Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Heinrich von Treitschke die Empfindlichkeit der Höfe, ungeschrcckt durch den Haß des Pöbels/' Freimütig Diese subjektive Auffassung lag in seinem Wesen, aber sie hing auch mit Heinrich von Treitschke die Empfindlichkeit der Höfe, ungeschrcckt durch den Haß des Pöbels/' Freimütig Diese subjektive Auffassung lag in seinem Wesen, aber sie hing auch mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222587"/> <fw type="header" place="top"> Heinrich von Treitschke</fw><lb/> <p xml:id="ID_831" prev="#ID_830"> die Empfindlichkeit der Höfe, ungeschrcckt durch den Haß des Pöbels/' Freimütig<lb/> und ehrlich in dem Aussprechen dessen, was er in angestrengter Forschung als<lb/> Wahrheit erkannt hatte, ist er immer gewesen, gerecht nicht immer, er nimmt<lb/> Partei für und wider, aber doch uur in der Weise, daß er Partei ergreift<lb/> gegen alles und alle, die der Größe und dem Glücke seines Vaterlandes im<lb/> Wege standen. Wenn er dabei allzu einseitig für Preußen einzutreten scheint,<lb/> so war das ein notwendiger und heilsamer Rückschlag gegen die Verkemmng<lb/> und Verketzerung der frühern Zeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_832" next="#ID_833"> Diese subjektive Auffassung lag in seinem Wesen, aber sie hing auch mit<lb/> der Wahl seines Stoffes zusammen, die freilich wieder aus seinem Wesen ent¬<lb/> sprang. Ein Mann wie er konnte nicht alte oder mittelalterliche Geschichte<lb/> schreiben, so gut er die Alten kannte, und so hoch er sie schätzte. Die neueste<lb/> deutsche Geschichte ist von Anfang an nicht sein einziges, aber fein bevorzugtes<lb/> Feld gewesen, und auch wenn er einen scheinbar ihr fern liegenden Gegenstand<lb/> behandelte, wie in seinem ersten schönen Aufsatze über das deutsche Ordensland<lb/> Preußen, er setzt ihn doch mit der Gesamtgeschichte seiner Nation in Zusammen¬<lb/> hang und bringt ihn durch seine herzliche Teilnahme auch dem Leser nahe.<lb/> Endlich schloß sich alles zusammen zu seinem Lebenswerke, der „Deutschen<lb/> Geschichte im neunzehnten Jahrhundert," die er nun unvollendet hinterlassen<lb/> hat, und die unvollendet bleiben wird, weil es niemanden giebt, der sie fort¬<lb/> setzen kann. Wer noch zweifeln konnte an der Gründlichkeit und Schärfe seiner<lb/> Forschung, der mußte vor diesen Bänden eingestehen, daß sie ebenso solid ge¬<lb/> arbeitet seien, wie irgendein Buch über das sechzehnte oder siebzehnte Jahr¬<lb/> hundert, nur daß die Arbeit schwieriger war, weil der Stoff ein wahrhaft<lb/> ungeheurer, zersplitterter und fast noch ungesichteter ist. Und mit welch souve¬<lb/> räner Beherrschung hat er ihn zusammengefaßt und gestaltet! Er war immer der<lb/> schlichten Meinung, daß der eigentliche und wichtigste Gegenstand der Geschicht¬<lb/> schreibung der Staat und seine Wandlungen sei, und daß diese auf dem Wirken<lb/> der sittlich verantwortlichen Menschen und nicht unpersönlicher Kräfte beruhen,<lb/> unter der selbstverständlichen und niemals bestrittnen Voraussetzung, daß sich<lb/> diese Menschen auf dem Boden und in den Schranken ihrer Zeit bewegen. Daher<lb/> hat er denn auch diese Menschen in ihrem tiefsten Wesen erfaßt und geschildert<lb/> in einer Reihe prächtiger Porträts mit der kraftvollen Zeichnung und Farben¬<lb/> gebung eines Lenbach. Niemals sind die großen deutschen Feldherrn der Be¬<lb/> freiungskriege wahrer und packender vor Augen gestellt, niemals ist die im<lb/> tiefsten Grunde tragische Gestalt Friedrich Wilhelms IV. verständlicher und<lb/> erschütternder gezeichnet worden. Und doch liegt es ihm völlig fern, uur<lb/> Haupt- und Staatsaktionen darzustellen; er faßt das Dasein des Volkes als<lb/> ein unzertrennliches Ganze, er läßt den Leser auch hineinblicken in das Leben<lb/> des kleinen Mannes, und manche seiner glänzendsten Kapitel sind dem geistigen<lb/> und wirtschaftlichen Leben gewidmet. Mit allen diesen reichen Mitteln aber</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0285]
Heinrich von Treitschke
die Empfindlichkeit der Höfe, ungeschrcckt durch den Haß des Pöbels/' Freimütig
und ehrlich in dem Aussprechen dessen, was er in angestrengter Forschung als
Wahrheit erkannt hatte, ist er immer gewesen, gerecht nicht immer, er nimmt
Partei für und wider, aber doch uur in der Weise, daß er Partei ergreift
gegen alles und alle, die der Größe und dem Glücke seines Vaterlandes im
Wege standen. Wenn er dabei allzu einseitig für Preußen einzutreten scheint,
so war das ein notwendiger und heilsamer Rückschlag gegen die Verkemmng
und Verketzerung der frühern Zeit.
