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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lenau und Sophie Schwab

Die Reise nach Amerika und der Aufenthalt dort entsprachen Lenaus
hohen Erwartungen durchaus nicht. Er nannte die Amerikaner "himmelan
stinkende Krämerseelen," die Nachtigall habe Recht, daß sie bei diesen Wiesler
nicht einkehre; der Natur werde es hier nie so wohl ums Herz oder so weh,
daß sie singen müsse. Es sei etwas recht trauriges, diese ausgebrannten
Menschen zu sehen in ihren ausgebrannten Wäldern. Hier würden der Liebe
leise die Adern geöffnet, und sie verblute sich unbemerkt.

Lenau blieb denn auch nicht lange in Amerika. Im Frühling 1833 be¬
stieg er in Newyork das Schiff, das ihn nach Europa zurückbrachte. Auf
demselben Schiffe, das ihn heimwärts trug, reiste auch der aus Bremen stam¬
mende Kaufmann Heinrich von Post mit seinem zweijährigen Töchterchen
Henriette, die neunzehn Jahre später, 1852, die Frau von einem Sohne
Schwabs wurde. So hatte er willkommne Reisegesellschaft. Das Gedicht
"Seemorgen" ist auf dieser Reise entstanden:

So weit nach Land mein Auge schweift,
Seh ich die Flut sich dehnen,
Die uferlose; mich ergreift
Ein - ungeduldig Sehnen.
Daß ich so lang euch meiden muß,
Berg, Wiese, Laub und Blüte!
Da lächelt seinen Morgengruß
Ein Kind aus der Kajüte.
Wo fremd die Luft, das Himmelslicht
Im kalten Wogenlärme,
Wie wohl thut Monschenangesicht
Mit seiner stillen Wärme.

Ende Juni 1833 betrat Lenau bei Bremen wieder den deutschen Boden.
Er ging zunächst wieder zu den schwäbischen Freunden. Bei Justinus Kerner
trat er mit den Worten ins Zimmer: "Alter, da bin ich halt wieder; aber
das sind keine vereinten, das sind verschweinte Staaten."

Kurz vor seiner Rückkehr schrieb Sophie Schwab an Lucie Meier
<24. April 1833):

Von Niembsch haben Neinbecks kürzlich einen Brief aus Lißbonn hinter Pitts-
burg erhalten, worin er seine bevorstehende Abreise von Amerika meldet; es ist
ein wunderschöner Brief und ganz außerordentlich schone Gedichte dabei -- er meint
sehr umgeändert zu kommen; uns aber scheint er ganz der Alte zu sein. Alles,
was wir ihm in Amerika prophezeit hatten, scheint eingetroffen zu sein, er schreibt,
jetzt wisse er erst, warum der Täufer Johannes in die Wüste habe gehen müssen ^
so betrachtet er die Reise uach Amerika für sich. Über seine Gedichte sagt er. er
habe hier in Amerika gar kein Urteil darüber, ob etwas daran sei oder nicht;
denn man werde von der Prosa so mit Gewalt angesteckt, daß man auch alles
Urteil darüber verliere. Bis Mitte Mai glaubt er hier zu sein; er wird sich aber


Lenau und Sophie Schwab

Die Reise nach Amerika und der Aufenthalt dort entsprachen Lenaus
hohen Erwartungen durchaus nicht. Er nannte die Amerikaner „himmelan
stinkende Krämerseelen," die Nachtigall habe Recht, daß sie bei diesen Wiesler
nicht einkehre; der Natur werde es hier nie so wohl ums Herz oder so weh,
daß sie singen müsse. Es sei etwas recht trauriges, diese ausgebrannten
Menschen zu sehen in ihren ausgebrannten Wäldern. Hier würden der Liebe
leise die Adern geöffnet, und sie verblute sich unbemerkt.

Lenau blieb denn auch nicht lange in Amerika. Im Frühling 1833 be¬
stieg er in Newyork das Schiff, das ihn nach Europa zurückbrachte. Auf
demselben Schiffe, das ihn heimwärts trug, reiste auch der aus Bremen stam¬
mende Kaufmann Heinrich von Post mit seinem zweijährigen Töchterchen
Henriette, die neunzehn Jahre später, 1852, die Frau von einem Sohne
Schwabs wurde. So hatte er willkommne Reisegesellschaft. Das Gedicht
„Seemorgen" ist auf dieser Reise entstanden:

So weit nach Land mein Auge schweift,
Seh ich die Flut sich dehnen,
Die uferlose; mich ergreift
Ein - ungeduldig Sehnen.
Daß ich so lang euch meiden muß,
Berg, Wiese, Laub und Blüte!
Da lächelt seinen Morgengruß
Ein Kind aus der Kajüte.
Wo fremd die Luft, das Himmelslicht
Im kalten Wogenlärme,
Wie wohl thut Monschenangesicht
Mit seiner stillen Wärme.

