Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Heinrich von Treitschke

wollte er keineswegs bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen oder warum es
so geworden ist; belehren wollte er, ernähren und warnen, mit einem Worte
erziehen für die Gegenwart, für das Leben, erziehen zu jener thatkräftigen und
begeisterten Vaterlandsliebe, die ihm selbst im Herzen glühte. In diesem Sinne
ist er unter den deutschen Historikern der größte Erzieher der gebildeten deut¬
schen Jugend und nicht nur der Jugend geworden.

Alle Vergleiche haben ihr Mißliches, aber wenn man Umschau hält unter
den Historikern des Altertums, die Treitschke so sehr verehrte, so steht ihm in
vieler Beziehung einer am nächsten: Cornelius Tacitus. Denn dieselbe Sub¬
jektivität einer festen, geschlossenen Persönlichkeit, dasselbe Pathos, dieselbe Glut
der Empfindung für das Vaterland, dieselbe Pracht der Farbengebung, dieselbe
Eigenart der Sprache charakterisiren auch den Römer. Nur daß der Deutsche
glücklicher war als der Römer. Denn wenn diesem beschieden war, eine sinkende
Zeit zu schildern mit dem vollen Bewußtsein eines unaufhaltsamen Nieder¬
ganges, des rusrs in sxiwm, so war es dem Deutschen vergönnt, in einem
aufsteigenden Volke zu stehen und seine Größe nicht nur vorauszusehen, sondern
auch zu erleben.

Nun ist sein beredter Mund verstummt, die Feder ist ihm aus der Hand
gesunken, gerade als er sich anschickte, die Schwelle der neuesten Zeit, das Jahr
1848, zu überschreiten. Wir werden die Geschichte dieser verworrnen und doch
so hochstrebenden Jahre in seiner fortreißenden Sprache und in der Farben¬
pracht seines Pinsels nicht vor uns ausgebreitet sehen, und nicht das Zeit¬
alter Wilhelms I. und Bismarcks, das die Vorhersagungen seines begeisterten
Propheten herrlicher erfüllte, als er geahnt hatte; wir müssen uns in schmerz¬
licher Entsagung begnügen mit dem, was er uns hinterlassen hat. Aber wir
wollen hoffen, daß aus oder auch neben der Schar von Spezialisten, die unsre
historischen Seminarien erziehen, in nicht zu langer Zeit ein Geschichtschreiber
großen Stils auftauche, der Treitschkes Werk wieder aufnimmt, weil er von
sich sagen kann:


Deines Geistes
Hab ich einen Hauch verspürt.



Heinrich von Treitschke

wollte er keineswegs bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen oder warum es
so geworden ist; belehren wollte er, ernähren und warnen, mit einem Worte
erziehen für die Gegenwart, für das Leben, erziehen zu jener thatkräftigen und
begeisterten Vaterlandsliebe, die ihm selbst im Herzen glühte. In diesem Sinne
ist er unter den deutschen Historikern der größte Erzieher der gebildeten deut¬
schen Jugend und nicht nur der Jugend geworden.

Alle Vergleiche haben ihr Mißliches, aber wenn man Umschau hält unter
den Historikern des Altertums, die Treitschke so sehr verehrte, so steht ihm in
vieler Beziehung einer am nächsten: Cornelius Tacitus. Denn dieselbe Sub¬
jektivität einer festen, geschlossenen Persönlichkeit, dasselbe Pathos, dieselbe Glut
der Empfindung für das Vaterland, dieselbe Pracht der Farbengebung, dieselbe
Eigenart der Sprache charakterisiren auch den Römer. Nur daß der Deutsche
glücklicher war als der Römer. Denn wenn diesem beschieden war, eine sinkende
Zeit zu schildern mit dem vollen Bewußtsein eines unaufhaltsamen Nieder¬
ganges, des rusrs in sxiwm, so war es dem Deutschen vergönnt, in einem
aufsteigenden Volke zu stehen und seine Größe nicht nur vorauszusehen, sondern
auch zu erleben.

Nun ist sein beredter Mund verstummt, die Feder ist ihm aus der Hand
gesunken, gerade als er sich anschickte, die Schwelle der neuesten Zeit, das Jahr
1848, zu überschreiten. Wir werden die Geschichte dieser verworrnen und doch
so hochstrebenden Jahre in seiner fortreißenden Sprache und in der Farben¬
pracht seines Pinsels nicht vor uns ausgebreitet sehen, und nicht das Zeit¬
alter Wilhelms I. und Bismarcks, das die Vorhersagungen seines begeisterten
Propheten herrlicher erfüllte, als er geahnt hatte; wir müssen uns in schmerz¬
licher Entsagung begnügen mit dem, was er uns hinterlassen hat. Aber wir
wollen hoffen, daß aus oder auch neben der Schar von Spezialisten, die unsre
historischen Seminarien erziehen, in nicht zu langer Zeit ein Geschichtschreiber
großen Stils auftauche, der Treitschkes Werk wieder aufnimmt, weil er von
sich sagen kann:


