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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die arischen Religionen und das Christentum

bitten, ihnen nichts zu thun, wenn man sie nicht vom ersten Augenblick an,
wo sie laufen lernen, in der Kunst unterwiese, die von leblosen Dingen und
von Tieren drohenden Gefahren ohne Gebet zu meiden und sich die nützlichen
Dinge ohne deren Zustimmung nutzbar zu machen. Was unsre Kinder in ein
paar Jahren lernen, dazu haben die Völker Jahrtausende gebraucht. Man
kann sich leicht vorstellen, wie die scheinbare Erhörung eiuer solchen Bitte die
zufällige Form, in der sie ausgesprochen worden war, zur Zauberformel werden
ließ, und wie sich zu den Sprüchen nach und nach auch wirkungskräftige Ge¬
berden und Handlungen fügten. Wenn wir alle die Dinge, die von kindlichen
Menschen als gefürchtete oder als segenspendende Wesen angeredet werden,
Götter und dieses Gemisch von unrichtigen Vorstellungen und Zauberei Re¬
ligion nennen, so tragen wir unsre Anschauungen unberechtigterweise in die
Anschauungen des Kindheitsalters hinein. Von Religion und von Göttern
darf man eigentlich erst sprechen, wenn die vielen außer- und übermenschlichen
Mächte auf eine einzige alles beherrschende Weltmacht bezogen und mit ethischen:
Gehalt erfüllt werden, wenn der Aberglaube durch hinzutretende Metaphysik
und Ethik veredelt wird.

Auf der Kindheitsstufe, wo diese Veredlung anfängt, steht die Religion
der Veden,*) die Hermann Otterberg, dessen Werk über Buddha in
letzter Zeit vielfach erwähnt worden ist, in einem vor kurzem erschienenen
Buche sehr anschaulich und vollständig dargestellt hat. In den Gebeten, Liedern,
Zaubersprttchen, Erzählungen der ältesten heiligen Schriften der Inder er¬
scheinen noch alle Dinge, auch die zum Opfer erforderlichen Werkzeuge, beseelt;
die Götter sind zu einem Teile noch nichts andres als beseelt gedachte Be¬
standteile der Natur, so die Wassergöttinuen, die "heilsam zu trinken" sind,
teils sind sie schon Personen, denen die körperlichen Naturwesen nur noch so¬
zusagen als Gewand dienen, und bei einzelnen ganz vergeistigter Göttern ist
ihr Ursprung aus einer Naturerscheinung schon vergessen. Und da den Indern
der Drang zur Klarheit, die Selbstbeschränkung und die Hilfe der bildenden
Kunst gefehlt haben, denen die Griechen ihre deutlich uuterscheidbciren Götter-
gestalten verdankten, so fließt in den Veden alles traumartig in einander;
alles wandelt sich in alles; Indra und Agni thun dasselbe; die Kühe sind
bald wirkliche Kühe, bald Wolken, bald Göttinnen, und eine mehr kindische
als kindliche Phantasie bringt es fertig, das Weltall auf einem einbeinigen
Ziegenbock ruhen zu lassen.

Die vedische Religion ist so sehr noch einfacher Naturdienst, daß es falsch
ausgedrückt wäre, wenn wir den Agni die interessanteste Gestalt in dem in¬
dischen Pantheon nennen wollten, denn er hat eben keine Gestalt und wohnt
weder im Olymp noch in einem Tempel, sondern überall. Eben darauf beruht



*) Die Religion des Veda. Von Hermann Otterberg. Berlin, Wilhelm Hertz.
Die arischen Religionen und das Christentum

bitten, ihnen nichts zu thun, wenn man sie nicht vom ersten Augenblick an,
wo sie laufen lernen, in der Kunst unterwiese, die von leblosen Dingen und
von Tieren drohenden Gefahren ohne Gebet zu meiden und sich die nützlichen
Dinge ohne deren Zustimmung nutzbar zu machen. Was unsre Kinder in ein
paar Jahren lernen, dazu haben die Völker Jahrtausende gebraucht. Man
kann sich leicht vorstellen, wie die scheinbare Erhörung eiuer solchen Bitte die
zufällige Form, in der sie ausgesprochen worden war, zur Zauberformel werden
ließ, und wie sich zu den Sprüchen nach und nach auch wirkungskräftige Ge¬
berden und Handlungen fügten. Wenn wir alle die Dinge, die von kindlichen
Menschen als gefürchtete oder als segenspendende Wesen angeredet werden,
Götter und dieses Gemisch von unrichtigen Vorstellungen und Zauberei Re¬
ligion nennen, so tragen wir unsre Anschauungen unberechtigterweise in die
Anschauungen des Kindheitsalters hinein. Von Religion und von Göttern
darf man eigentlich erst sprechen, wenn die vielen außer- und übermenschlichen
Mächte auf eine einzige alles beherrschende Weltmacht bezogen und mit ethischen:
Gehalt erfüllt werden, wenn der Aberglaube durch hinzutretende Metaphysik
und Ethik veredelt wird.