Diese subjektive Auffassung lag in seinem Wesen, aber sie hing auch mit
der Wahl seines Stoffes zusammen, die freilich wieder aus seinem Wesen ent¬
sprang. Ein Mann wie er konnte nicht alte oder mittelalterliche Geschichte
schreiben, so gut er die Alten kannte, und so hoch er sie schätzte. Die neueste
deutsche Geschichte ist von Anfang an nicht sein einziges, aber fein bevorzugtes
Feld gewesen, und auch wenn er einen scheinbar ihr fern liegenden Gegenstand
behandelte, wie in seinem ersten schönen Aufsatze über das deutsche Ordensland
Preußen, er setzt ihn doch mit der Gesamtgeschichte seiner Nation in Zusammen¬
hang und bringt ihn durch seine herzliche Teilnahme auch dem Leser nahe.
Endlich schloß sich alles zusammen zu seinem Lebenswerke, der „Deutschen
Geschichte im neunzehnten Jahrhundert," die er nun unvollendet hinterlassen
hat, und die unvollendet bleiben wird, weil es niemanden giebt, der sie fort¬
setzen kann. Wer noch zweifeln konnte an der Gründlichkeit und Schärfe seiner
Forschung, der mußte vor diesen Bänden eingestehen, daß sie ebenso solid ge¬
arbeitet seien, wie irgendein Buch über das sechzehnte oder siebzehnte Jahr¬
hundert, nur daß die Arbeit schwieriger war, weil der Stoff ein wahrhaft
ungeheurer, zersplitterter und fast noch ungesichteter ist. Und mit welch souve¬
räner Beherrschung hat er ihn zusammengefaßt und gestaltet! Er war immer der
schlichten Meinung, daß der eigentliche und wichtigste Gegenstand der Geschicht¬
schreibung der Staat und seine Wandlungen sei, und daß diese auf dem Wirken
der sittlich verantwortlichen Menschen und nicht unpersönlicher Kräfte beruhen,
unter der selbstverständlichen und niemals bestrittnen Voraussetzung, daß sich
diese Menschen auf dem Boden und in den Schranken ihrer Zeit bewegen. Daher
hat er denn auch diese Menschen in ihrem tiefsten Wesen erfaßt und geschildert
in einer Reihe prächtiger Porträts mit der kraftvollen Zeichnung und Farben¬
gebung eines Lenbach. Niemals sind die großen deutschen Feldherrn der Be¬
freiungskriege wahrer und packender vor Augen gestellt, niemals ist die im
tiefsten Grunde tragische Gestalt Friedrich Wilhelms IV. verständlicher und
erschütternder gezeichnet worden. Und doch liegt es ihm völlig fern, uur
Haupt- und Staatsaktionen darzustellen; er faßt das Dasein des Volkes als
ein unzertrennliches Ganze, er läßt den Leser auch hineinblicken in das Leben
des kleinen Mannes, und manche seiner glänzendsten Kapitel sind dem geistigen
und wirtschaftlichen Leben gewidmet. Mit allen diesen reichen Mitteln aber
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