Ende Juni 1833 betrat Lenau bei Bremen wieder den deutschen Boden.
Er ging zunächst wieder zu den schwäbischen Freunden. Bei Justinus Kerner
trat er mit den Worten ins Zimmer: „Alter, da bin ich halt wieder; aber
das sind keine vereinten, das sind verschweinte Staaten."

Kurz vor seiner Rückkehr schrieb Sophie Schwab an Lucie Meier
<24. April 1833):

Von Niembsch haben Neinbecks kürzlich einen Brief aus Lißbonn hinter Pitts-
burg erhalten, worin er seine bevorstehende Abreise von Amerika meldet; es ist
ein wunderschöner Brief und ganz außerordentlich schone Gedichte dabei — er meint
sehr umgeändert zu kommen; uns aber scheint er ganz der Alte zu sein. Alles,
was wir ihm in Amerika prophezeit hatten, scheint eingetroffen zu sein, er schreibt,
jetzt wisse er erst, warum der Täufer Johannes in die Wüste habe gehen müssen ^
so betrachtet er die Reise uach Amerika für sich. Über seine Gedichte sagt er. er
habe hier in Amerika gar kein Urteil darüber, ob etwas daran sei oder nicht;
denn man werde von der Prosa so mit Gewalt angesteckt, daß man auch alles
Urteil darüber verliere. Bis Mitte Mai glaubt er hier zu sein; er wird sich aber


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[0334] Lenau und Sophie Schwab Die Reise nach Amerika und der Aufenthalt dort entsprachen Lenaus hohen Erwartungen durchaus nicht. Er nannte die Amerikaner „himmelan stinkende Krämerseelen," die Nachtigall habe Recht, daß sie bei diesen Wiesler nicht einkehre; der Natur werde es hier nie so wohl ums Herz oder so weh, daß sie singen müsse. Es sei etwas recht trauriges, diese ausgebrannten Menschen zu sehen in ihren ausgebrannten Wäldern. Hier würden der Liebe leise die Adern geöffnet, und sie verblute sich unbemerkt. Lenau blieb denn auch nicht lange in Amerika. Im Frühling 1833 be¬ stieg er in Newyork das Schiff, das ihn nach Europa zurückbrachte. Auf demselben Schiffe, das ihn heimwärts trug, reiste auch der aus Bremen stam¬ mende Kaufmann Heinrich von Post mit seinem zweijährigen Töchterchen Henriette, die neunzehn Jahre später, 1852, die Frau von einem Sohne Schwabs wurde. So hatte er willkommne Reisegesellschaft. Das Gedicht „Seemorgen" ist auf dieser Reise entstanden: So weit nach Land mein Auge schweift, Seh ich die Flut sich dehnen, Die uferlose; mich ergreift Ein - ungeduldig Sehnen. Daß ich so lang euch meiden muß, Berg, Wiese, Laub und Blüte! Da lächelt seinen Morgengruß Ein Kind aus der Kajüte. Wo fremd die Luft, das Himmelslicht Im kalten Wogenlärme, Wie wohl thut Monschenangesicht Mit seiner stillen Wärme. Ende Juni 1833 betrat Lenau bei Bremen wieder den deutschen Boden. Er ging zunächst wieder zu den schwäbischen Freunden. Bei Justinus Kerner trat er mit den Worten ins Zimmer: „Alter, da bin ich halt wieder; aber das sind keine vereinten, das sind verschweinte Staaten." Kurz vor seiner Rückkehr schrieb Sophie Schwab an Lucie Meier <24. April 1833): Von Niembsch haben Neinbecks kürzlich einen Brief aus Lißbonn hinter Pitts- burg erhalten, worin er seine bevorstehende Abreise von Amerika meldet; es ist ein wunderschöner Brief und ganz außerordentlich schone Gedichte dabei — er meint sehr umgeändert zu kommen; uns aber scheint er ganz der Alte zu sein. Alles, was wir ihm in Amerika prophezeit hatten, scheint eingetroffen zu sein, er schreibt, jetzt wisse er erst, warum der Täufer Johannes in die Wüste habe gehen müssen ^ so betrachtet er die Reise uach Amerika für sich. Über seine Gedichte sagt er. er habe hier in Amerika gar kein Urteil darüber, ob etwas daran sei oder nicht; denn man werde von der Prosa so mit Gewalt angesteckt, daß man auch alles Urteil darüber verliere. Bis Mitte Mai glaubt er hier zu sein; er wird sich aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/334>, abgerufen am 22.07.2024.