beweis zwei Drittel seiner Verse abdrucken, was wieder unbillig gegen unsre
Leser wäre. "Deutschlands Dreigestirn" endlich nennt sich mit demselben Recht
ein episches Gedicht, wie sich nur eine an der Stange emporsteigende Ranke
einen Baum nennen könnte. Das Ganze stellt sich als ein zu lang geratner
Prolog zu irgend einem patriotischen Feste dar, bei dem Stimmung sür ein
gemeinsames Denkmal Kaiser Wilhelms, Moltkes und Bismarcks gemacht werden
soll, der Inhalt ist der einiger schwungvollen Leitartikel, die metrisch in fünf¬
füßige Jamben eingeteilt sind. Daß dergleichen als Poesie und obendrein als
epische Poesie dargeboten wird, gehört auch zur Signatur der neuesten Litteratur-
Periode.

Leider kann man nicht sagen, daß in der Gruppe erzählender Dichtungen,
die mehr Talent, weniger Abhängigkeit von der herkömmlichen religiös oder
patriotisch approbirten Stoffwelt und dem damit zusammenhängenden Hort von
Bildern und Phrasen zeigen, der Eindruck wesentlich erfreulicher wäre. Bei


Neue deutsche Lpik

so ist der Gesamtausdruck des Gedichts. Das „Arminslied" Karl Prescrs
erscheint hundertundfunfzig Jahre nach des Freiherrn von Schönaich von
Gottsched gepriesenen Hermannsliede, aber obwohl es in stolzen Nibelungen¬
versen daherrauscht, von denen der Lausitzer Baron keine Ahnung hatte, kann
es an innerer Nüchternheit, die alles Pathos der Rede nur schlecht versteckt,
an Armut der Erfindung und Äußerlichkeit der Charakteristik mit dem viel¬
berufnen Hermannsepos des vorigen Jahrhunderts wetteifern. Alles ist steif,
stelzfüßig, ohne lebendige Kraft, zahlreiche Verse könnte Biedermaier als Muster¬
leistungen hinterlassen haben. Der Zwist der Herren

Dennoch — so große Abstände sind selbst auf dem Felde des Dilettantismus
möglich — erhebt sich die nüchterne, aber wenigstens in sich geschlossene Presersche
Dichtung über das buntscheckige Epos „Wittekind," das die Kämpfe Karls des
Großen mit den heidnischen Sachsen bis zu dem erschütternden Augenblick dar¬
stellt, wo Wittekind zu Karl kommt:

Das langatmige Gedicht ist voller Banalitäten. Da der Verfasser im Vor¬
wort „jeden Tadel ablehnt, bis man ihn begründet," so müßten wir zum
Beweis zwei Drittel seiner Verse abdrucken, was wieder unbillig gegen unsre
Leser wäre. „Deutschlands Dreigestirn" endlich nennt sich mit demselben Recht
ein episches Gedicht, wie sich nur eine an der Stange emporsteigende Ranke
einen Baum nennen könnte. Das Ganze stellt sich als ein zu lang geratner
Prolog zu irgend einem patriotischen Feste dar, bei dem Stimmung sür ein
gemeinsames Denkmal Kaiser Wilhelms, Moltkes und Bismarcks gemacht werden
soll, der Inhalt ist der einiger schwungvollen Leitartikel, die metrisch in fünf¬
füßige Jamben eingeteilt sind. Daß dergleichen als Poesie und obendrein als
epische Poesie dargeboten wird, gehört auch zur Signatur der neuesten Litteratur-
Periode.

Leider kann man nicht sagen, daß in der Gruppe erzählender Dichtungen,
die mehr Talent, weniger Abhängigkeit von der herkömmlichen religiös oder
patriotisch approbirten Stoffwelt und dem damit zusammenhängenden Hort von
Bildern und Phrasen zeigen, der Eindruck wesentlich erfreulicher wäre. Bei


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[0376] Neue deutsche Lpik so ist der Gesamtausdruck des Gedichts. Das „Arminslied" Karl Prescrs erscheint hundertundfunfzig Jahre nach des Freiherrn von Schönaich von Gottsched gepriesenen Hermannsliede, aber obwohl es in stolzen Nibelungen¬ versen daherrauscht, von denen der Lausitzer Baron keine Ahnung hatte, kann es an innerer Nüchternheit, die alles Pathos der Rede nur schlecht versteckt, an Armut der Erfindung und Äußerlichkeit der Charakteristik mit dem viel¬ berufnen Hermannsepos des vorigen Jahrhunderts wetteifern. Alles ist steif, stelzfüßig, ohne lebendige Kraft, zahlreiche Verse könnte Biedermaier als Muster¬ leistungen hinterlassen haben. Der Zwist der Herren Dennoch — so große Abstände sind selbst auf dem Felde des Dilettantismus möglich — erhebt sich die nüchterne, aber wenigstens in sich geschlossene Presersche Dichtung über das buntscheckige Epos „Wittekind," das die Kämpfe Karls des Großen mit den heidnischen Sachsen bis zu dem erschütternden Augenblick dar¬ stellt, wo Wittekind zu Karl kommt: Das langatmige Gedicht ist voller Banalitäten. Da der Verfasser im Vor¬ wort „jeden Tadel ablehnt, bis man ihn begründet," so müßten wir zum Beweis zwei Drittel seiner Verse abdrucken, was wieder unbillig gegen unsre Leser wäre. „Deutschlands Dreigestirn" endlich nennt sich mit demselben Recht ein episches Gedicht, wie sich nur eine an der Stange emporsteigende Ranke einen Baum nennen könnte. Das Ganze stellt sich als ein zu lang geratner Prolog zu irgend einem patriotischen Feste dar, bei dem Stimmung sür ein gemeinsames Denkmal Kaiser Wilhelms, Moltkes und Bismarcks gemacht werden soll, der Inhalt ist der einiger schwungvollen Leitartikel, die metrisch in fünf¬ füßige Jamben eingeteilt sind. Daß dergleichen als Poesie und obendrein als epische Poesie dargeboten wird, gehört auch zur Signatur der neuesten Litteratur- Periode. Leider kann man nicht sagen, daß in der Gruppe erzählender Dichtungen, die mehr Talent, weniger Abhängigkeit von der herkömmlichen religiös oder patriotisch approbirten Stoffwelt und dem damit zusammenhängenden Hort von Bildern und Phrasen zeigen, der Eindruck wesentlich erfreulicher wäre. Bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/376>, abgerufen am 26.06.2024.