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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Zwischenhandel

preis abzugeben imstande ist, ist es wahrscheinlich, daß sie wieder den Absatz
unmittelbar an die Konsumenten aufnimmt.

Die Produktion für den Bedarf der luxustreibenden Bevölkerung, nament¬
lich in Artikeln, die sehr ins Geld laufen, steht in Deutschland meist noch auf
der ersten Stufe der Entwicklung und verkauft infolgedessen oft ihre Waren
unmittelbar an die Konsumenten. Typisch hierfür sind die Fabriken feiner
Möbel. Ihre Ware wird nur in wenigen Städten und dort nur von einem
kleinen Kreise verlangt. Dazu kommt, daß sie, um ihr Kapital zu verwerten,
nur einen kleinen Kundenkreis brauchen. Denn sie setzen beim Verkauf eines
Büffels vielleicht 6000 Mark um, eine Fabrik für Massenbedarf dagegen nur
300 Mark. Sie brauchen also bloß den zwanzigsten Teil der Kundschaft, um
denselben Umsatz und -- was dasselbe bedeutet -- denselben Nutzen zu haben,
wie eine Fabrik von billigen Erzeugnissen gleicher Gattung.

Viele Fabriken, die zwar ebenfalls in ihren Zweigen so ziemlich alle Sorten
herstellen, die eine bestimmte Schicht der Gesellschaft verlangt, aber einen weit
verzweigten Absatz haben, schlagen, um den Zwischenhändler zu umgehen, wenn
sie das Risiko des direkten Detailverkaufs mit seinen Ladenmieten, seinen
hohen Spesen und seiner Schwierigkeit der Überwachung scheuen, einen andern
Weg ein: sie richten einem ganz kleinen Kapitalisten, nach ausdrücklicher Ver¬
einbarung mit ihm aber auch ohne eine solche, ein eignes Geschüft ein.
Dieser Kapitalist übernimmt mit seinem Gelde das Risiko der Unter¬
nehmung, besorgt, je nach dem Grade der Abhängigkeit, in dem er sich von
seinem Lieferanten befindet, die Ladeneinrichtung, steht meist auch sür die Miete
ein und versieht als "selbständiger" Kaufmann gegen ein Einkommen, das
meist das eines Kommis nur wenig übersteigt, den Verkauf. Die Fabrik hat
dann alle Vorteile des direkten Detailverkaufs, aber weniger Risiko und ist
der kostspieligen Kontrolle überhoben. Ein typisches Beispiel für diese Ein¬
richtung des Absatzes ist der Cigarrenhandel. Nur so erklärt sich die unglaub¬
liche Anzahl dieser Geschäfte, besonders wenn man in Betracht zieht, daß bei
Tabak, Schnaps und Bier der sonst in seinen Bedürfnissen schon völlig uni-
formirte Mitteleurvpäer uoch seinen persönlichen Geschmack -- zumal in den
mittlern und höhern Ständen -- stark zur Geltung bringt. Kommen zufällig
fünf Cigarettenraucher zusammen, so rauchen sie, abgesehen von den ver-
schiednen Preisen, sicherlich fünf verschiedne Sorten, wie "Ägypter," "Türken,"
"Österreicher," "Russen," "Dresdner"; und ähnlich ist es mit den Cigarren.

(Schluß folgt)




Der Zwischenhandel

preis abzugeben imstande ist, ist es wahrscheinlich, daß sie wieder den Absatz
unmittelbar an die Konsumenten aufnimmt.

Die Produktion für den Bedarf der luxustreibenden Bevölkerung, nament¬
lich in Artikeln, die sehr ins Geld laufen, steht in Deutschland meist noch auf
der ersten Stufe der Entwicklung und verkauft infolgedessen oft ihre Waren
unmittelbar an die Konsumenten. Typisch hierfür sind die Fabriken feiner
Möbel. Ihre Ware wird nur in wenigen Städten und dort nur von einem
kleinen Kreise verlangt. Dazu kommt, daß sie, um ihr Kapital zu verwerten,
nur einen kleinen Kundenkreis brauchen. Denn sie setzen beim Verkauf eines
Büffels vielleicht 6000 Mark um, eine Fabrik für Massenbedarf dagegen nur
300 Mark. Sie brauchen also bloß den zwanzigsten Teil der Kundschaft, um
denselben Umsatz und — was dasselbe bedeutet — denselben Nutzen zu haben,
wie eine Fabrik von billigen Erzeugnissen gleicher Gattung.

