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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

leicht später einmal darlegen, zunächst aber wollen wir Schrempfs Kommentar ab¬
warten. Vorläufig verrät dieser von seiner eignen Stellung zu Kierkegaard einiges
in der Einleitung; unter anderen, daß er von den Ergebnissen der Gedankenarbeit
des großen Grüblers manches (wie einige Äußerungen über die Ehe) kurzerhand
als widersinnig abweist, daß ihm dagegen die Fragestellung und Methode des
religiösen Denkens bei Kierkegaard als das eigentlich Wichtige erscheint.




Litteratur

Geschichte der griechischen Litteratur. Von Ernst Kroker. Erster Band: Die
Poesie. Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1395

In den weitern Kreisen der Gebildeten besteht heute zur griechischen Litteratur
nur ein sehr entferntes Verhältnis. Wer nicht von der Schulbank her Homer und
Sophokles kennt, lernt sie im Leben selten anders als vom Hörensagen kennen.
Der Schreiber dieser Zeilen gehört zu den Leuten, die das bedauern. Er er¬
innert sich, wie in seiner Jugendzeit -- die Litteratur hatte sich kaum erst von
der Romantik freigemacht -- auf dem Bücherbrett gebildeter Frauen Vossens
Morier stand, und wie in litterarischen Zirkeln ans ^ der Donnerschen Sophokles-
übersetzuug gern vorgetragen, auch wohl ein Stück daraus mit verteilten Rollen
gelesen wurde. In den letzten Jahrzehnten haben wir freilich etwas schnell ge¬
lebt und viel vergessen, in der Litteratur manches beiseite geschoben, was unsre
Väter anzog und begeisterte, und manches aufgegriffen, vor dem ihnen grauen
würde, und vor den: uus nachgerade selber zu grauen anfängt. Aber das hindert
uns ja nicht, zurückzukehren zu dem Quell der Poesie: wie wäre es, wenn wir
uns wieder einmal nach Homer umsahen und der von ihm begonnenen und be¬
herrschten griechischen Litteratur? .Einen Wegweiser in ihr schönes Reich giebt.es
jetzt, wie sich kein liebenswürdigerer denken läßt, in dem hier genannten Buche
Krokers. Es ist ein Buch beileibe nicht zum Nachschlagen, sondern zum Lesen,
wirklich wie ein Unterhaltungsbuch genußreich zu lesen, in kräftiger und feiner
Sprache, mit anschaulichen Schilderungen und gediegenen Urteilen. Es steckt viel
Wissen darin, aber , der Verfasser ist zu geschmackvoll, den Blick darauf zu lenken;
statt viel über die Litteratur zu reden/ läßt er die Litteratur selbst gern reden,
und sie redet in seiner Verdeutschung eine klangvolle, modnlationsreiche Sprache.
Mit großem Geschick hat er ohne jede Gewaltsamkeit, die einzelnen Erscheimmgen
der Dichter und Dichtungsgattnngen in einen fortlaufenden Zusammenhang gebracht
und durch treffende Verteilung von Licht und Schatten die Hauptpunkte vor den
übrigen hervorgehoben. Homer und das Epos, die scharf gezeichneten Chnrnkter-
köpfe der Lyriker und die Blüte attischer Poesie, das Drama, zieht in wechselnden
und immer fesselnden Bildern an uns vorüber. Der Berichterstatter. müßte sich
sehr täuschen, wenn an diesem Buche nicht auch unsre Frauen Gefallen fände".
Aber nicht nnr ihnen, sondern allen Freunden edler Kunst empfiehlt er es, und
er ist sogar der Meinung, daß es sich vortrefflich dazu eignen würde, in den
obern Klassen unsrer höhern Schulen ohne Griechisch, auch der für Mädchen, in
die alten und ewig jungen Werke der griechischen Dichter einzuführen. Möge sich
der zweite Band, der in der Prosa einen sprödern Stoff zu bewältigen hat, dem
ersten in gleicher Vorzüglichkeit bald zur Seite stellen.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

leicht später einmal darlegen, zunächst aber wollen wir Schrempfs Kommentar ab¬
warten. Vorläufig verrät dieser von seiner eignen Stellung zu Kierkegaard einiges
in der Einleitung; unter anderen, daß er von den Ergebnissen der Gedankenarbeit
des großen Grüblers manches (wie einige Äußerungen über die Ehe) kurzerhand
als widersinnig abweist, daß ihm dagegen die Fragestellung und Methode des
religiösen Denkens bei Kierkegaard als das eigentlich Wichtige erscheint.




