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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zeitungen, die das Vaterland lieben

Strohhalmhindernisse in den Weg gelegt hätte. Dadurch wäre die Reinheit des
deutschen Schildes in den andern Streitsachen mit England getrübt worden,
und der Eindruck wäre unvermeidlich gewesen, daß Deutschland die Dinge
nicht mehr kühl nach ihrer wahrer Bedeutung beurteile, sondern in blindem
Hasse überall als Englands Widersacher auftrete, wo es nur könne. Diesen
Eindruck hätte die Welt haben müssen. Das wäre nun freilich nicht besonders
wichtig gewesen, aber denselben Eindruck hätte wahrscheinlich auch das deutsche
Volk selbst gewonnen. Und man weiß, von welchem gewaltigen Wert im
Streite das Vertrauen des Volks auf seine gute Sache ist. So lautete denn
die Antwort an England, in das Volkstümliche übersetzt: "Da hast du, reiches
England, auch noch die paar Kupferpfeunige, nach deuen du begierig bist.
Glaube aber nicht, daß wir darum in andern Dingen vor dir zurückwichen."

Eine Antwort dieser Art zu erteilen oder die Abgabe der Stimme in der
Konimission überhaupt abzulehnen, weil die Zustimmung der Kommission nicht
erforderlich sei -- nur zwischeu diesen beiden Wegen konnte Deutschland ver¬
ständigerweise wühlen. Wenn es den zweiten Weg nicht wählte, so geschah
es vielleicht mit Rücksicht auf Italien, das, wie es scheint, Deutschland um
seine Zustimmung ersucht hat. Wir scheuen uns nicht, damit Italien gegen¬
über einzugestehen, daß Deutschland mit seiner Zustimmung nicht eigentlich
ein Opfer gebracht hat, außer durch die Raschheit und Unbedenklichkeit seiner
Erklärung. Wir schulden der immer enger werdenden Bundesgenossenschaft
auch hierin vollkommne Offenheit. Für die Wahl des ersten Weges sprachen
aber noch andre Gründe. Es ist bekannt, daß infolge der ostasiatischen Vor¬
gänge in der öffentlichen Meinung mehrfach der Argwohn auftauchte, Deutsch¬
land befinde sich im Schlepptau russisch-französischer Politik, obwohl die
richtige Sachlage keineswegs so war. Hier nun, bei der Abstimmung über
die Gelder der ägyptischen Kasse, bot sich eine günstige Gelegenheit, aller
Welt und namentlich den vielleicht etwas mißtrauisch gewordnen Bundes¬
genossen zu zeigen, daß Deutschland keinerlei Rücksicht auf russisch-französische
Zettelungen nehme. Frankreich hatte augenscheinlich den Wunsch, Deutschland
als Mauerbrecher gegen England zu gebrauchen. Aber Deutschland ließ sich
nicht darauf ein und brachte vielmehr durch seine Abstimmung in der Kom¬
mission die französische Negierung vor die unangenehme Wahl, entweder ge¬
waltsam gegen England aufzutreten oder die Demütigung hinzunehmen, daß
über ihren Widerspruch einfach hinweggegangen wird. Das Ergebnis dieser
Wahl kann für uns nicht anders als angenehm ausfallen. Wir können be¬
haglich zusehen, wie der Feind am Scheidewege steht und sich entweder
demütigen oder mit einem andern Feind in Streit geraten muß. Daß sich
die Spannung zwischen Deutschland und Frankreich hierdurch steigern kann,
indem uns das französische Volk für die diplomatische Niederlage seiner Re¬
gierung verantwortlich machen könnte, glauben wir nicht. Denn eine Steige-


Zeitungen, die das Vaterland lieben

Strohhalmhindernisse in den Weg gelegt hätte. Dadurch wäre die Reinheit des
deutschen Schildes in den andern Streitsachen mit England getrübt worden,
und der Eindruck wäre unvermeidlich gewesen, daß Deutschland die Dinge
nicht mehr kühl nach ihrer wahrer Bedeutung beurteile, sondern in blindem
Hasse überall als Englands Widersacher auftrete, wo es nur könne. Diesen
Eindruck hätte die Welt haben müssen. Das wäre nun freilich nicht besonders
wichtig gewesen, aber denselben Eindruck hätte wahrscheinlich auch das deutsche
Volk selbst gewonnen. Und man weiß, von welchem gewaltigen Wert im
Streite das Vertrauen des Volks auf seine gute Sache ist. So lautete denn
die Antwort an England, in das Volkstümliche übersetzt: „Da hast du, reiches
England, auch noch die paar Kupferpfeunige, nach deuen du begierig bist.
Glaube aber nicht, daß wir darum in andern Dingen vor dir zurückwichen."

Eine Antwort dieser Art zu erteilen oder die Abgabe der Stimme in der
Konimission überhaupt abzulehnen, weil die Zustimmung der Kommission nicht
erforderlich sei — nur zwischeu diesen beiden Wegen konnte Deutschland ver¬
ständigerweise wühlen. Wenn es den zweiten Weg nicht wählte, so geschah
es vielleicht mit Rücksicht auf Italien, das, wie es scheint, Deutschland um
seine Zustimmung ersucht hat. Wir scheuen uns nicht, damit Italien gegen¬
über einzugestehen, daß Deutschland mit seiner Zustimmung nicht eigentlich
ein Opfer gebracht hat, außer durch die Raschheit und Unbedenklichkeit seiner
Erklärung. Wir schulden der immer enger werdenden Bundesgenossenschaft
auch hierin vollkommne Offenheit. Für die Wahl des ersten Weges sprachen
aber noch andre Gründe. Es ist bekannt, daß infolge der ostasiatischen Vor¬
gänge in der öffentlichen Meinung mehrfach der Argwohn auftauchte, Deutsch¬
land befinde sich im Schlepptau russisch-französischer Politik, obwohl die
richtige Sachlage keineswegs so war. Hier nun, bei der Abstimmung über
die Gelder der ägyptischen Kasse, bot sich eine günstige Gelegenheit, aller
Welt und namentlich den vielleicht etwas mißtrauisch gewordnen Bundes¬
genossen zu zeigen, daß Deutschland keinerlei Rücksicht auf russisch-französische
Zettelungen nehme. Frankreich hatte augenscheinlich den Wunsch, Deutschland
als Mauerbrecher gegen England zu gebrauchen. Aber Deutschland ließ sich
nicht darauf ein und brachte vielmehr durch seine Abstimmung in der Kom¬
mission die französische Negierung vor die unangenehme Wahl, entweder ge¬
waltsam gegen England aufzutreten oder die Demütigung hinzunehmen, daß
über ihren Widerspruch einfach hinweggegangen wird. Das Ergebnis dieser
Wahl kann für uns nicht anders als angenehm ausfallen. Wir können be¬
haglich zusehen, wie der Feind am Scheidewege steht und sich entweder
demütigen oder mit einem andern Feind in Streit geraten muß. Daß sich
die Spannung zwischen Deutschland und Frankreich hierdurch steigern kann,
indem uns das französische Volk für die diplomatische Niederlage seiner Re¬
gierung verantwortlich machen könnte, glauben wir nicht. Denn eine Steige-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/252>, abgerufen am 24.08.2024.