Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Zeitungen, die das Vaterland lieben rung ist hier wohl kaum möglich. Wir werden vielmehr an Achtung gewinnen, Diese Beurteilung der politischen Lage macht keineswegs Anspruch darauf, Wir wollen keiner guten deutschen Zeitung das Recht oder die Pflicht Ein amerikanischer Beurteiler deutscher Verhältnisse beschwerte sich einmal Zeitungen, die das Vaterland lieben rung ist hier wohl kaum möglich. Wir werden vielmehr an Achtung gewinnen, Diese Beurteilung der politischen Lage macht keineswegs Anspruch darauf, Wir wollen keiner guten deutschen Zeitung das Recht oder die Pflicht Ein amerikanischer Beurteiler deutscher Verhältnisse beschwerte sich einmal <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222555"/> <fw type="header" place="top"> Zeitungen, die das Vaterland lieben</fw><lb/> <p xml:id="ID_747" prev="#ID_746"> rung ist hier wohl kaum möglich. Wir werden vielmehr an Achtung gewinnen,<lb/> auch beim Feinde, wegen der diplomatischen Überlegenheit unsrer Negierung.</p><lb/> <p xml:id="ID_748"> Diese Beurteilung der politischen Lage macht keineswegs Anspruch darauf,<lb/> sich in allen Winkeln und Seiten mit der Wirklichkeit zu decken. Denn der<lb/> Wortlaut der diplomatischen Schriftstücke ist nur den Beamten bekannt, die<lb/> sich damit zu befassen haben. Und noch viel mehr entziehen sich die unge¬<lb/> schriebnen Erwägungen der Staatsmänner der Kenntnis aller Mitlebenden.<lb/> Aber es ist auch gar nicht Sache des vaterlandsliebenden Zeitungsmannes,<lb/> hiernach zu forschen. Möge er das den Bedientenseelen überlassen, die hinter<lb/> den Thüren horchen. Der Zeitungsmann soll, so lange nicht offenbare und<lb/> allgemein bekannte Vorgänge geradezu im Wege stehen, die Dinge so dar¬<lb/> stellen, daß er das Ansehen des Vaterlands steigert. Und darüber kann wohl<lb/> kein Zweifel bestehen, daß unser Ansehen nicht geschädigt wird, wenn wir<lb/> den deutschen Staatsmännern die hier dargestellten Beweggründe unterlegen,<lb/> während sich die Mitwelt mit Recht nicht des Lächelns würde enthalten können,<lb/> wenn sie in der That jene kindlich unschuldige Ansicht von der Uneigenmäßig-<lb/> keit Englands gehabt hätten.</p><lb/> <p xml:id="ID_749"> Wir wollen keiner guten deutschen Zeitung das Recht oder die Pflicht<lb/> absprechen, ihren getreuen deutschen Abonnenten und Bicrphilistern die unge¬<lb/> schminkteste Wahrheit zu sagen und alle Handlungen der Staatsregierung,<lb/> auch in den auswärtigen Angelegenheiten, aufs freimütigste zu untersuchen.<lb/> Aber dem Auslande gegenüber muß eine große deutsche Zeitung, die das<lb/> Vaterland liebt, imstande sein, schlimmstenfalls auch einmal das zu sagen, was<lb/> sie felbst nicht glaubt, oder auf deutsch: zu lügen und sich so auszudrücken,<lb/> daß es ein Ausländer i» einer bestimmten irreführender Richtung mißverstehen<lb/> muß. Diese Doppelzüngigkeit ist keineswegs so schwierig, als ihre Empfehlung<lb/> hier klingt. Freilich bedarf es dazu der Leute an der Spitze der Zeitung,<lb/> die ein feines Gefühl dafür haben, was der Deutsche halb gesagt oder zwischen<lb/> den Zeilen versteht, während es der Ausländer anders auffassen muß. Solch<lb/> ein geschickter Zeitungsmann muß z. B. nicht so unhöflich sein, eine fremde<lb/> Meinung, etwa die einer andern Zeitung, zu widerlegen, wenn er die Gegen¬<lb/> beweise in der Hand hat; sondern er muß die Unrichtigkeit bestehen lassen,<lb/> wenn sie dem Vaterlande Vorteil bringt.</p><lb/> <p xml:id="ID_750" next="#ID_751"> Ein amerikanischer Beurteiler deutscher Verhältnisse beschwerte sich einmal<lb/> darüber, wie langweilig die deutschen Tageszeitungen wären. Und er hat<lb/> Recht; sie sind wirklich durchgängig recht langweilig. Langweilig ist ihr schlechter<lb/> unleserlicher Druck, ihr elendes Papier, vor allem aber ihr erstaunlich spie߬<lb/> bürgerlicher, schulmeisterhafter, philiströser Inhalt. Man denke nur an die mit<lb/> der langweiligen Regelmäßigkeit festgehaltene Einteilung der Zeitung, an die<lb/> ewig gleichem Artikelüberschriften, an die geradezu einschläfernde Wirkung ge¬<lb/> wisser Nachrichten, z. B. der Ordensverleihungen, einer Sache, die fast von allen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
Zeitungen, die das Vaterland lieben
rung ist hier wohl kaum möglich. Wir werden vielmehr an Achtung gewinnen,
auch beim Feinde, wegen der diplomatischen Überlegenheit unsrer Negierung.