Deines Geistes
Hab ich einen Hauch verspürt.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222588"/>
          <fw type="header" place="top"> Heinrich von Treitschke</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_833" prev="#ID_832"> wollte er keineswegs bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen oder warum es<lb/>
so geworden ist; belehren wollte er, ernähren und warnen, mit einem Worte<lb/>
erziehen für die Gegenwart, für das Leben, erziehen zu jener thatkräftigen und<lb/>
begeisterten Vaterlandsliebe, die ihm selbst im Herzen glühte. In diesem Sinne<lb/>
ist er unter den deutschen Historikern der größte Erzieher der gebildeten deut¬<lb/>
schen Jugend und nicht nur der Jugend geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_834"> Alle Vergleiche haben ihr Mißliches, aber wenn man Umschau hält unter<lb/>
den Historikern des Altertums, die Treitschke so sehr verehrte, so steht ihm in<lb/>
vieler Beziehung einer am nächsten: Cornelius Tacitus. Denn dieselbe Sub¬<lb/>
jektivität einer festen, geschlossenen Persönlichkeit, dasselbe Pathos, dieselbe Glut<lb/>
der Empfindung für das Vaterland, dieselbe Pracht der Farbengebung, dieselbe<lb/>
Eigenart der Sprache charakterisiren auch den Römer. Nur daß der Deutsche<lb/>
glücklicher war als der Römer. Denn wenn diesem beschieden war, eine sinkende<lb/>
Zeit zu schildern mit dem vollen Bewußtsein eines unaufhaltsamen Nieder¬<lb/>
ganges, des rusrs in sxiwm, so war es dem Deutschen vergönnt, in einem<lb/>
aufsteigenden Volke zu stehen und seine Größe nicht nur vorauszusehen, sondern<lb/>
auch zu erleben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_835"> Nun ist sein beredter Mund verstummt, die Feder ist ihm aus der Hand<lb/>
gesunken, gerade als er sich anschickte, die Schwelle der neuesten Zeit, das Jahr<lb/>
1848, zu überschreiten. Wir werden die Geschichte dieser verworrnen und doch<lb/>
so hochstrebenden Jahre in seiner fortreißenden Sprache und in der Farben¬<lb/>
pracht seines Pinsels nicht vor uns ausgebreitet sehen, und nicht das Zeit¬<lb/>
alter Wilhelms I. und Bismarcks, das die Vorhersagungen seines begeisterten<lb/>
Propheten herrlicher erfüllte, als er geahnt hatte; wir müssen uns in schmerz¬<lb/>
licher Entsagung begnügen mit dem, was er uns hinterlassen hat. Aber wir<lb/>
wollen hoffen, daß aus oder auch neben der Schar von Spezialisten, die unsre<lb/>
historischen Seminarien erziehen, in nicht zu langer Zeit ein Geschichtschreiber<lb/>
großen Stils auftauche, der Treitschkes Werk wieder aufnimmt, weil er von<lb/>
sich sagen kann:</p><lb/>
          <quote> Deines Geistes<lb/>
Hab ich einen Hauch verspürt.</quote><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0286] Heinrich von Treitschke wollte er keineswegs bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen oder warum es so geworden ist; belehren wollte er, ernähren und warnen, mit einem Worte erziehen für die Gegenwart, für das Leben, erziehen zu jener thatkräftigen und begeisterten Vaterlandsliebe, die ihm selbst im Herzen glühte. In diesem Sinne ist er unter den deutschen Historikern der größte Erzieher der gebildeten deut¬ schen Jugend und nicht nur der Jugend geworden. Alle Vergleiche haben ihr Mißliches, aber wenn man Umschau hält unter den Historikern des Altertums, die Treitschke so sehr verehrte, so steht ihm in vieler Beziehung einer am nächsten: Cornelius Tacitus. Denn dieselbe Sub¬ jektivität einer festen, geschlossenen Persönlichkeit, dasselbe Pathos, dieselbe Glut der Empfindung für das Vaterland, dieselbe Pracht der Farbengebung, dieselbe Eigenart der Sprache charakterisiren auch den Römer. Nur daß der Deutsche glücklicher war als der Römer. Denn wenn diesem beschieden war, eine sinkende Zeit zu schildern mit dem vollen Bewußtsein eines unaufhaltsamen Nieder¬ ganges, des rusrs in sxiwm, so war es dem Deutschen vergönnt, in einem aufsteigenden Volke zu stehen und seine Größe nicht nur vorauszusehen, sondern auch zu erleben. Nun ist sein beredter Mund verstummt, die Feder ist ihm aus der Hand gesunken, gerade als er sich anschickte, die Schwelle der neuesten Zeit, das Jahr 1848, zu überschreiten. Wir werden die Geschichte dieser verworrnen und doch so hochstrebenden Jahre in seiner fortreißenden Sprache und in der Farben¬ pracht seines Pinsels nicht vor uns ausgebreitet sehen, und nicht das Zeit¬ alter Wilhelms I. und Bismarcks, das die Vorhersagungen seines begeisterten Propheten herrlicher erfüllte, als er geahnt hatte; wir müssen uns in schmerz¬ licher Entsagung begnügen mit dem, was er uns hinterlassen hat. Aber wir wollen hoffen, daß aus oder auch neben der Schar von Spezialisten, die unsre historischen Seminarien erziehen, in nicht zu langer Zeit ein Geschichtschreiber großen Stils auftauche, der Treitschkes Werk wieder aufnimmt, weil er von sich sagen kann: Deines Geistes Hab ich einen Hauch verspürt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/286
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/286>, abgerufen am 26.06.2024.