Litteratur

Geschichte der griechischen Litteratur. Von Ernst Kroker. Erster Band: Die
Poesie. Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1395

In den weitern Kreisen der Gebildeten besteht heute zur griechischen Litteratur
nur ein sehr entferntes Verhältnis. Wer nicht von der Schulbank her Homer und
Sophokles kennt, lernt sie im Leben selten anders als vom Hörensagen kennen.
Der Schreiber dieser Zeilen gehört zu den Leuten, die das bedauern. Er er¬
innert sich, wie in seiner Jugendzeit — die Litteratur hatte sich kaum erst von
der Romantik freigemacht — auf dem Bücherbrett gebildeter Frauen Vossens
Morier stand, und wie in litterarischen Zirkeln ans ^ der Donnerschen Sophokles-
übersetzuug gern vorgetragen, auch wohl ein Stück daraus mit verteilten Rollen
gelesen wurde. In den letzten Jahrzehnten haben wir freilich etwas schnell ge¬
lebt und viel vergessen, in der Litteratur manches beiseite geschoben, was unsre
Väter anzog und begeisterte, und manches aufgegriffen, vor dem ihnen grauen
würde, und vor den: uus nachgerade selber zu grauen anfängt. Aber das hindert
uns ja nicht, zurückzukehren zu dem Quell der Poesie: wie wäre es, wenn wir
uns wieder einmal nach Homer umsahen und der von ihm begonnenen und be¬
herrschten griechischen Litteratur? .Einen Wegweiser in ihr schönes Reich giebt.es
jetzt, wie sich kein liebenswürdigerer denken läßt, in dem hier genannten Buche
Krokers. Es ist ein Buch beileibe nicht zum Nachschlagen, sondern zum Lesen,
wirklich wie ein Unterhaltungsbuch genußreich zu lesen, in kräftiger und feiner
Sprache, mit anschaulichen Schilderungen und gediegenen Urteilen. Es steckt viel
Wissen darin, aber , der Verfasser ist zu geschmackvoll, den Blick darauf zu lenken;
statt viel über die Litteratur zu reden/ läßt er die Litteratur selbst gern reden,
und sie redet in seiner Verdeutschung eine klangvolle, modnlationsreiche Sprache.
Mit großem Geschick hat er ohne jede Gewaltsamkeit, die einzelnen Erscheimmgen
der Dichter und Dichtungsgattnngen in einen fortlaufenden Zusammenhang gebracht
und durch treffende Verteilung von Licht und Schatten die Hauptpunkte vor den
übrigen hervorgehoben. Homer und das Epos, die scharf gezeichneten Chnrnkter-
köpfe der Lyriker und die Blüte attischer Poesie, das Drama, zieht in wechselnden
und immer fesselnden Bildern an uns vorüber. Der Berichterstatter. müßte sich
sehr täuschen, wenn an diesem Buche nicht auch unsre Frauen Gefallen fände«.
Aber nicht nnr ihnen, sondern allen Freunden edler Kunst empfiehlt er es, und
er ist sogar der Meinung, daß es sich vortrefflich dazu eignen würde, in den
obern Klassen unsrer höhern Schulen ohne Griechisch, auch der für Mädchen, in
die alten und ewig jungen Werke der griechischen Dichter einzuführen. Möge sich
der zweite Band, der in der Prosa einen sprödern Stoff zu bewältigen hat, dem
ersten in gleicher Vorzüglichkeit bald zur Seite stellen.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/64>, abgerufen am 24.11.2024.