Diese Beurteilung der politischen Lage macht keineswegs Anspruch darauf,
sich in allen Winkeln und Seiten mit der Wirklichkeit zu decken. Denn der
Wortlaut der diplomatischen Schriftstücke ist nur den Beamten bekannt, die
sich damit zu befassen haben. Und noch viel mehr entziehen sich die unge¬
schriebnen Erwägungen der Staatsmänner der Kenntnis aller Mitlebenden.
Aber es ist auch gar nicht Sache des vaterlandsliebenden Zeitungsmannes,
hiernach zu forschen. Möge er das den Bedientenseelen überlassen, die hinter
den Thüren horchen. Der Zeitungsmann soll, so lange nicht offenbare und
allgemein bekannte Vorgänge geradezu im Wege stehen, die Dinge so dar¬
stellen, daß er das Ansehen des Vaterlands steigert. Und darüber kann wohl
kein Zweifel bestehen, daß unser Ansehen nicht geschädigt wird, wenn wir
den deutschen Staatsmännern die hier dargestellten Beweggründe unterlegen,
während sich die Mitwelt mit Recht nicht des Lächelns würde enthalten können,
wenn sie in der That jene kindlich unschuldige Ansicht von der Uneigenmäßig-
keit Englands gehabt hätten.
Wir wollen keiner guten deutschen Zeitung das Recht oder die Pflicht
absprechen, ihren getreuen deutschen Abonnenten und Bicrphilistern die unge¬
schminkteste Wahrheit zu sagen und alle Handlungen der Staatsregierung,
auch in den auswärtigen Angelegenheiten, aufs freimütigste zu untersuchen.
Aber dem Auslande gegenüber muß eine große deutsche Zeitung, die das
Vaterland liebt, imstande sein, schlimmstenfalls auch einmal das zu sagen, was
sie felbst nicht glaubt, oder auf deutsch: zu lügen und sich so auszudrücken,
daß es ein Ausländer i» einer bestimmten irreführender Richtung mißverstehen
muß. Diese Doppelzüngigkeit ist keineswegs so schwierig, als ihre Empfehlung
hier klingt. Freilich bedarf es dazu der Leute an der Spitze der Zeitung,
die ein feines Gefühl dafür haben, was der Deutsche halb gesagt oder zwischen
den Zeilen versteht, während es der Ausländer anders auffassen muß. Solch
ein geschickter Zeitungsmann muß z. B. nicht so unhöflich sein, eine fremde
Meinung, etwa die einer andern Zeitung, zu widerlegen, wenn er die Gegen¬
beweise in der Hand hat; sondern er muß die Unrichtigkeit bestehen lassen,
wenn sie dem Vaterlande Vorteil bringt.
Ein amerikanischer Beurteiler deutscher Verhältnisse beschwerte sich einmal
darüber, wie langweilig die deutschen Tageszeitungen wären. Und er hat
Recht; sie sind wirklich durchgängig recht langweilig. Langweilig ist ihr schlechter
unleserlicher Druck, ihr elendes Papier, vor allem aber ihr erstaunlich spie߬
bürgerlicher, schulmeisterhafter, philiströser Inhalt. Man denke nur an die mit
der langweiligen Regelmäßigkeit festgehaltene Einteilung der Zeitung, an die
ewig gleichem Artikelüberschriften, an die geradezu einschläfernde Wirkung ge¬
wisser Nachrichten, z. B. der Ordensverleihungen, einer Sache, die fast von allen
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