Auf der Kindheitsstufe, wo diese Veredlung anfängt, steht die Religion
der Veden,*) die Hermann Otterberg, dessen Werk über Buddha in
letzter Zeit vielfach erwähnt worden ist, in einem vor kurzem erschienenen
Buche sehr anschaulich und vollständig dargestellt hat. In den Gebeten, Liedern,
Zaubersprttchen, Erzählungen der ältesten heiligen Schriften der Inder er¬
scheinen noch alle Dinge, auch die zum Opfer erforderlichen Werkzeuge, beseelt;
die Götter sind zu einem Teile noch nichts andres als beseelt gedachte Be¬
standteile der Natur, so die Wassergöttinuen, die „heilsam zu trinken" sind,
teils sind sie schon Personen, denen die körperlichen Naturwesen nur noch so¬
zusagen als Gewand dienen, und bei einzelnen ganz vergeistigter Göttern ist
ihr Ursprung aus einer Naturerscheinung schon vergessen. Und da den Indern
der Drang zur Klarheit, die Selbstbeschränkung und die Hilfe der bildenden
Kunst gefehlt haben, denen die Griechen ihre deutlich uuterscheidbciren Götter-
gestalten verdankten, so fließt in den Veden alles traumartig in einander;
alles wandelt sich in alles; Indra und Agni thun dasselbe; die Kühe sind
bald wirkliche Kühe, bald Wolken, bald Göttinnen, und eine mehr kindische
als kindliche Phantasie bringt es fertig, das Weltall auf einem einbeinigen
Ziegenbock ruhen zu lassen.

Die vedische Religion ist so sehr noch einfacher Naturdienst, daß es falsch
ausgedrückt wäre, wenn wir den Agni die interessanteste Gestalt in dem in¬
dischen Pantheon nennen wollten, denn er hat eben keine Gestalt und wohnt
weder im Olymp noch in einem Tempel, sondern überall. Eben darauf beruht



*) Die Religion des Veda. Von Hermann Otterberg. Berlin, Wilhelm Hertz.
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[0310] Die arischen Religionen und das Christentum bitten, ihnen nichts zu thun, wenn man sie nicht vom ersten Augenblick an, wo sie laufen lernen, in der Kunst unterwiese, die von leblosen Dingen und von Tieren drohenden Gefahren ohne Gebet zu meiden und sich die nützlichen Dinge ohne deren Zustimmung nutzbar zu machen. Was unsre Kinder in ein paar Jahren lernen, dazu haben die Völker Jahrtausende gebraucht. Man kann sich leicht vorstellen, wie die scheinbare Erhörung eiuer solchen Bitte die zufällige Form, in der sie ausgesprochen worden war, zur Zauberformel werden ließ, und wie sich zu den Sprüchen nach und nach auch wirkungskräftige Ge¬ berden und Handlungen fügten. Wenn wir alle die Dinge, die von kindlichen Menschen als gefürchtete oder als segenspendende Wesen angeredet werden, Götter und dieses Gemisch von unrichtigen Vorstellungen und Zauberei Re¬ ligion nennen, so tragen wir unsre Anschauungen unberechtigterweise in die Anschauungen des Kindheitsalters hinein. Von Religion und von Göttern darf man eigentlich erst sprechen, wenn die vielen außer- und übermenschlichen Mächte auf eine einzige alles beherrschende Weltmacht bezogen und mit ethischen: Gehalt erfüllt werden, wenn der Aberglaube durch hinzutretende Metaphysik und Ethik veredelt wird. Auf der Kindheitsstufe, wo diese Veredlung anfängt, steht die Religion der Veden,*) die Hermann Otterberg, dessen Werk über Buddha in letzter Zeit vielfach erwähnt worden ist, in einem vor kurzem erschienenen Buche sehr anschaulich und vollständig dargestellt hat. In den Gebeten, Liedern, Zaubersprttchen, Erzählungen der ältesten heiligen Schriften der Inder er¬ scheinen noch alle Dinge, auch die zum Opfer erforderlichen Werkzeuge, beseelt; die Götter sind zu einem Teile noch nichts andres als beseelt gedachte Be¬ standteile der Natur, so die Wassergöttinuen, die „heilsam zu trinken" sind, teils sind sie schon Personen, denen die körperlichen Naturwesen nur noch so¬ zusagen als Gewand dienen, und bei einzelnen ganz vergeistigter Göttern ist ihr Ursprung aus einer Naturerscheinung schon vergessen. Und da den Indern der Drang zur Klarheit, die Selbstbeschränkung und die Hilfe der bildenden Kunst gefehlt haben, denen die Griechen ihre deutlich uuterscheidbciren Götter- gestalten verdankten, so fließt in den Veden alles traumartig in einander; alles wandelt sich in alles; Indra und Agni thun dasselbe; die Kühe sind bald wirkliche Kühe, bald Wolken, bald Göttinnen, und eine mehr kindische als kindliche Phantasie bringt es fertig, das Weltall auf einem einbeinigen Ziegenbock ruhen zu lassen. Die vedische Religion ist so sehr noch einfacher Naturdienst, daß es falsch ausgedrückt wäre, wenn wir den Agni die interessanteste Gestalt in dem in¬ dischen Pantheon nennen wollten, denn er hat eben keine Gestalt und wohnt weder im Olymp noch in einem Tempel, sondern überall. Eben darauf beruht *) Die Religion des Veda. Von Hermann Otterberg. Berlin, Wilhelm Hertz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/310>, abgerufen am 03.07.2024.