Viele Fabriken, die zwar ebenfalls in ihren Zweigen so ziemlich alle Sorten
herstellen, die eine bestimmte Schicht der Gesellschaft verlangt, aber einen weit
verzweigten Absatz haben, schlagen, um den Zwischenhändler zu umgehen, wenn
sie das Risiko des direkten Detailverkaufs mit seinen Ladenmieten, seinen
hohen Spesen und seiner Schwierigkeit der Überwachung scheuen, einen andern
Weg ein: sie richten einem ganz kleinen Kapitalisten, nach ausdrücklicher Ver¬
einbarung mit ihm aber auch ohne eine solche, ein eignes Geschüft ein.
Dieser Kapitalist übernimmt mit seinem Gelde das Risiko der Unter¬
nehmung, besorgt, je nach dem Grade der Abhängigkeit, in dem er sich von
seinem Lieferanten befindet, die Ladeneinrichtung, steht meist auch sür die Miete
ein und versieht als „selbständiger" Kaufmann gegen ein Einkommen, das
meist das eines Kommis nur wenig übersteigt, den Verkauf. Die Fabrik hat
dann alle Vorteile des direkten Detailverkaufs, aber weniger Risiko und ist
der kostspieligen Kontrolle überhoben. Ein typisches Beispiel für diese Ein¬
richtung des Absatzes ist der Cigarrenhandel. Nur so erklärt sich die unglaub¬
liche Anzahl dieser Geschäfte, besonders wenn man in Betracht zieht, daß bei
Tabak, Schnaps und Bier der sonst in seinen Bedürfnissen schon völlig uni-
formirte Mitteleurvpäer uoch seinen persönlichen Geschmack — zumal in den
mittlern und höhern Ständen — stark zur Geltung bringt. Kommen zufällig
fünf Cigarettenraucher zusammen, so rauchen sie, abgesehen von den ver-
schiednen Preisen, sicherlich fünf verschiedne Sorten, wie „Ägypter," „Türken,"
„Österreicher," „Russen," „Dresdner"; und ähnlich ist es mit den Cigarren.

(Schluß folgt)




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[0020] Der Zwischenhandel preis abzugeben imstande ist, ist es wahrscheinlich, daß sie wieder den Absatz unmittelbar an die Konsumenten aufnimmt. Die Produktion für den Bedarf der luxustreibenden Bevölkerung, nament¬ lich in Artikeln, die sehr ins Geld laufen, steht in Deutschland meist noch auf der ersten Stufe der Entwicklung und verkauft infolgedessen oft ihre Waren unmittelbar an die Konsumenten. Typisch hierfür sind die Fabriken feiner Möbel. Ihre Ware wird nur in wenigen Städten und dort nur von einem kleinen Kreise verlangt. Dazu kommt, daß sie, um ihr Kapital zu verwerten, nur einen kleinen Kundenkreis brauchen. Denn sie setzen beim Verkauf eines Büffels vielleicht 6000 Mark um, eine Fabrik für Massenbedarf dagegen nur 300 Mark. Sie brauchen also bloß den zwanzigsten Teil der Kundschaft, um denselben Umsatz und — was dasselbe bedeutet — denselben Nutzen zu haben, wie eine Fabrik von billigen Erzeugnissen gleicher Gattung. Viele Fabriken, die zwar ebenfalls in ihren Zweigen so ziemlich alle Sorten herstellen, die eine bestimmte Schicht der Gesellschaft verlangt, aber einen weit verzweigten Absatz haben, schlagen, um den Zwischenhändler zu umgehen, wenn sie das Risiko des direkten Detailverkaufs mit seinen Ladenmieten, seinen hohen Spesen und seiner Schwierigkeit der Überwachung scheuen, einen andern Weg ein: sie richten einem ganz kleinen Kapitalisten, nach ausdrücklicher Ver¬ einbarung mit ihm aber auch ohne eine solche, ein eignes Geschüft ein. Dieser Kapitalist übernimmt mit seinem Gelde das Risiko der Unter¬ nehmung, besorgt, je nach dem Grade der Abhängigkeit, in dem er sich von seinem Lieferanten befindet, die Ladeneinrichtung, steht meist auch sür die Miete ein und versieht als „selbständiger" Kaufmann gegen ein Einkommen, das meist das eines Kommis nur wenig übersteigt, den Verkauf. Die Fabrik hat dann alle Vorteile des direkten Detailverkaufs, aber weniger Risiko und ist der kostspieligen Kontrolle überhoben. Ein typisches Beispiel für diese Ein¬ richtung des Absatzes ist der Cigarrenhandel. Nur so erklärt sich die unglaub¬ liche Anzahl dieser Geschäfte, besonders wenn man in Betracht zieht, daß bei Tabak, Schnaps und Bier der sonst in seinen Bedürfnissen schon völlig uni- formirte Mitteleurvpäer uoch seinen persönlichen Geschmack — zumal in den mittlern und höhern Ständen — stark zur Geltung bringt. Kommen zufällig fünf Cigarettenraucher zusammen, so rauchen sie, abgesehen von den ver- schiednen Preisen, sicherlich fünf verschiedne Sorten, wie „Ägypter," „Türken," „Österreicher," „Russen," „Dresdner"; und ähnlich ist es mit den Cigarren. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/20>, abgerufen am 24.08.2024.