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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die arischen Religionen und das Christentum

Alten noch dem Knaben. Bringe Heil dem Menschen und dem Vieh." Bei
der Hochzeit opferte man dem Agni und betete für die Braut: "Möge Agni
sie schützen! Möge er ihre Nachkommen zu hohem Alter führen; gesegneten
Schoßes sei sie, lebender Kinder Mutter, Freude ihrer Söhne möge sie schauen."
Nach der Geburt eines Kindes lautet die Bitte: "Wie ein Vater den Sohn,
so bewache dies Kind." Der von der Reise heimkommende Hausherr begrüßte
sein Herdfeuer mit den Worten: "Dieser Agni ist uns gesegnet, dieser ist uns
hochgesegnet. In seiner Verehrung mögen wir nie zu Schanden werden. Er
lasse uns obenanstehen." Der nie verreisende, große Hausherr wird er ge¬
nannt; zu ihm "kehren heim die Milchkühe, kehren heim die schnellen Nenner,
heim die eignen kräftigen Rosse, bei ihm kommen zusammen die freigebigen
Hochgeborner."

Schon aus diesen wenigen Proben, deutlicher noch aus den vielen andern,
die man bei Otterberg findet, ist dreierlei zu erkennen. Erstens wie mit der
Religion zugleich die Naturwissenschaft entsteht. Das Nachdenken verfolgt die
Feuererscheinungen vom Entstehen bis zum Vergehen und sucht ihr Wesen zu
ergründen; wie falsch auch die ersten Deutungen und Schlüsse ausfallen mögen,
der Weg, der endlich zu den richtigen führen muß, ist betreten. Zweitens
aber sehen wir, wie die Priester darauf bedacht waren, die gewonnene Er¬
kenntnis in einer den Laien schwer verständlichen oder unverständlichen Form
auszusprechen. Von ihrer Geheimniskrämerei weiß Otterberg viel zu melden.
So versperrten sie den Weg zur Erkenntnis wieder, nachdem sie ihn kaum er¬
öffnet hatten, und derlei Standesinterefsen haben den Fortschritt der Natur¬
wissenschaften so lange verzögert, bis der Strom des Wissens zu breit ge¬
worden war, als daß er noch ferner hätte als Privilegium einer Kaste ein¬
gesperrt werden können. Drittens bemerken wir, wie sich die Naturgottheit
vermenschlicht und damit ethisirt: wird doch Agni als gütiger und weisheits¬
voller Herr verehrt. Aber ganz menschengestaltig konnte Agni nicht werden;
wie hätte man daran denken können, ihn als Menschen abzubilden, da man
ihn ja leibhaftig sah! Für sich allein führt also die Naturvergötterung nicht
zum Bilderdienst. Wie die Griechen dazu gekommen sind, diesen besonders
auszubilden, ist bekannt. Unwillkürlich erinnert man sich aber an die Dar¬
stellung der Entstehung des Götzendienstes im dreizehnten Kapitel des Buches
der Weisheit, wo der Verfasser die Anbetung der herrlichen Geschöpfe Gottes
statt des Schöpfers einigermaßen entschuldbar, deu Bilderdienst aber schlechthin
unentschuldbar findet. In der That ist er bei zivilisirten Völkern nicht mehr
so natürlich, wie es der Animismus und Fetischismus der Naturkinder ist.

Um nun uoch ein Wort über die vedische Religion im allgemeinen zu
sagen, wie sie, nicht wesentlich verschieden von ältern Darstellungen, bei Otter¬
berg erscheint, so gehörte sie, als Religion eines Zweiges der arischen Rasse,
zu den freundlichen Religionen. Es kommt darin nur ein böser Gott vor,


Die arischen Religionen und das Christentum

Alten noch dem Knaben. Bringe Heil dem Menschen und dem Vieh." Bei
der Hochzeit opferte man dem Agni und betete für die Braut: „Möge Agni
sie schützen! Möge er ihre Nachkommen zu hohem Alter führen; gesegneten
Schoßes sei sie, lebender Kinder Mutter, Freude ihrer Söhne möge sie schauen."
Nach der Geburt eines Kindes lautet die Bitte: „Wie ein Vater den Sohn,
so bewache dies Kind." Der von der Reise heimkommende Hausherr begrüßte
sein Herdfeuer mit den Worten: „Dieser Agni ist uns gesegnet, dieser ist uns
hochgesegnet. In seiner Verehrung mögen wir nie zu Schanden werden. Er
lasse uns obenanstehen." Der nie verreisende, große Hausherr wird er ge¬
nannt; zu ihm „kehren heim die Milchkühe, kehren heim die schnellen Nenner,
heim die eignen kräftigen Rosse, bei ihm kommen zusammen die freigebigen
Hochgeborner."

