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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zum Börsengesetzentwurf

Ein erbitterter Streit ist um den Staatskommissar an der Börse geführt
worden. Die Börsenenquetekommission wollte nur eine Art Regierungskom¬
missar beim "Börsendisziplinarhof" (jetzt Ehrengericht genannt). Der Entwurf
hat daraus einen Staatskommissar gemacht, dem die Beachtung der Vorgänge
an der Börse, sowie die Berichterstattung über hervorgetretene Mängel und über
die Mittel zu ihrer Abstellung obliegen soll- Das ist gewiß eine recht schwierige
Aufgabe, die neben gründlicher Beherrschung des Börsenwesens und seiner
Technik die genaueste Kenntnis der Personen und Verhältnisse erfordert. Ob
die Aufgabe überhaupt sachgemäß zu lösen ist, muß angesichts der Verhältnisse
der Wiener Börse, wo seit langer Zeit ein k. k. Börsenkommissar seines Amtes
waltet, wo aber trotzdem von Zeit zu Zeit Spekulationen der bedenklichsten
Art betrieben werden, sehr zweifelhaft erscheinen. Immerhin kann der Versuch
gemacht werden, da ein solcher Staatskommissar wenigstens dazu beitragen kann,
die Negierung sachgemäß zu unterrichten, und das soll auch nach der Begründung
des Entwurfs vor allem seine Aufgabe sein. Durch die Kommissionsbeschlüsse
sind dagegen Stellung und Befugnis des Staatskommissars ganz verändert
worden. Er soll darnach den Geschäftsverkehr an der Börse und die Be¬
folgung der Gesetze und Verordnungen überwachen, also eine Art "übermachender
Polizeibeamter" werden. In der ersten Lesung wollte man ihm sogar das Recht
geben, an allen Sitzungen der Börsenorgane teilzunehmen! Das hat die zweite
Lesung beseitigt, aber auch die andre Änderung des Entwurfs ist nicht zu
billigen. Mit vollem Recht wehrt sich die Kaufmannschaft gegen eine solche
Polizeiaufsicht. Auch das ist zu bedenken: giebt man dem Staatskommissar
so weitgehende Befugnisse, so wird ganz zweifellos die Abneigung gerade der
anständigen und auf die Ehre ihres Standes haltenden Börsenbesucher gegen
den Verkehr mit solchen Beamten sehr steigen. Was sollen denn die unglück¬
lichen, mitten in das Getriebe etwa der Berliner oder Hamburger Börse ge¬
stellten Staatskommissare machen? Daß eine eigentliche "Überwachung" dieses
Niesenverkehrs, der sich zwischen taufenden in kurzer Zeit abspielt, ein Unding
ist, liegt auf der Hand. Die Kommissare wären im wesentlichen auf das an¬
gewiesen, was sie von einzelnen Börseubesucheru erführen. Wenn nun gerade
die bessern Leute jede Auskunft verweigerten was dann? Wie bedenklich
es aber wäre, wenn die Kommissare aus trüberer Quelle schöpfen müßten,
welches Unheil ein unrichtiges Vorgehen anrichten kann, bedarf keiner Aus¬
führung. In der Reichstagskommissivn wollte man von einer Seite sogar
dem Kommissar das Recht zu unmittelbaren Eingriffen in den Börsenverkehr
selbst geben; er sollte z.B. ein an der Börse umlaufendes Gerücht sofort auf
seine Nichtigkeit prüfen und das Börsenpublikum dann aufklären. Als wenn
die Nichtigkeit solcher Gerüchte immer im Handumdrehen festzustellen wäre!
Wie aber, wenn der Kommissar auf ein angeblich falsches Gerücht eingreift,
die Kursuotiz sistirt und offiziell verkündet: "Das Gerücht ist unwahr," und


