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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lenau und Sophie Schwab

tigendes und ruheloses für ihn. Als er mich heute an sein Fenster führte, das
eine sehr hübsche Aussicht auf grüne Bergeshöhn eröffnete, machte ich ihm die
schalkhafte Bemerkung: "Gelt, Alter, Jesus Christus gewährt uus eine schone
Aussicht," worauf er allerdings mit Würde erwiderte: "Wenn es nur diese Aus¬
sicht wäre, die er mir giebt, so wäre ich nicht da." Das war gut, aber mein
Sarkasmus ebenfalls.

Als Lenau in den stürmischen Oktobertagen des "vierschrötiger" Jahres
1844 in Wahnsinn verfiel, waren Schwab und feine Frau in tiefster Seele
erschüttert. Mit hangenden Herzen, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend,
sahen sie die allmähliche Zerstörung dieses edeln Geistes. Ihre innigste"
Wünsche begleiteten Lenau auf seinem Schmerzenswege nach Winnenthal. wohin
er am 22. Oktober 1844 gebracht wurde. Aber ihr Gebet um Genesung
fand keine Erhörung; von ihren Besuchen in der Anstalt nahmen sie nur trost¬
losen Zweifel mit.

Emma Niendorf berichtet über einen Besuch Schwabs in Winnenthal in
ihrem schon genannten Buche. Im März 1847 pilgerten sie zum letztenmal
dahin, wo der geliebte Freund sein trauriges Scheinleben führte. Sie konnten
aber nicht vorgelassen werden. Das bleiche Dulderhaupt, umwoben von der
"sinnenden Melancholie," im Garten vom Fenster aus zu sehen, war alles,
was ihnen ermöglicht wurde. Am 16. Mai 1847 wurde Lenau nach Ober-
döbling bei Wien in die Privatirrenanstalt seines Freundes Dr. Görger ge¬
bracht. Dort besuchte ihn der älteste Sohn Schwabs und schrieb darüber nach
Stuttgart einen ergreifenden Bericht, der mit den trostlosen Worten schließt:
"Ich für meine Person habe keinen Funken von Hoffnung für den armen
Niembsch. Ihr mögt selbst urteilen, wie herb mir dieses Resultat und über¬
haupt der ganze traurige Besuch gewesen. Gott gebe ihm bald Ruhe von
seinen Leiden."

Am 22. August 1850 wurde Lenau von seinen Leiden erlöst. Wenige
Wochen nach seinem Tode starb auch Gustav Schwab (am 4. November 1850).
Sophie überlebte ihren Mann fast um fünfzehn Jahre; sie verschied am 20. August
1865. Das Andenken aber an den Freundschaftsbund zwischen diesen edeln
Menschen lebt als ein heiliges Vermächtnis bei den Nachkommen Schwabs fort.




Lenau und Sophie Schwab

tigendes und ruheloses für ihn. Als er mich heute an sein Fenster führte, das
eine sehr hübsche Aussicht auf grüne Bergeshöhn eröffnete, machte ich ihm die
schalkhafte Bemerkung: „Gelt, Alter, Jesus Christus gewährt uus eine schone
Aussicht," worauf er allerdings mit Würde erwiderte: „Wenn es nur diese Aus¬
sicht wäre, die er mir giebt, so wäre ich nicht da." Das war gut, aber mein
Sarkasmus ebenfalls.

Als Lenau in den stürmischen Oktobertagen des „vierschrötiger" Jahres
1844 in Wahnsinn verfiel, waren Schwab und feine Frau in tiefster Seele
erschüttert. Mit hangenden Herzen, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend,
sahen sie die allmähliche Zerstörung dieses edeln Geistes. Ihre innigste»
Wünsche begleiteten Lenau auf seinem Schmerzenswege nach Winnenthal. wohin
er am 22. Oktober 1844 gebracht wurde. Aber ihr Gebet um Genesung
fand keine Erhörung; von ihren Besuchen in der Anstalt nahmen sie nur trost¬
losen Zweifel mit.

Emma Niendorf berichtet über einen Besuch Schwabs in Winnenthal in
ihrem schon genannten Buche. Im März 1847 pilgerten sie zum letztenmal
dahin, wo der geliebte Freund sein trauriges Scheinleben führte. Sie konnten
aber nicht vorgelassen werden. Das bleiche Dulderhaupt, umwoben von der
„sinnenden Melancholie," im Garten vom Fenster aus zu sehen, war alles,
was ihnen ermöglicht wurde. Am 16. Mai 1847 wurde Lenau nach Ober-
döbling bei Wien in die Privatirrenanstalt seines Freundes Dr. Görger ge¬
bracht. Dort besuchte ihn der älteste Sohn Schwabs und schrieb darüber nach
Stuttgart einen ergreifenden Bericht, der mit den trostlosen Worten schließt:
„Ich für meine Person habe keinen Funken von Hoffnung für den armen
Niembsch. Ihr mögt selbst urteilen, wie herb mir dieses Resultat und über¬
haupt der ganze traurige Besuch gewesen. Gott gebe ihm bald Ruhe von
seinen Leiden."

Am 22. August 1850 wurde Lenau von seinen Leiden erlöst. Wenige
Wochen nach seinem Tode starb auch Gustav Schwab (am 4. November 1850).
Sophie überlebte ihren Mann fast um fünfzehn Jahre; sie verschied am 20. August
1865. Das Andenken aber an den Freundschaftsbund zwischen diesen edeln
Menschen lebt als ein heiliges Vermächtnis bei den Nachkommen Schwabs fort.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/336>, abgerufen am 03.07.2024.