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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Ärakelgraf

el'xo, der junge Mann ist für Sie ein Typus. Wenn es Sie daher interessirt, so
bleiben Sie ruhig!

Ich blieb also. Der junge Manu wurde hereingeführt und stellte sich mit
den deutlichen Zeichen hilfloser Befangenheit vor.

Treten Sie näher, junger Freund, sagte der Graf mit unnachahmlicher Leut¬
seligkeit, setzen Sie sich und zünden Sie sich diese Cigarre an: sie ist gut. Ich
habe den Tabak auf meinen Plantagen selbst anbauen lassen. Und nun erzählen
Sie mir Ihren Fall.

Der Aufgeforderte erzählte, indem er allmählich seine Verlegenheit überwand
und so vollendeter Gelassenheit gegenüber Mut faßte, seine Geschichte. Sie war
einfach genug. Als junger Provisor hatte er die Tochter seines Prinzipals lieb¬
gewonnen und war mit ihr eins geworden. Auch die Eltern duldeten stillschweigend
das uncmsgesprochne Einverständnis, sodaß die öffentliche Verlobung nur eine Frage
der Zeit war. Da sollte eine gransame Fügung das schöne Verhältnis zerstören.
Der angehende Verlobte hatte, wohl infolge seiner allen Liebenden eignen Zer¬
streutheit, einen ganzen Kessel voll zukünftigen Himbeersaftes unachtsamerweise ver¬
derben lassen. Ein Bruch mit dem Prinzipal war bei dessen genauer Denkungsart
unvermeidlich, alle Beteuerungen, in Zukunft durch verdoppelte Bemühungen den
Schaden wieder einzubringen, halfen nichts. Dem jungen Apotheker wurde ge¬
kündigt, von einer Verlobung konnte keine Rede mehr sein.

Es lag in dieser Begebenheit die bescheidne Tragik kleinstädtischer Verhältnisse.
Aber die wunderbare analytische Begabung des Grafen, seine kühle Besonnenheit
und, fast möchte ich sagen, sezirende Weise bewährte sich auch ihr gegenüber. Viel¬
leicht lag der Fall zu niedrig für seine Größe. Aber der Adel seines Wesens
erlaubte ihm nicht, die Sache leicht zu nehmen, wenn auch die Lösung der Schwierig¬
keit für ihn nur eine Spielerei war. Das Köstliche war, daß er auf eine beinahe
unmerkliche Art den jungen Mann selbst das Mittel finden ließ, seine Lage zu
beherrschen. Als ein andrer Sokrates öffnete er ihm die Augen und lehrte ihn
die schwere Kunst, sich selbst zu entbinden.

Die Stadt, in der Sie gelebt haben — so etwa begann er —, ist schön
gelegen, ich kenne sie, wie ich denn auf meinen Reisen und in den Tagen meiner
Jugend — dabei strich er mit einem Auflug von Wehmut, doch ohne jede Spur
von Pose mit der feingcpflegteu Hand über die ergrauenden Schläfen — fast alle
Orte der bewohnten Erde kennen gelernt habe. Ihr Beruf ist sehr nützlich und
schön, auch ist Himbeersaft ein erquickendes und ladendes Getränk, zumal in dieser
heißen Sommerzeit. Würden Sie wohl imstande sein, mir die Methode anzugeben,
nach der Sie den Extrakt darzustellen pflegen?

Es war das ein überaus seiner Zug. Er gab dem jungen Unglücklichen Ge¬
legenheit, sich über eine Sache, die er genau verstand, auszusprechen und da¬
durch in seinen eignen Augen zu wachsen. Mit sichtlicher Befriedigung kam der
junge Apotheker der Aufforderung nach und ging so ins Einzelne, daß es fast den
Anschein gewann, als ob er eigens zu dem Zwecke nach Berlin gekommen wäre,
als Sachverständiger über die Darstellung von Himbeersaft Auskunft zu geben.

Der Graf erreichte zweierlei: erstens hob er das Selbstgefühl seines Klienten,
da er sich uns in einem Fach überlegen zeigte, sodann überzeugte er sich von seinem
Berufseifer.

Ich schätze, so fuhr er fort, als der Provisor geendet hatte, jede ernsthafte
Bemühung, sei sie auch auf minder wertvolle Dinge gerichtet, als die sind, denen
Sie Ihr bestes Wollen und Können gewidmet haben. Nun sind wir noch in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/224>, abgerufen am 24.01.2025.