Zum Börsengesetzentwurf

Ein erbitterter Streit ist um den Staatskommissar an der Börse geführt
worden. Die Börsenenquetekommission wollte nur eine Art Regierungskom¬
missar beim „Börsendisziplinarhof" (jetzt Ehrengericht genannt). Der Entwurf
hat daraus einen Staatskommissar gemacht, dem die Beachtung der Vorgänge
an der Börse, sowie die Berichterstattung über hervorgetretene Mängel und über
die Mittel zu ihrer Abstellung obliegen soll- Das ist gewiß eine recht schwierige
Aufgabe, die neben gründlicher Beherrschung des Börsenwesens und seiner
Technik die genaueste Kenntnis der Personen und Verhältnisse erfordert. Ob
die Aufgabe überhaupt sachgemäß zu lösen ist, muß angesichts der Verhältnisse
der Wiener Börse, wo seit langer Zeit ein k. k. Börsenkommissar seines Amtes
waltet, wo aber trotzdem von Zeit zu Zeit Spekulationen der bedenklichsten
Art betrieben werden, sehr zweifelhaft erscheinen. Immerhin kann der Versuch
gemacht werden, da ein solcher Staatskommissar wenigstens dazu beitragen kann,
die Negierung sachgemäß zu unterrichten, und das soll auch nach der Begründung
des Entwurfs vor allem seine Aufgabe sein. Durch die Kommissionsbeschlüsse
sind dagegen Stellung und Befugnis des Staatskommissars ganz verändert
worden. Er soll darnach den Geschäftsverkehr an der Börse und die Be¬
folgung der Gesetze und Verordnungen überwachen, also eine Art „übermachender
Polizeibeamter" werden. In der ersten Lesung wollte man ihm sogar das Recht
geben, an allen Sitzungen der Börsenorgane teilzunehmen! Das hat die zweite
Lesung beseitigt, aber auch die andre Änderung des Entwurfs ist nicht zu
billigen. Mit vollem Recht wehrt sich die Kaufmannschaft gegen eine solche
Polizeiaufsicht. Auch das ist zu bedenken: giebt man dem Staatskommissar
so weitgehende Befugnisse, so wird ganz zweifellos die Abneigung gerade der
anständigen und auf die Ehre ihres Standes haltenden Börsenbesucher gegen
den Verkehr mit solchen Beamten sehr steigen. Was sollen denn die unglück¬
lichen, mitten in das Getriebe etwa der Berliner oder Hamburger Börse ge¬
stellten Staatskommissare machen? Daß eine eigentliche „Überwachung" dieses
Niesenverkehrs, der sich zwischen taufenden in kurzer Zeit abspielt, ein Unding
ist, liegt auf der Hand. Die Kommissare wären im wesentlichen auf das an¬
gewiesen, was sie von einzelnen Börseubesucheru erführen. Wenn nun gerade
die bessern Leute jede Auskunft verweigerten was dann? Wie bedenklich
es aber wäre, wenn die Kommissare aus trüberer Quelle schöpfen müßten,
welches Unheil ein unrichtiges Vorgehen anrichten kann, bedarf keiner Aus¬
führung. In der Reichstagskommissivn wollte man von einer Seite sogar
dem Kommissar das Recht zu unmittelbaren Eingriffen in den Börsenverkehr
selbst geben; er sollte z.B. ein an der Börse umlaufendes Gerücht sofort auf
seine Nichtigkeit prüfen und das Börsenpublikum dann aufklären. Als wenn
die Nichtigkeit solcher Gerüchte immer im Handumdrehen festzustellen wäre!
Wie aber, wenn der Kommissar auf ein angeblich falsches Gerücht eingreift,
die Kursuotiz sistirt und offiziell verkündet: „Das Gerücht ist unwahr," und


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[0202] Zum Börsengesetzentwurf Ein erbitterter Streit ist um den Staatskommissar an der Börse geführt worden. Die Börsenenquetekommission wollte nur eine Art Regierungskom¬ missar beim „Börsendisziplinarhof" (jetzt Ehrengericht genannt). Der Entwurf hat daraus einen Staatskommissar gemacht, dem die Beachtung der Vorgänge an der Börse, sowie die Berichterstattung über hervorgetretene Mängel und über die Mittel zu ihrer Abstellung obliegen soll- Das ist gewiß eine recht schwierige Aufgabe, die neben gründlicher Beherrschung des Börsenwesens und seiner Technik die genaueste Kenntnis der Personen und Verhältnisse erfordert. Ob die Aufgabe überhaupt sachgemäß zu lösen ist, muß angesichts der Verhältnisse der Wiener Börse, wo seit langer Zeit ein k. k. Börsenkommissar seines Amtes waltet, wo aber trotzdem von Zeit zu Zeit Spekulationen der bedenklichsten Art betrieben werden, sehr zweifelhaft erscheinen. Immerhin kann der Versuch gemacht werden, da ein solcher Staatskommissar wenigstens dazu beitragen kann, die Negierung sachgemäß zu unterrichten, und das soll auch nach der Begründung des Entwurfs vor allem seine Aufgabe sein. Durch die Kommissionsbeschlüsse sind dagegen Stellung und Befugnis des Staatskommissars ganz verändert worden. Er soll darnach den Geschäftsverkehr an der Börse und die Be¬ folgung der Gesetze und Verordnungen überwachen, also eine Art „übermachender Polizeibeamter" werden. In der ersten Lesung wollte man ihm sogar das Recht geben, an allen Sitzungen der Börsenorgane teilzunehmen! Das hat die zweite Lesung beseitigt, aber auch die andre Änderung des Entwurfs ist nicht zu billigen. Mit vollem Recht wehrt sich die Kaufmannschaft gegen eine solche Polizeiaufsicht. Auch das ist zu bedenken: giebt man dem Staatskommissar so weitgehende Befugnisse, so wird ganz zweifellos die Abneigung gerade der anständigen und auf die Ehre ihres Standes haltenden Börsenbesucher gegen den Verkehr mit solchen Beamten sehr steigen. Was sollen denn die unglück¬ lichen, mitten in das Getriebe etwa der Berliner oder Hamburger Börse ge¬ stellten Staatskommissare machen? Daß eine eigentliche „Überwachung" dieses Niesenverkehrs, der sich zwischen taufenden in kurzer Zeit abspielt, ein Unding ist, liegt auf der Hand. Die Kommissare wären im wesentlichen auf das an¬ gewiesen, was sie von einzelnen Börseubesucheru erführen. Wenn nun gerade die bessern Leute jede Auskunft verweigerten was dann? Wie bedenklich es aber wäre, wenn die Kommissare aus trüberer Quelle schöpfen müßten, welches Unheil ein unrichtiges Vorgehen anrichten kann, bedarf keiner Aus¬ führung. In der Reichstagskommissivn wollte man von einer Seite sogar dem Kommissar das Recht zu unmittelbaren Eingriffen in den Börsenverkehr selbst geben; er sollte z.B. ein an der Börse umlaufendes Gerücht sofort auf seine Nichtigkeit prüfen und das Börsenpublikum dann aufklären. Als wenn die Nichtigkeit solcher Gerüchte immer im Handumdrehen festzustellen wäre! Wie aber, wenn der Kommissar auf ein angeblich falsches Gerücht eingreift, die Kursuotiz sistirt und offiziell verkündet: „Das Gerücht ist unwahr," und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/202>, abgerufen am 29.06.2024.