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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die erste Liebe

eben zur Universität gegangen war, hatte die Weihnachtsferien benutzt, um mit einer
niedlichen Tänzerin auf Reisen zu gehen. Das war gewiß recht unterhaltend für
den jungen Mann gewesen, der Vater aber mußte den Beutel ziehen und fluchte.
Er war so mißmutig geworden, daß er, obgleich er schon vierzehn Tage heimgekehrt
war, die Baronin erst ein einziges mal besucht hatte. Da hatte er sie sehr heiter
vor ihrer Staffelei getroffen, den Kopf voller Pläne und dabei sehr entzückt von
einem neuen Roman, den ihr eine Bekannte geschickt hatte. Über des Grafen
Rückkehr freute sie sich sehr, aber nicht so, wie er es im Stillen noch immer ge¬
hofft hatte. Er hatte nach Neumnuu und der Zehleneck gefragt. Sie wußte von
beiden nichts, entsann sich aber dann doch, daß Herr Neumann in vielen Familien
der Stadt Verkehren sollte. Sie ging noch nicht wieder in Gesellschaft und schien
es auch nicht zu entbehren.

Nössing mußte heute viel an sie denken, obgleich er sich vorgenommen hatte,
es nicht zu thu". Sie war doch sehr einsam, wenn sie auch nicht darüber klagte,
und diesem Neumnuu, diesem Spitzbuben, der es gewagt hatte, sie zu beleidigen,
dem ging es gut, viel besser als ander" Leuten ! Als der Graf bei diesem Ge¬
danken angelangt war, befand er sich mitten im Walde vor einem kleinen Buchcn-
unterholz, in das ein schmaler Pfad hineinführte. Er schlug thu ein und sah
erst wieder um sich, als er an einer Lichtung stand. Hier war eine Bank unter
mehreren hochragenden Buchen, und auf dieser Bau! saßen Neumann und Fran
von Zehleneck. Ob sie sich zärtlich umschlungen hielten, konnte der Graf zu seinem
Bedauern nicht sehen, obgleich er sich eine Lorgnette vor die Augen hielt, aber er
nahm es sofort an. Einen Augenblick stand er regungslos und hörte auf Amelie
Zehlenecks Lachen. Es klang triumphirend durch den stillen Wald, und die Nachti¬
gallen schienen zu erschrecken und schwiegen still. Dann aber saugen sie weiter,
und auch der Graf wandte sich leise ab. Niemand hatte ihn bemerkt, und als ihn
wieder das Waldesdunkel umfing, konnte er seinem Zorn nach Beliebe" Luft mache",
wen" er welche" empfand. Aber er sagte kein Wort. Langsam und mit gefurchter
Stirn wanderte er weiter. Erst nach einer Stunde kehrte er um und ging der
Stadt wieder zu, und als er jetzt zum zweitenmale an den: Unterholz vorüberkam,
trat Neumann gerade heraus. Er schien etwas zu erröten, grüßte aber mit großer
Liebenswürdigkeit, fragte nach Rössiugs Befinden und schloß sich ihm ohne weiteres
an. Dabei hatte er etwas siegesbewußtes im Auftreten, was den Grafen um so
"lehr ärgerte, als er früher bescheiden gewesen war.

Sie sollte" doch bald einmal nach Fresenhagen kommen, Herr Graf, sagte er
während des Gesprächs. Ich baue jetzt, und es wird sehr hübsch dort.

An Fresenhagen knüpft sich für mich gerade keine angenehme Eri"ner""g, er-
erwiderte Rössing etwas scharf.

Neuman" zuckte die Achseln und veränderte ein wenig die Farbe. Nun ja,
daß Herr vo" Ravenstein bei nur sterben mußte, war traurig, sehr traurig. Kein
Mensch beklagt es mehr, als ich. Aber sterben müssen wir doch alle einmal, und
der alte Herr hatte doch schließlich sein Lebe" ausgelebt!

Er hatte mit höflicher Gleichgültigkeit gesprochen, und der Graf, der sich auch-
manchmal alt und nutzlos vorkam, sah ihn mit einem böse" Blick von der Seite a".
Wenn er einmal tot wäre, würde Neumann ähnlich über ihn spreche", dachte er.

Kannten Sie nicht Fran von Ravenstein von früher her? fragte er nach
einer Weile.

