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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Duell und Holzkomment

Für die Nichtigkeit meiner Ansicht kann ich mich zunächst auf Ziegler
selbst berufen. Er widerlegt sich selbst, indem er zu dem eben angeführten
Satze die Einschränkung hinzufügt: "Obwohl der Holzkomment meines Wissens
doch auch unter jungen Kaufleuten so ziemlich verschwunden ist." Das trifft
vollkommen zu. Im Verkehr der gebildeten jungen Kaufleute herrscht ein Ton
vollendeter Höflichkeit; daß es hier kein Duell giebt, ruft den Holzkomment
durchaus nicht hervor. Und fo ist es auch in andern nicht studentischen Kreisen:
die Malerakademien z. B. kennen das Duell nicht, haben aber auch nicht den
Holzkomment. Ebenso verhält es sich mit den Mitgliedern der fürstlichen
Häuser Deutschlands: Duell und Holzkomment halten sie gleichmäßig für unter
ihrer Würde. Aber warum geht Ziegler nicht auf die studentischen Kreise
näher ein? Warum fragt er nicht, wie es sich mit dem Holzkomment in den
studentischen Kreisen verhält, die vom Duell keinen Gebrauch machen? Die Korps,
die studentischen Korporationen, die als die duellirenden xar oxoeUeiun bezeichnet
werden, machen bekanntlich nur einen kleinen Teil der gesamten Studenten¬
schaft aus. München z. B. weist von allen deutscheu Universitäten die größte
Zahl der Korpsstudenten auf. Sie beträgt aber selbst hier nur 300, während
im ganzen etwa 3700 Studenten in München sind. In Kiel (mit 750 Stu¬
denten) giebt es nur 15 Korpsstudenten. Die Korpsstudenten sind die eigent¬
lichen Duellanten. Ihnen gliedern sich dann freilich noch die Burschenschafter,
die Landsmannschaften und einige andre verwandte Korporationen an, die auch
viel duelliren. Aber die Zahl ihrer Mitglieder ist wesentlich geringer als die
der Korpsstudenten. Diesen Gruppen steht die große Masse, der eigentliche
Kern der Studentenschaft, die studirende Studentenschaft gegenüber. Sie setzt
sich zusammen aus Korporationen, die wohl "unbedingte Satisfaktion" geben,
aber nicht die Bestimmungsmensur kennen, und deren Mitglieder sich nur zum
kleinsten Teil duellirt haben; aus Korporationen, die das Duell grundsätzlich
verwerfen (ihre Mitgliederzahl wird an Stärke die Zahl der Korpsstudenten
Wohl etwas übertreffen; teils sind es katholische, teils evangelische, teils "prv-
gressistische" Verbindungen); aus Korporationen, denen das Duellwesen mehr
"der weniger k-Mimönwrn. ist, die das Duell teils nicht schlechthin verwerfen,
^ils für etwas zu unbedeutendes halten, um dazu bestimmte Stellung zu
nehmen; endlich aus Studenten, die keinem Verband angehören, und die teils
grundsätzliche Gegner des Duells sind, teils sich aus ihm nicht viel machen;
von diesen widmen sich nur sehr wenige dem Duellsport. Es wäre nun inter¬
essant, zu wissen, welchen Anteil die verschiednen Kreise an den Holzereien
haben, die ja bekanntlich -- trotz des sie angeblich verhindernden Duell-
Wesens! -- auf den Universitäten eine ziemliche Rolle spielen. Leider liegen
darüber keine statistischen Erhebungen vor. Das preußische Kultusministerium
hat vor einigen Jahren eine Erhebung über den Frühschoppen veranstaltet,
aber den Duellen und Holzereien hat es, wie es scheint, noch keine nähere


