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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

so viel auch musizirt wurde, doch kein gesundes Musikleben. Die Musik war
wie die andern Künste nur ein Teil des welschen höfischen Privatglanzes.
So verschrieb sich noch Friedrich Wilhelm III. 1819 für ein ungeheures
Honorar den Italiener Spontini aus Paris: nachdem dieser am 28. Mai 1320
in Berlin eingetroffen war, dirigirte er endlich am 14. Mai 1821 zum erstenmal
seine Olympia. Genau fünf Wochen dauerte seine Herrlichkeit: am 18. Juni
1821 erlebte Webers Freischütz in dem neu erbauten Berliner Schauspielhause
seine erste Aufführung. Friedrich Wilhelm III. sah es nicht oder wollte es
nicht sehen, daß sich das musikalische Berliner Publikum von diesem Tage an
offen in zwei Parteien schied, und daß sich die nationale Partei, an Geist,
Gemüt und Bildung- die überragende, um Weber Scharte; er hielt an Spontini
fest und erneuerte ihm 1830 den zehnjährigen Kontrakt. Am 7. Juni 1840
starb der König; als Spontini, rasch mit Friedrich Wilhelm IV. verfeindet,
nach einer längern Pause am 2. April 1841 den Don Juan dirigiren wollte,
trieb ihn das Berliner Publikum unter furchtbarem Getöse aus dem Orchester
hinaus, ein nicht gerade würdiges Verfahren, aber doch eine Art Volksgericht,
die energische Abschüttlnng dieses letzten Nestes alter, fremder Hofinltur durch
deutsches Bürgertum in Berlin.

Welch eine Wandlung des geistigen Zustandes seit der Mitte des acht¬
zehnten Jahrhunderts! Eine deutsche Partei kann in Kunstfragen einen aus¬
ländischen Schützling des Hofes in der Öffentlichkeit vernichten! Wie das
Ereignis einerseits das letzte Nachspiel eines vergangnen Zeitalters ist, so ist
es auf der andern Seite das Ergebnis verschiedner Teilentwicklungen einer
inzwischen neu angebrochnen Geistesperiode.

Pietismus wie Aufklärung liegt auf dem Wege von individueller zu sub¬
jektiver Bildung. Demselben Ziele führte die tiefere Erkenntnis des griechischen
Altertums zu und die Emporhebung der altgriechischen über die altrömische
Kultur, Homers über Virgil^, die wir namentlich Lessing und Winckelmann
verdanken; und indem sie auf ein eignes, reines, aus sich heraus erwachsenes
Menschentum eines fernen Volkes wies, lehrte sie, auch ohne es auszusprechen,
daß jeder einzelne in seinem unverfälschten Volkstum die innersten, echtesten
Züge seines Ich finden müsse. Das deutsche Ich, das so von allen Seiten
ans sich selbst gewiesen war und zugleich den Ruf nach einer Rückkehr zur
Natur vernahm, fand sich rein in dem Denken und Dichten des deutschen Volkes.
Damit ist die Volksliedbewegung der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
gegeben. Herder und der junge Goethe tragen ihr die Fahne voran. Ein
kühner Vorläufer ist Bürger, der bereits den Satz aufgestellt hat, der Stempel
des echten Kunstwerks sei die Popularität, eine Forderung, mit der sich Goethe
herrlich und wie von selbst im Götz, im Egmont und in seinen schönsten Bal¬
laden, z. B. im Fischer, mit der sich auch Schiller schön im Tell abgefunden
hat. Unsre ganze Balladen- und Nomanzendichtung setzt mit Bürgers Bärtel-


Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

so viel auch musizirt wurde, doch kein gesundes Musikleben. Die Musik war
wie die andern Künste nur ein Teil des welschen höfischen Privatglanzes.
So verschrieb sich noch Friedrich Wilhelm III. 1819 für ein ungeheures
Honorar den Italiener Spontini aus Paris: nachdem dieser am 28. Mai 1320
in Berlin eingetroffen war, dirigirte er endlich am 14. Mai 1821 zum erstenmal
seine Olympia. Genau fünf Wochen dauerte seine Herrlichkeit: am 18. Juni
1821 erlebte Webers Freischütz in dem neu erbauten Berliner Schauspielhause
seine erste Aufführung. Friedrich Wilhelm III. sah es nicht oder wollte es
nicht sehen, daß sich das musikalische Berliner Publikum von diesem Tage an
offen in zwei Parteien schied, und daß sich die nationale Partei, an Geist,
Gemüt und Bildung- die überragende, um Weber Scharte; er hielt an Spontini
fest und erneuerte ihm 1830 den zehnjährigen Kontrakt. Am 7. Juni 1840
starb der König; als Spontini, rasch mit Friedrich Wilhelm IV. verfeindet,
nach einer längern Pause am 2. April 1841 den Don Juan dirigiren wollte,
trieb ihn das Berliner Publikum unter furchtbarem Getöse aus dem Orchester
hinaus, ein nicht gerade würdiges Verfahren, aber doch eine Art Volksgericht,
die energische Abschüttlnng dieses letzten Nestes alter, fremder Hofinltur durch
deutsches Bürgertum in Berlin.

Welch eine Wandlung des geistigen Zustandes seit der Mitte des acht¬
zehnten Jahrhunderts! Eine deutsche Partei kann in Kunstfragen einen aus¬
ländischen Schützling des Hofes in der Öffentlichkeit vernichten! Wie das
Ereignis einerseits das letzte Nachspiel eines vergangnen Zeitalters ist, so ist
es auf der andern Seite das Ergebnis verschiedner Teilentwicklungen einer
inzwischen neu angebrochnen Geistesperiode.

Pietismus wie Aufklärung liegt auf dem Wege von individueller zu sub¬
jektiver Bildung. Demselben Ziele führte die tiefere Erkenntnis des griechischen
Altertums zu und die Emporhebung der altgriechischen über die altrömische
Kultur, Homers über Virgil^, die wir namentlich Lessing und Winckelmann
verdanken; und indem sie auf ein eignes, reines, aus sich heraus erwachsenes
Menschentum eines fernen Volkes wies, lehrte sie, auch ohne es auszusprechen,
daß jeder einzelne in seinem unverfälschten Volkstum die innersten, echtesten
Züge seines Ich finden müsse. Das deutsche Ich, das so von allen Seiten
ans sich selbst gewiesen war und zugleich den Ruf nach einer Rückkehr zur
Natur vernahm, fand sich rein in dem Denken und Dichten des deutschen Volkes.
Damit ist die Volksliedbewegung der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
gegeben. Herder und der junge Goethe tragen ihr die Fahne voran. Ein
kühner Vorläufer ist Bürger, der bereits den Satz aufgestellt hat, der Stempel
des echten Kunstwerks sei die Popularität, eine Forderung, mit der sich Goethe
herrlich und wie von selbst im Götz, im Egmont und in seinen schönsten Bal¬
laden, z. B. im Fischer, mit der sich auch Schiller schön im Tell abgefunden
hat. Unsre ganze Balladen- und Nomanzendichtung setzt mit Bürgers Bärtel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/88>, abgerufen am 26.11.2024.