Neumann stutzte, dann begann er etwas zu stottern. Gewiß -- gewiß! Sie
war ja sozusagen meine erste Liebe. Na, aber die erste Liebe -- er stockte und


Die erste Liebe

eben zur Universität gegangen war, hatte die Weihnachtsferien benutzt, um mit einer
niedlichen Tänzerin auf Reisen zu gehen. Das war gewiß recht unterhaltend für
den jungen Mann gewesen, der Vater aber mußte den Beutel ziehen und fluchte.
Er war so mißmutig geworden, daß er, obgleich er schon vierzehn Tage heimgekehrt
war, die Baronin erst ein einziges mal besucht hatte. Da hatte er sie sehr heiter
vor ihrer Staffelei getroffen, den Kopf voller Pläne und dabei sehr entzückt von
einem neuen Roman, den ihr eine Bekannte geschickt hatte. Über des Grafen
Rückkehr freute sie sich sehr, aber nicht so, wie er es im Stillen noch immer ge¬
hofft hatte. Er hatte nach Neumnuu und der Zehleneck gefragt. Sie wußte von
beiden nichts, entsann sich aber dann doch, daß Herr Neumann in vielen Familien
der Stadt Verkehren sollte. Sie ging noch nicht wieder in Gesellschaft und schien
es auch nicht zu entbehren.

Nössing mußte heute viel an sie denken, obgleich er sich vorgenommen hatte,
es nicht zu thu». Sie war doch sehr einsam, wenn sie auch nicht darüber klagte,
und diesem Neumnuu, diesem Spitzbuben, der es gewagt hatte, sie zu beleidigen,
dem ging es gut, viel besser als ander» Leuten ! Als der Graf bei diesem Ge¬
danken angelangt war, befand er sich mitten im Walde vor einem kleinen Buchcn-
unterholz, in das ein schmaler Pfad hineinführte. Er schlug thu ein und sah
erst wieder um sich, als er an einer Lichtung stand. Hier war eine Bank unter
mehreren hochragenden Buchen, und auf dieser Bau! saßen Neumann und Fran
von Zehleneck. Ob sie sich zärtlich umschlungen hielten, konnte der Graf zu seinem
Bedauern nicht sehen, obgleich er sich eine Lorgnette vor die Augen hielt, aber er
nahm es sofort an. Einen Augenblick stand er regungslos und hörte auf Amelie
Zehlenecks Lachen. Es klang triumphirend durch den stillen Wald, und die Nachti¬
gallen schienen zu erschrecken und schwiegen still. Dann aber saugen sie weiter,
und auch der Graf wandte sich leise ab. Niemand hatte ihn bemerkt, und als ihn
wieder das Waldesdunkel umfing, konnte er seinem Zorn nach Beliebe» Luft mache»,
wen» er welche» empfand. Aber er sagte kein Wort. Langsam und mit gefurchter
Stirn wanderte er weiter. Erst nach einer Stunde kehrte er um und ging der
Stadt wieder zu, und als er jetzt zum zweitenmale an den: Unterholz vorüberkam,
trat Neumann gerade heraus. Er schien etwas zu erröten, grüßte aber mit großer
Liebenswürdigkeit, fragte nach Rössiugs Befinden und schloß sich ihm ohne weiteres
an. Dabei hatte er etwas siegesbewußtes im Auftreten, was den Grafen um so
»lehr ärgerte, als er früher bescheiden gewesen war.

Sie sollte» doch bald einmal nach Fresenhagen kommen, Herr Graf, sagte er
während des Gesprächs. Ich baue jetzt, und es wird sehr hübsch dort.

An Fresenhagen knüpft sich für mich gerade keine angenehme Eri»ner»»g, er-
erwiderte Rössing etwas scharf.

Neuman» zuckte die Achseln und veränderte ein wenig die Farbe. Nun ja,
daß Herr vo» Ravenstein bei nur sterben mußte, war traurig, sehr traurig. Kein
Mensch beklagt es mehr, als ich. Aber sterben müssen wir doch alle einmal, und
der alte Herr hatte doch schließlich sein Lebe» ausgelebt!

Er hatte mit höflicher Gleichgültigkeit gesprochen, und der Graf, der sich auch-
manchmal alt und nutzlos vorkam, sah ihn mit einem böse» Blick von der Seite a».
Wenn er einmal tot wäre, würde Neumann ähnlich über ihn spreche», dachte er.

Kannten Sie nicht Fran von Ravenstein von früher her? fragte er nach
einer Weile.