Duell und Holzkomment

Für die Nichtigkeit meiner Ansicht kann ich mich zunächst auf Ziegler
selbst berufen. Er widerlegt sich selbst, indem er zu dem eben angeführten
Satze die Einschränkung hinzufügt: „Obwohl der Holzkomment meines Wissens
doch auch unter jungen Kaufleuten so ziemlich verschwunden ist." Das trifft
vollkommen zu. Im Verkehr der gebildeten jungen Kaufleute herrscht ein Ton
vollendeter Höflichkeit; daß es hier kein Duell giebt, ruft den Holzkomment
durchaus nicht hervor. Und fo ist es auch in andern nicht studentischen Kreisen:
die Malerakademien z. B. kennen das Duell nicht, haben aber auch nicht den
Holzkomment. Ebenso verhält es sich mit den Mitgliedern der fürstlichen
Häuser Deutschlands: Duell und Holzkomment halten sie gleichmäßig für unter
ihrer Würde. Aber warum geht Ziegler nicht auf die studentischen Kreise
näher ein? Warum fragt er nicht, wie es sich mit dem Holzkomment in den
studentischen Kreisen verhält, die vom Duell keinen Gebrauch machen? Die Korps,
die studentischen Korporationen, die als die duellirenden xar oxoeUeiun bezeichnet
werden, machen bekanntlich nur einen kleinen Teil der gesamten Studenten¬
schaft aus. München z. B. weist von allen deutscheu Universitäten die größte
Zahl der Korpsstudenten auf. Sie beträgt aber selbst hier nur 300, während
im ganzen etwa 3700 Studenten in München sind. In Kiel (mit 750 Stu¬
denten) giebt es nur 15 Korpsstudenten. Die Korpsstudenten sind die eigent¬
lichen Duellanten. Ihnen gliedern sich dann freilich noch die Burschenschafter,
die Landsmannschaften und einige andre verwandte Korporationen an, die auch
viel duelliren. Aber die Zahl ihrer Mitglieder ist wesentlich geringer als die
der Korpsstudenten. Diesen Gruppen steht die große Masse, der eigentliche
Kern der Studentenschaft, die studirende Studentenschaft gegenüber. Sie setzt
sich zusammen aus Korporationen, die wohl „unbedingte Satisfaktion" geben,
aber nicht die Bestimmungsmensur kennen, und deren Mitglieder sich nur zum
kleinsten Teil duellirt haben; aus Korporationen, die das Duell grundsätzlich
verwerfen (ihre Mitgliederzahl wird an Stärke die Zahl der Korpsstudenten
Wohl etwas übertreffen; teils sind es katholische, teils evangelische, teils „prv-
gressistische" Verbindungen); aus Korporationen, denen das Duellwesen mehr
"der weniger k-Mimönwrn. ist, die das Duell teils nicht schlechthin verwerfen,
^ils für etwas zu unbedeutendes halten, um dazu bestimmte Stellung zu
nehmen; endlich aus Studenten, die keinem Verband angehören, und die teils
grundsätzliche Gegner des Duells sind, teils sich aus ihm nicht viel machen;
von diesen widmen sich nur sehr wenige dem Duellsport. Es wäre nun inter¬
essant, zu wissen, welchen Anteil die verschiednen Kreise an den Holzereien
haben, die ja bekanntlich — trotz des sie angeblich verhindernden Duell-
Wesens! — auf den Universitäten eine ziemliche Rolle spielen. Leider liegen
darüber keine statistischen Erhebungen vor. Das preußische Kultusministerium
hat vor einigen Jahren eine Erhebung über den Frühschoppen veranstaltet,
aber den Duellen und Holzereien hat es, wie es scheint, noch keine nähere


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[0303] Duell und Holzkomment Für die Nichtigkeit meiner Ansicht kann ich mich zunächst auf Ziegler selbst berufen. Er widerlegt sich selbst, indem er zu dem eben angeführten Satze die Einschränkung hinzufügt: „Obwohl der Holzkomment meines Wissens doch auch unter jungen Kaufleuten so ziemlich verschwunden ist." Das trifft vollkommen zu. Im Verkehr der gebildeten jungen Kaufleute herrscht ein Ton vollendeter Höflichkeit; daß es hier kein Duell giebt, ruft den Holzkomment durchaus nicht hervor. Und fo ist es auch in andern nicht studentischen Kreisen: die Malerakademien z. B. kennen das Duell nicht, haben aber auch nicht den Holzkomment. Ebenso verhält es sich mit den Mitgliedern der fürstlichen Häuser Deutschlands: Duell und Holzkomment halten sie gleichmäßig für unter ihrer Würde. Aber warum geht Ziegler nicht auf die studentischen Kreise näher ein? Warum fragt er nicht, wie es sich mit dem Holzkomment in den studentischen Kreisen verhält, die vom Duell keinen Gebrauch machen? Die Korps, die studentischen Korporationen, die als die duellirenden xar oxoeUeiun bezeichnet werden, machen bekanntlich nur einen kleinen Teil der gesamten Studenten¬ schaft aus. München z. B. weist von allen deutscheu Universitäten die größte Zahl der Korpsstudenten auf. Sie beträgt aber selbst hier nur 300, während im ganzen etwa 3700 Studenten in München sind. In Kiel (mit 750 Stu¬ denten) giebt es nur 15 Korpsstudenten. Die Korpsstudenten sind die eigent¬ lichen Duellanten. Ihnen gliedern sich dann freilich noch die Burschenschafter, die Landsmannschaften und einige andre verwandte Korporationen an, die auch viel duelliren. Aber die Zahl ihrer Mitglieder ist wesentlich geringer als die der Korpsstudenten. Diesen Gruppen steht die große Masse, der eigentliche Kern der Studentenschaft, die studirende Studentenschaft gegenüber. Sie setzt sich zusammen aus Korporationen, die wohl „unbedingte Satisfaktion" geben, aber nicht die Bestimmungsmensur kennen, und deren Mitglieder sich nur zum kleinsten Teil duellirt haben; aus Korporationen, die das Duell grundsätzlich verwerfen (ihre Mitgliederzahl wird an Stärke die Zahl der Korpsstudenten Wohl etwas übertreffen; teils sind es katholische, teils evangelische, teils „prv- gressistische" Verbindungen); aus Korporationen, denen das Duellwesen mehr "der weniger k-Mimönwrn. ist, die das Duell teils nicht schlechthin verwerfen, ^ils für etwas zu unbedeutendes halten, um dazu bestimmte Stellung zu nehmen; endlich aus Studenten, die keinem Verband angehören, und die teils grundsätzliche Gegner des Duells sind, teils sich aus ihm nicht viel machen; von diesen widmen sich nur sehr wenige dem Duellsport. Es wäre nun inter¬ essant, zu wissen, welchen Anteil die verschiednen Kreise an den Holzereien haben, die ja bekanntlich — trotz des sie angeblich verhindernden Duell- Wesens! — auf den Universitäten eine ziemliche Rolle spielen. Leider liegen darüber keine statistischen Erhebungen vor. Das preußische Kultusministerium hat vor einigen Jahren eine Erhebung über den Frühschoppen veranstaltet, aber den Duellen und Holzereien hat es, wie es scheint, noch keine nähere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/303>, abgerufen am 22.07.2024.