Schon aus diesen wenigen Proben, deutlicher noch aus den vielen andern,
die man bei Otterberg findet, ist dreierlei zu erkennen. Erstens wie mit der
Religion zugleich die Naturwissenschaft entsteht. Das Nachdenken verfolgt die
Feuererscheinungen vom Entstehen bis zum Vergehen und sucht ihr Wesen zu
ergründen; wie falsch auch die ersten Deutungen und Schlüsse ausfallen mögen,
der Weg, der endlich zu den richtigen führen muß, ist betreten. Zweitens
aber sehen wir, wie die Priester darauf bedacht waren, die gewonnene Er¬
kenntnis in einer den Laien schwer verständlichen oder unverständlichen Form
auszusprechen. Von ihrer Geheimniskrämerei weiß Otterberg viel zu melden.
So versperrten sie den Weg zur Erkenntnis wieder, nachdem sie ihn kaum er¬
öffnet hatten, und derlei Standesinterefsen haben den Fortschritt der Natur¬
wissenschaften so lange verzögert, bis der Strom des Wissens zu breit ge¬
worden war, als daß er noch ferner hätte als Privilegium einer Kaste ein¬
gesperrt werden können. Drittens bemerken wir, wie sich die Naturgottheit
vermenschlicht und damit ethisirt: wird doch Agni als gütiger und weisheits¬
voller Herr verehrt. Aber ganz menschengestaltig konnte Agni nicht werden;
wie hätte man daran denken können, ihn als Menschen abzubilden, da man
ihn ja leibhaftig sah! Für sich allein führt also die Naturvergötterung nicht
zum Bilderdienst. Wie die Griechen dazu gekommen sind, diesen besonders
auszubilden, ist bekannt. Unwillkürlich erinnert man sich aber an die Dar¬
stellung der Entstehung des Götzendienstes im dreizehnten Kapitel des Buches
der Weisheit, wo der Verfasser die Anbetung der herrlichen Geschöpfe Gottes
statt des Schöpfers einigermaßen entschuldbar, deu Bilderdienst aber schlechthin
unentschuldbar findet. In der That ist er bei zivilisirten Völkern nicht mehr
so natürlich, wie es der Animismus und Fetischismus der Naturkinder ist.

Um nun uoch ein Wort über die vedische Religion im allgemeinen zu
sagen, wie sie, nicht wesentlich verschieden von ältern Darstellungen, bei Otter¬
berg erscheint, so gehörte sie, als Religion eines Zweiges der arischen Rasse,
zu den freundlichen Religionen. Es kommt darin nur ein böser Gott vor,


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[0312] Die arischen Religionen und das Christentum Alten noch dem Knaben. Bringe Heil dem Menschen und dem Vieh." Bei der Hochzeit opferte man dem Agni und betete für die Braut: „Möge Agni sie schützen! Möge er ihre Nachkommen zu hohem Alter führen; gesegneten Schoßes sei sie, lebender Kinder Mutter, Freude ihrer Söhne möge sie schauen." Nach der Geburt eines Kindes lautet die Bitte: „Wie ein Vater den Sohn, so bewache dies Kind." Der von der Reise heimkommende Hausherr begrüßte sein Herdfeuer mit den Worten: „Dieser Agni ist uns gesegnet, dieser ist uns hochgesegnet. In seiner Verehrung mögen wir nie zu Schanden werden. Er lasse uns obenanstehen." Der nie verreisende, große Hausherr wird er ge¬ nannt; zu ihm „kehren heim die Milchkühe, kehren heim die schnellen Nenner, heim die eignen kräftigen Rosse, bei ihm kommen zusammen die freigebigen Hochgeborner." Schon aus diesen wenigen Proben, deutlicher noch aus den vielen andern, die man bei Otterberg findet, ist dreierlei zu erkennen. Erstens wie mit der Religion zugleich die Naturwissenschaft entsteht. Das Nachdenken verfolgt die Feuererscheinungen vom Entstehen bis zum Vergehen und sucht ihr Wesen zu ergründen; wie falsch auch die ersten Deutungen und Schlüsse ausfallen mögen, der Weg, der endlich zu den richtigen führen muß, ist betreten. Zweitens aber sehen wir, wie die Priester darauf bedacht waren, die gewonnene Er¬ kenntnis in einer den Laien schwer verständlichen oder unverständlichen Form auszusprechen. Von ihrer Geheimniskrämerei weiß Otterberg viel zu melden. So versperrten sie den Weg zur Erkenntnis wieder, nachdem sie ihn kaum er¬ öffnet hatten, und derlei Standesinterefsen haben den Fortschritt der Natur¬ wissenschaften so lange verzögert, bis der Strom des Wissens zu breit ge¬ worden war, als daß er noch ferner hätte als Privilegium einer Kaste ein¬ gesperrt werden können. Drittens bemerken wir, wie sich die Naturgottheit vermenschlicht und damit ethisirt: wird doch Agni als gütiger und weisheits¬ voller Herr verehrt. Aber ganz menschengestaltig konnte Agni nicht werden; wie hätte man daran denken können, ihn als Menschen abzubilden, da man ihn ja leibhaftig sah! Für sich allein führt also die Naturvergötterung nicht zum Bilderdienst. Wie die Griechen dazu gekommen sind, diesen besonders auszubilden, ist bekannt. Unwillkürlich erinnert man sich aber an die Dar¬ stellung der Entstehung des Götzendienstes im dreizehnten Kapitel des Buches der Weisheit, wo der Verfasser die Anbetung der herrlichen Geschöpfe Gottes statt des Schöpfers einigermaßen entschuldbar, deu Bilderdienst aber schlechthin unentschuldbar findet. In der That ist er bei zivilisirten Völkern nicht mehr so natürlich, wie es der Animismus und Fetischismus der Naturkinder ist. Um nun uoch ein Wort über die vedische Religion im allgemeinen zu sagen, wie sie, nicht wesentlich verschieden von ältern Darstellungen, bei Otter¬ berg erscheint, so gehörte sie, als Religion eines Zweiges der arischen Rasse, zu den freundlichen Religionen. Es kommt darin nur ein böser Gott vor,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/312>, abgerufen am 24.08.2024.