Neumann stutzte, dann begann er etwas zu stottern. Gewiß — gewiß! Sie
war ja sozusagen meine erste Liebe. Na, aber die erste Liebe — er stockte und


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[0632] Die erste Liebe eben zur Universität gegangen war, hatte die Weihnachtsferien benutzt, um mit einer niedlichen Tänzerin auf Reisen zu gehen. Das war gewiß recht unterhaltend für den jungen Mann gewesen, der Vater aber mußte den Beutel ziehen und fluchte. Er war so mißmutig geworden, daß er, obgleich er schon vierzehn Tage heimgekehrt war, die Baronin erst ein einziges mal besucht hatte. Da hatte er sie sehr heiter vor ihrer Staffelei getroffen, den Kopf voller Pläne und dabei sehr entzückt von einem neuen Roman, den ihr eine Bekannte geschickt hatte. Über des Grafen Rückkehr freute sie sich sehr, aber nicht so, wie er es im Stillen noch immer ge¬ hofft hatte. Er hatte nach Neumnuu und der Zehleneck gefragt. Sie wußte von beiden nichts, entsann sich aber dann doch, daß Herr Neumann in vielen Familien der Stadt Verkehren sollte. Sie ging noch nicht wieder in Gesellschaft und schien es auch nicht zu entbehren. Nössing mußte heute viel an sie denken, obgleich er sich vorgenommen hatte, es nicht zu thu». Sie war doch sehr einsam, wenn sie auch nicht darüber klagte, und diesem Neumnuu, diesem Spitzbuben, der es gewagt hatte, sie zu beleidigen, dem ging es gut, viel besser als ander» Leuten ! Als der Graf bei diesem Ge¬ danken angelangt war, befand er sich mitten im Walde vor einem kleinen Buchcn- unterholz, in das ein schmaler Pfad hineinführte. Er schlug thu ein und sah erst wieder um sich, als er an einer Lichtung stand. Hier war eine Bank unter mehreren hochragenden Buchen, und auf dieser Bau! saßen Neumann und Fran von Zehleneck. Ob sie sich zärtlich umschlungen hielten, konnte der Graf zu seinem Bedauern nicht sehen, obgleich er sich eine Lorgnette vor die Augen hielt, aber er nahm es sofort an. Einen Augenblick stand er regungslos und hörte auf Amelie Zehlenecks Lachen. Es klang triumphirend durch den stillen Wald, und die Nachti¬ gallen schienen zu erschrecken und schwiegen still. Dann aber saugen sie weiter, und auch der Graf wandte sich leise ab. Niemand hatte ihn bemerkt, und als ihn wieder das Waldesdunkel umfing, konnte er seinem Zorn nach Beliebe» Luft mache», wen» er welche» empfand. Aber er sagte kein Wort. Langsam und mit gefurchter Stirn wanderte er weiter. Erst nach einer Stunde kehrte er um und ging der Stadt wieder zu, und als er jetzt zum zweitenmale an den: Unterholz vorüberkam, trat Neumann gerade heraus. Er schien etwas zu erröten, grüßte aber mit großer Liebenswürdigkeit, fragte nach Rössiugs Befinden und schloß sich ihm ohne weiteres an. Dabei hatte er etwas siegesbewußtes im Auftreten, was den Grafen um so »lehr ärgerte, als er früher bescheiden gewesen war. Sie sollte» doch bald einmal nach Fresenhagen kommen, Herr Graf, sagte er während des Gesprächs. Ich baue jetzt, und es wird sehr hübsch dort. An Fresenhagen knüpft sich für mich gerade keine angenehme Eri»ner»»g, er- erwiderte Rössing etwas scharf. Neuman» zuckte die Achseln und veränderte ein wenig die Farbe. Nun ja, daß Herr vo» Ravenstein bei nur sterben mußte, war traurig, sehr traurig. Kein Mensch beklagt es mehr, als ich. Aber sterben müssen wir doch alle einmal, und der alte Herr hatte doch schließlich sein Lebe» ausgelebt! Er hatte mit höflicher Gleichgültigkeit gesprochen, und der Graf, der sich auch- manchmal alt und nutzlos vorkam, sah ihn mit einem böse» Blick von der Seite a». Wenn er einmal tot wäre, würde Neumann ähnlich über ihn spreche», dachte er. Kannten Sie nicht Fran von Ravenstein von früher her? fragte er nach einer Weile. Neumann stutzte, dann begann er etwas zu stottern. Gewiß — gewiß! Sie war ja sozusagen meine erste Liebe. Na, aber die erste Liebe — er stockte und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/632>, abgerufen am 26.11.2024.